# taz.de -- Modedesigner-Nachwuchs im Wettbewerb: Privilegierte Perspektive | |
> Der International Talent Support in Triest ist Seismograf für kommende | |
> Karrieren und Themen. Großes Potenzial hat die Frage des Upcycling. | |
Bild: Schlussbild der Präsentation von Daoyuan Ding bei der Preisverleihung de… | |
Die Welt, sagt Barbara Franchin, sei erschreckend voll mit Zeug, mehr davon | |
brauche es nicht. Was es stattdessen brauche, seien „Dichter, Träumer und | |
Visionäre“. Mode ist ein schwieriges Geschäft geworden. Das merkt auch | |
[1][sie], die 2002 in Triest den Nachwuchsdesigner-Wettbewerb International | |
Talent Support (ITS) für Absolventen der internationalen Modeschulen ins | |
Leben rief. Sie startete damit ein erfolgreiches Projekt. | |
Denn wenn heute international viel diskutierte Modemacher wie [2][Demna | |
Gvasalia] und [3][Peter Pilotto] unter den Finalisten des Wettbewerbs zu | |
finden sind, will das etwas heißen. Liegt Triest doch weitab von jeder | |
Modemetropole. Aber Barbara Franchin erkannte im vermeintlichen Nachteil | |
die Stärke ihrer Unternehmung: Triest bietet die Chance von Begegnungen | |
jenseits der Hierarchien und Konkurrenzverhältnisse, wie sie in den Zentren | |
herrschen. „Wir haben hier“, sagt die Gründerin, „das Privileg einer | |
unabhängigen und ungefilterten Perspektive.“ | |
Dazu kommt, dass es Franchin von Anfang an gelang, nicht nur eine stets | |
hochkarätig besetzte Jury zu gewinnen, sondern auch relevante Sponsoren aus | |
der Modeindustrie, die Preise in den Bereichen Kleidung, Accessoires und | |
Schmuck ausloben. Solche verlässliche Partner sucht Barbara Franchin nun | |
anlässlich des Wettbewerbs 2019 erneut, und zwar zur Unterstützung ihres | |
Programms für nachhaltiges und umweltfreundliches Design. | |
Erstmals nämlich konnte sie am Galaabend am 12. Juli den mit 3.000 Euro | |
dotierten ITS Sustainability Award an die US-amerikanische | |
Schmuckdesignerin Corrina Goutos überreichen. [4][Corrina Goutos] stammt | |
aus Albany in Bundesstaat New York und studierte am Savannah College of Art | |
and Design. Der Launch ihres Labels fand freilich in Berlin statt, am | |
Prenzlauer Berg. Inzwischen lebt und arbeitet sie in Hamburg. | |
## Extravagantes Collier aus armen Materialien | |
Beim Abendessen vor der Preisverleihung fiel mir schon ihr extravagantes, | |
aus armen Materialien, einer großartigen Muschel und heftigen | |
Metallbeschlägen, gefertigtes Collier auf. Das zeichnet das Programm des | |
ITS auch aus: Ständig wird Raum für das zwanglose Aufeinandertreffen und | |
Zusammenkommen der Wettbewerbsfinalisten, der Gäste und der Presse | |
geschaffen, rund 400 Leute, die sich dann in Triest tummeln. Und so | |
unterhält man sich beim Essen mit den Finalisten – falls man das nicht | |
schon am Nachmittag während der Gelegenheit zur Portfoliodiskussion getan | |
hat – und spricht dabei schon mit den späteren GewinnerInnen. | |
In ihren hybriden Schmuckstücken, gefertigt aus BIC-Feuerzeugen, | |
IT-Abfällen, Plastiktuben und natürlichem Material wie etwa Muscheln, | |
erkennt Corrina Goutos „Fossilien der Zukunft“. Denn sie sieht die Stücke | |
in ihrer Zusammenführung von Industrieabfällen mit organischen Stoffen oft | |
weniger als erfunden denn als gefunden an: „Mich fasziniert die Art und | |
Weise, wie es der Natur gelingt, die Überhand zu gewinnen und die vom | |
Menschen verursachten Schäden zu glätten“, sagt sie beim Essen. | |
Am Tisch saß auch [5][Rafael Kouto,] Schweizer Designer mit afrikanischen | |
Wurzeln, der später für seine Kollektion, die Streetwear mit afrikanischen | |
Schnitten und Stoffen mixt, mit dem Diesel und dem Lotto Sport Award | |
ausgezeichnet wurde. Auch er wäre ein guter Kandidat für den ITS | |
Sustainability Award gewesen, denn er fertigt seine grandiosen Stücke | |
ausschließlich aus Stoffen und Materialien, die von den Herstellern | |
aussortiert wurden. Er zerlegt sie und verwertet dann die Einzelteile. | |
Dass Kleidung primär nicht mehr zerlegt wird, um etwa die Morphologie des | |
traditionellen Anzugs in Frage zustellen und neue Formen zu entwickeln, | |
sondern um Reste zu retten und Material und Handwerk achtsam einzusetzen, | |
ist ein wesentlicher Aspekt, der hier deutlich wird. Er unterscheidet | |
aktuelle Entwurfskonzepte von der sogenannten Mode nach der Mode. Zum | |
ersten Mal seit 18 Jahren, sagt denn auch Barbara Franchin, erkenne die | |
Jury einen Ansatz, dem die absolute Mehrheit der Teilnehmer folge, nämlich | |
Upcycling. Nie zuvor gab es eine solche Übereinstimmung. | |
## Das Format des Kurzinterviews und seine Tücken | |
Es scheint also eine gute Idee zu sein, dass ich mich auf das Jurymitglied | |
