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# taz.de -- Mode in Thailand: Ein Fest der Nachhaltigkeit
> In Chiang Mai nutzen Modemacher traditionelle Techniken und
> Naturmaterialien, um ein Zeichen gegen schnellen Konsum zu setzten.
Bild: Modenschau in Chiang Mai: Bei so viel Bewegung hat Nachhaltigkeit es nich…
Dass Plastiktüten verboten sind, steht gleich am Eingang des
allsonntäglichen Jing-Jai-Markts auf großen Tafeln gedruckt. Im
gemächlichen Beat von Chiang Mai, Thailands zweitgrößter Stadt im bergigen
Norden des Königreichs, spazieren Menschen unter quietschgrünen
Flammenbäumen und Sonnenschirmen in Rot und Gelb, Finger greifen nach
handgeformter Keramik, ökologischem Kaffee und nach Baumwolle und Hanf,
lokal verarbeitet zu Kleidern, Hosen, Taschen, Hemden – ein Fest des
Selbstgemachten und der Nachhaltigkeit.
So zu leben, dass die Natur keinen Schaden nimmt, hat in Thailand nicht
unbedingt Priorität. Mehr als 2.900 Plastiktüten nutzt ein Thai
durchschnittlich im Jahr, ließ die thailändische Regierung 2017
herausfinden – das ist das Hundertfache des damaligen Werts in Deutschland.
Schräg links hinter der aus Bambus gefertigten Singer-Songwriter-Bühne des
Markts packt Pom Pam jede Woche seine Taschen aus. Der 28-Jährige trägt
schwere silberne Ohrringe, eine Zahnspange und, bis die Mittagssonne zu
warm wird, einen Kragen aus Kunstfell. Bei seinem extrovertierten Stil
überrascht, wie sanft der Designer spricht. Seine Kleiderstange zeigt weite
geradlinige Kleider aus naturbelassener Baumwolle, minimalistisch, mit und
ohne Kragen und Knöpfen aus Holz.
Thailand, das ist schneller Konsum. T-Shirts kosten weniger als drei Euro,
geeister Matcha-Tee wird auch dann in Plastik kredenzt, wenn er vor Ort
getrunken werden will, und Essen wird verkauft von einklappbaren Ständen,
die durch Straßen rollen. Was gerade noch ist, scheint in der nächsten
Stunde nie gewesen zu sein – kurzfristige Lösungen geben eben Flexibilität.
Bei so viel Bewegung haben es Ideen von Nachhaltigkeit nicht leicht.
## Motive aus Flora und Fauna
Thailand ist aber, insbesondere im Norden, auch von Generation zu
Generation vererbtes handwerkliches Wissen um Ressourcen und deren
natürliche Verarbeitung, verankert in mannigfaltigen lokalen Kulturen.
Dieses Wissen begannen junge Designer*innen in Chiang Mai anzuzapfen, als
zunächst das Färben von Textilien mit Indigo vor gut fünf Jahren zum Trend
wurde. Seitdem entsteht in Nordthailand mehr und mehr nachhaltige Mode für
den nationalen und internationalen Markt.
Für jede neue Kollektion seiner Marke „Krit Boutique“ geht Pom Pam in ein
neues Dorf, lebt einen Monat lang mit den dortigen Weberinnen und lernt,
was diese über die Herstellung von Textilien wissen, über das Färben, die
Schnitte und die Muster. In der Provinz Nan etwa hat er mit der Volksgruppe
der Lahu zusammengearbeitet und mit Lawa-Weberinnen aus Mae Hong Son. „Was
ich an dieser Kultur hier liebe, ist ihre Vielfalt“, sagt Pom Pam.
Mindestens zehn ethnische Gruppen leben im Norden Thailands, meist als
Landwirt*innen auf entlegenen Bergzügen. „Hill Tribes“ nennen sie die
Thais. Vor gut 300 Jahren mehrheitlich aus China nach Thailand migriert,
drücken diese der Natur verbundenen Gruppen ihre Identitäten durch eigene
Sprachen, Feste und Bräuche aus – und eben durch Textilien. Für Hmong etwa,
deren Sprache kein Schriftbild kennt, sind diese quasi als Medien derart
zentral, dass der Brauch zu jedem Neujahrsfest im März neue Kleidung
verlangt.
Sie werden aus robusten, Kälte trotzenden Stoffen gefertigt, denn auch in
Nordthailand kann es zu winterlichen Temperaturen kommen. Mit leuchtendem
Blau und Grün, Pink, Lila und Orange werden Motive aus Flora und Fauna
eingewoben. Vier um ihre Spitzen zu einem Quadrat arrangierte Dreiecke
stehen für Berge, zickzackende Rauten für den Wellenschlag des Mekong.
## Vier Monate für ein Paar Jeans
Für ethnische Thai ist die Kultur um Textilien nicht minder wichtig. In
diese Techniken und Traditionen einzutauchen, verlange anthropologische
Feldforschung, sagt Pitsamai Arwakulpanich, Dozentin für thailändisches
Textildesign an der Chiang Mai University. Denn „gelernt wurde und wird
durch Beobachtung“, wie sie sagt. Die Weberinnen seien es nicht gewohnt,
Worte für ihr Schaffen zu finden. Das erschwere den Austausch.
