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# taz.de -- Das Distinktionsversprechen der Mode: Aggressiv unmodisch
> Billig- und Luxusästhetik gleichen sich immer mehr. Was kommt nach der
> Hässlichkeit, wenn selbst Langeweile schon passé ist?
Bild: Christopher Kanes inkrustierte Swiftwater Sandale von Crocs 2017
Im Vorspann zum Interview mit dem ehemaligen [1][Interpol-Bassisten Carlos
Dengler] fiel einmal die Randnotiz, der Musiker sei in geradewegs
„aggressiv unmodischen“ Komfortschuhen erschienen. Und das ließ aufmerken,
stand doch Dengler noch in den frühen 2000er Jahren im strengen New
Wave-/Militaria-Look mit rasiermesserscharfer Haarkante auf der Bühne und
trug anschließend ebenfalls noch vor dessen allgemeiner Trendwerdung
freundlichen Preußen-Look mit Schnurrbart. Nun also Outdoorbekleidung,
allerdings offenbar nicht von der modischen Sorte.
Einen ähnlichen Aha-Effekt hält heute ein Blick in die Kollektionen der
einschlägigen Designerlabels bereit, wo man sich plötzlich stellenweise im
Schuhdiscounter oder auf dem Wühltisch vergangener Jahrzehnte wähnt. Als
unsere Mütter mangels finanzieller Möglichkeiten vor einigen Jahrzehnten
das Beste aus dem Geld rauszuholen versuchten, da schaute die Garderobe
bisweilen unfreiwillig so aus wie jetzt die Modelle bei Alaïa, Givenchy
oder Jimmy Shoo.
Gerade die nicht restlos hippen, auf eine vergleichsweise konservative
Klientel schielenden Labels scheinen aktuell gar nicht genug bekommen zu
können von seltsam angebrachten Schnallen, unmotivierten
Strass-Applikationen und ähnlichem Tand. Ähnliches kennt man seit einer
Weile vom [2][Label Balenciaga,] das seinen Ruf als Anbieter gut dosierter
Billigladen-Sexyness ohnehin schon gut gefestigt hat.
Verwertet werden hier eben nicht mehr die schön übertriebenen
Extravaganzen, die man sich leisten können muss. Verwertet werden die
ungewollten Kennzeichen, die man sich bis vor Kurzem noch leisten musste.
Aber vielleicht denkt man das immer, wenn es die eigenen ehemaligen
Stigmata trifft, die nun modisch umgedeutet werden. Nachdem das modische
Potenzial der Funktionskleidung abgeschöpft ist, fallen nun die scheinbar
letzten Bastionen – die, die also nie jemand wirklich begehren wollen
konnte.
Passend dazu erschienen jedenfalls manche Farbschöpfungen der letzten ein,
zwei Jahre tatsächlich als regelrechter Verzweiflungsschrei im
Textildickicht: ungesund schimmerndes Orange und ätzendes Grün, kaum
knallig genug, um jemals Neon gewesen zu sein, das jegliche Aussicht,
irgendwann einmal ernst zu nehmender Trend zu werden, schon mit dem
Eintritt in die Warenwelt selbst zu Grabe getragen hat.
## Was danach kam, konnte nur noch abfallen
Die Zeichen werden subtiler auf einer vorgeblichen Metaebene verhandelt.
Oder in postironischer Geste dann schon wieder völlig emphatisch
abgefeiert: Selbst bei Ralph Lauren will man jetzt woke, also wach und
politisch bewusst sein statt preppy. Und so werden per Gastkollektion
kitschige Teddybären-Pullis ins ansonsten zuverlässig Segelbootsausflüge
und US-Privatinternate ausstattende Bekleidungssortiment gehievt.
Das [3][Label Vetements] wiederum hatte spätestens mit den dottergelben
DHL-Shirts und -Kleidern 2016 sowohl das Ende der Hässlichkeitsfahnenstange
wie jene ironischer Gesten erreicht. Und noch etwas: Man hatte zielsicher
ein aktuelles Zeichen der Globalisierung und zugleich dessen ausführenden,
hiervon vermutlich noch am wenigsten profitierenden Laufburschen, die oft
prekär beschäftigten Auslieferer, zum kurzweiligen Modehype verwertet. Was
danach kam, konnte nur noch abfallen.
Die Suche nach modischer Distinktion wird nicht einfacher. Gut möglich,
dass es sich bei obiger Beobachtung nur um ein weiteres, symptomatisches
Zerfallsprodukt des großen Versprechens Mode handelt, nach und neben
Normcore, der Entdeckung der Langeweile als radikale Absage an jegliches
Wollen und Begehren, und den über-gestalteten Ugly Sneakers. Was kommt nach
der Hässlichkeit, wenn selbst Langeweile schon passé ist?
Jenes Anything-goes-Diktum, ohne das umgekehrt tatsächlich nichts geht
beziehungsweise denkbar ist, fordert sein Tribut. Die Mode ist ein
schwieriges Untersuchungsobjekt, das dem Zugriff immer wieder entgleitet.