[6][Marie-Claire Daveu] stürze, die bei Kering, zu dem unter anderen Marken | |
wie Gucci, Saint Laurent und Balenciaga gehören, für das Thema | |
Nachhaltigkeit verantwortlich ist. Das Format des Kurzinterviews erlaubt | |
während der Portfolioschau, den Finalisten einige interessante Statements | |
zu entlocken, und es taugt auch dazu, Einschätzungen der Jury abzurufen. | |
Für weitergehendes Nachfragen freilich bietet es keinen Raum. Und leider, | |
mehr als diesen 15-Minuten-Slot bekomme ich nicht für ein Gespräch mit | |
Marie-Claire Daveu. Bedauerlich. Denn Daveu wurde nicht aus der Politik | |
geholt – von 2010 bis 2012 war sie Büroleiterin der französischen | |
Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet – um bei Kering Green Washing | |
zu betreiben, sondern ernsthaft die Probleme anzugehen. | |
Seit 2010, also schon bevor Daveu zum Luxuskonzern stieß, durchleuchtet | |
Kering systematisch die eigene Produktion und die gesamte Lieferkette auf | |
Umwelt- und Sozialwirkungen hin. Seit 2015 wird eine „ökologische | |
Gewinn-und-Verlust-Rechnung“ veröffentlicht. Wie sieht die genau aus, will | |
ich wissen, und wie reagiert die Finanzindustrie darauf? | |
Denn beim Copenhagen Fashion Summit im Mai dieses Jahres sprach der | |
Eigentümer von Kering, [7][François-Henri Pinault], davon, dass die | |
Finanzinstitutionen, also wohl Ratingagenturen, Banken und Investoren, ihre | |
Kriterien für die Berechnung des Unternehmenswerts ändern müssten: „Das | |
sind zehn Personen, die es zu überzeugen gilt und damit könnten wir das | |
Business as usual-Prinzip aushebeln“, zitierte ihn die Fachpresse. | |
## Der sogenannte integrierte Bericht | |
Die Finanzindustrie sei interessiert, sich zu informieren, sagt nun sein | |
Chief Officer of Sustainability in Triest. Man arbeite gemeinsam an der | |
Entwicklung eines sogenannten integrierten Berichts, in den alle Daten | |
eingehen, nicht nur die ökonomischen. Das sei gerade wirtschaftlich | |
notwendig: „Wir müssen wissen, welche Folgen der Klimawandel für unsere | |
Rohstoffe wie Baumwolle oder Kaschmirwolle hat“, sagt Daveu, die einen Stab | |
von 25 Mitarbeitern leitet. | |
Dieser integrierte Bericht soll standardisiert werden und die gesamte | |
Textilindustrie ihn übernehmen. „Ende April erreichte François-Henri | |
Pinault ein Brief des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, in dem er | |
ihn bat, eine internationale Koalition von Modeunternehmen zu bilden“, | |
berichtet sie. Pinault solle dazu, so der Wunsch des Präsidenten, auf dem | |
G7-Gipfel vom 24. bis 26. August in Biarritz berichten. „Wir arbeiten dafür | |
an drei Punkten, Klimawandel, Verlust der Biodiversität und der Schutz der | |
Meere.“ Konkreteres kann oder will sie nicht sagen, die Namen der Firmen, | |
die dabei sind, werden erst zum G7-Gipfel veröffentlicht. | |
Die Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft, sagt | |
Daveu, „gehört zur DNA einer Luxusmarke“, und sie betont, dass das auch f�… | |
ihre Kunden in China gelte, die „mehr und mehr Fragen zu Nachhaltigkeit und | |
Fairness stellen“. Aus China, genauer aus der Stadt Zhoushan in der | |
südostchinesischen Provinz Zhejiang, kam der Gewinner des ITS-Awards, | |
[8][Daoyuan Ding,] der eine außergewöhnliche Männermodenkollektion | |
vorstellte. | |
## 2020 in neuen Räumlichkeiten | |
Auch der Absolvent des London College of Fashion verwendete für seine | |
rasanten, breit geschnittenen Anzüge umweltfreundliche Baumwolle und Wolle. | |
Wie bei allen Gewinnern beinhaltet sein Preisgeld von 15.000 Euro den | |
Ankauf eines seiner Ensembles für das ITS-Archiv. Viel zu lange schon war | |
dieses beengt in einem Dachstuhl untergebracht. | |
2020 wird es in Triest besonders aufregend werden. Barbara Franchin hat | |
7.000 Quadratmeter in einem Gebäude gefunden, in dem im nächsten Jahr die | |
ITS Academy eröffnen wird. Dort gibt es dann genügend Raum für das | |
großartige Archiv, neben den Organisationsbüros und Räumen für Workshops | |
und Ausbildungszwecke. | |
6 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.businessoffashion.com/community/people/barbara-franchin | |
[2] https://www.zeit.de/zeit-magazin/2016/09/demna-gvasalia-mode-design-balenci… | |
[3] https://www.elle.de/designer/peter-pilotto | |
[4] https://artjewelryforum.org/corrina-goutos | |
[5] https://prohelvetia.ch/de/2018/06/designer-rafael-kouto-im-atelier/ | |
[6] https://www.businessoffashion.com/community/people/marie-claire-daveu | |
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Fran%C3%A7ois-Henri_Pinault | |
[8] https://www.daoyuan-ding.com/ | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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