Es ist ihr Modus operandi, die Zeichen verwandeln zu können, umzudrehen
gar. Da erwischt es mal solche, die sich erfolgreich verwandeln lassen, und
andere, mit denen das weniger gut gelingt.
Aber wenn alles nur noch eine endlose Reihung von Insider-Jokes bleibt und
nichts eine gewisse Durchschlagskraft erreicht, spricht man dann überhaupt
noch von Mode? Haben wir es gar mit einem prophetischen Hinweis aufs
nahende Ende der Zirkulationsmöglichkeiten zu tun, oder dreht sie bloß eine
weitere Volte, die erst im Rückblick erkennbar wird?
## Die Ledertasche im Aldi-Look des Schauspielers Lars Eidinger
Womöglich hat die Designer-Ledertasche im Aldi-Look des Schauspielers Lars
Eidinger neulich auch deshalb so viel Kritik auf sich gezogen, weil sie das
gängige Mittel der Aneignung nicht mehr nur geografischer, kultureller und
subkultureller, sondern zunehmend auch ökonomischer Codes nicht einmal mehr
leidlich kaschiert. Je schwächer die Gesten und Zeichen, umso heftiger wird
um sie und das Anrecht hierauf gestritten.
Es ist heute eben nicht mehr wie in der Ständegesellschaft und noch nicht
einmal mehr wie in den 90er Jahren, in denen man sich einigermaßen bemühen
musste, als ökonomisch schlechter gestellter Mensch nicht erkannt zu
werden. Was zweifelsfrei eine wunderbare Sache ist! Modedesigner und
Trendmacher aber offensichtlich vor Probleme stellt. Weil selbst billig
heute teuer ausschauen kann, muss das Teure billig erscheinen.
Vielleicht wird die Ästhetik des Armseins in Mord- und Totschlagserien wie
journalistischer Berichterstattung auch deshalb umso genussvoller
zelebriert, weil allen Beteiligten dämmert, dass die ökonomische
Unterscheidung der Mitmenschen und die Abgrenzung zu ihnen schon lange
nicht mehr so einfach funktioniert (Tenor: je ästhetisch abstoßender der
„Lifestyle“ jener Täter, die in Trailerparks, Messiewohnung oder dem
deutschen Äquivalent Dauer-Campingplatz hausen, umso schlimmer das
Verbrechen)?
Aufschlussreiche Beobachtungen zur Frage, wie Begehrlichkeiten heute noch
geweckt werden können und wie sich Billig- und Luxusästhetik dabei
zusehends verschränken, hält auch der Bildband „The New Luxury: Defining
the Aspirational in the Age of Hype“ des Gestalten-Verlags bereit. Er
versammelt viele Beispiele, wie außergewöhnliche High Fashion in aktueller
Gemengelage funktionieren kann – aber eben partikular: Moncler Genius
gestaltet kunstvoll gefaltete Daunendecken-Kleidung, Louis Vuitton liebt
bunte Plastikketten, und die Straße spielt sowieso fast immer die
Hauptrolle.
An einer Stelle des Bildbands findet man sich an einem Straßenstand mit
seinen obligatorischen karierten Riesenplastiktaschen neben (aha!) gelben
DHL-Containern wieder und hat damit eine mögliche Erklärung für die
Aufwertung der Nippes-Ästhetik: Jetset ist heute nicht mehr, wer die
schicksten Boutiquehotels bewohnt, sondern wer auch einfach einmal so in
einer aus den Boden gestampften Fly-over-Millionenstadt Asiens oder Afrikas
umherziehen darf.
## Das vermeintlich unmodische Modische
Doch kann kein Mensch je so frei flottieren und diffundieren wie die
Kapitalströme, denen er seine Reise an entlegene Un-Orte verdankt, denn er
ist ja immer noch aus Fleisch und Blut und muss sich daher irgendwie
einkleiden. Auch die Mode, die sich aus Ideen und Sehnsüchten speist, ist
wie ihre Träger_innen an Materie gebunden. Das verflüssigte Zeitalter muss
wenigstens für einen Augenblick kristallin werden, was ob des Tempos in
alle Richtungen zunehmend schwierig wird.
Gut möglich also, dass Carlos Dengler mit seiner Schuhwahl zum
Interviewtermin sehr wohl – unbeabsichtigt – mit der Haltung des
Modevisionärs handelte, indem er schon vor einigen Jahren eine Ahnung davon
hatte, dass, weil restlos alles Mode werden kann, womöglich nur noch
modisch sein wird, was den Unwissenden geradewegs wie eine Absage an jene
erscheint.
4 Feb 2020
## LINKS
[1] /!s=%2522Carlos+Dengler%2522&ExportStatus=Intern&SuchRahmen=Alle/
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[3] /The-soccer-scarf-invades-high-fashion/!5462104
## AUTOREN
Katharina J. Cichosch
## TAGS
Mode
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