Wenn aus Traditionen plötzlich Neues entstehen soll, stoßen Designer*innen
nicht immer auf Begeisterung. „Das Dorf war anfangs gegen unsere Idee der
natürlichen Jeans“, sagen Nattapong Moongnaem, 31, und Adchanapong
Achanawarata, 33, die zusammen „Dye Dee“ gegründet haben. Der erste Schritt
im Businessplan war deshalb, sich das Vertrauen der lokalen Weberinnen und
Schneider zu erarbeiten.
„Die Jeansproduktion setzt immer auf Chemie. Hier in Nordthailand haben wir
das Wissen, um es anders zu machen – das wollten wir nutzen“, sagt
Achanawarata. Das jeanstypische Blau kommt mit den Blättern der
Indigo-Pflanze und nicht mit künstlichen Substanzen wie in der
industriellen Produktion in die Baumwolle. In Handarbeit werden daraus an
einem Stück bis zu 18 Meter Stoff gewoben, was für etwa 20 Jeans reicht,
und von Hand wird auch vernäht. Seit zwei Jahren experimentieren die beiden
mit verschiedenen Jeanstypen. Weicher als gewöhnliche Jeans fühlen sie sich
an – auch, wenn beispielsweise Fasern aus wiederverwendetem Plastik genutzt
werden.
Unter den neun Jeansarten, die derzeit bestellt werden können, haben beide
den gleichen Liebling. „Typ drei war die erste Jeans, die wir der
Öffentlichkeit vorgestellt haben“, sagt Moongnaem. Das war auf der Chiang
Mai Design Week 2017. „Ein paar Europäer haben damals zugeschlagen. Dann
kam der erste thailändische Kunde, er postete die Jeans auf Facebook –
seitdem läuft es auch mit den Bestellungen aus Thailand“, sagt
Achanawarata. 100 maßgeschneiderte Hosen sollen die beiden mittlerweile
verkauft haben, die günstigste kostet 9.000 Baht – etwa 240 Euro. Bis ein
Paar fertig ist, vergehen vier Monate.
## Königin Sirkit ist von Mode begeistert
Chiang Mai ist alt, wurde im 13. Jahrhundert Hauptstadt des Königreichs
Lanna. Egal, wo man in der Stadt ist: Die Natur winkt am Horizont. „Die
Atmosphäre hier bringt dich als Designer nach vorne“, sagt Imhathai Kunjina
vom staatlich getragenen TCDC, dem Thailand Creative and Design Center in
Chiang Mai. In dem Bau mit viel Glas und Licht wird in Workshops und einer
modernen Bibliothek Design, Kulturgeschichte und Marketing vermittelt.
Kunjina, 36 Jahre alt, selbst auch Designerin, unterstützt die Menschen in
der Region dabei, ihr Können wirtschaftlich zu nutzen und Produkte zu
vermarkten. Lokales Handwerk und junge Kreativität jeweils nach vorne und
zusammenzubringen, sei noch ziemlich neu für Thailand, sagt sie.
Dass die Regierung Thailands überhaupt seine traditionelle Textilwirtschaft
fördert, hängt mit Königin Sirikits Begeisterung für das Kulturgut
heimischer Mode zusammen. Die Gattin des 2016 verstorbenen Königs Bhumibol
startete in den 1970ern entsprechende Programme, 2003 eröffnete ihr Museum
für thailändische Mode. Doch so wichtig die königliche Unterstützung für
die ländliche Bevölkerung an den Webstühlen vor allem aus ökonomischer
Sicht war: Den Textilien hat das den Stempel des Altbackenen aufgedrückt.
## Langsamkeit als neuer Trend
„Diese Mode war einfach nicht für mich gemacht“, sagt Yotsuwit Boonprasert.
Dass der 30-Jährige Modedesigner nicht nur in Bangkok, sondern auch in
Großbritannien studiert hat, hört man seinem Englisch an. In Chiang Mai
gründete er 2016 sein Unternehmen Weaving United, das ausschließlich
Herrenhemden produziert. Chiang Mai sei der Ort schlechthin für natürlich
hergestellte Textilien, sagt er – „die Leute wissen hier, was sie tun“.
Gefärbt werden auch seine Stoffe mit Indigo, für Nuancen wetzen die
Weberinnen die Stoffe mit Steinen ab.
„Wir müssen all dieses Wissen konservieren, aber es auch weiterentwickeln“,
sagt Boonprasert. Weil die traditionelle Kleidung Nordthailands früher vor
allem für prunkvolle Festlichkeiten gemacht wurde, war der Tragekomfort
zweitrangig. „Anfangs waren die Stoffe sehr dick und nicht
alltagstauglich“, sagt Boonprasert. Mit Viskose seien die Baumwollhemden
inzwischen angenehm zu tragen. Es sei eher gemeinsames Lernen als
Konkurrenz, was er in der Modeszene am Ort erlebe.
„Vor zehn Jahren war Fast Fashion alles, worüber wir nachgedacht haben“,
sagt Boonprasert. Der neue Trend aber sei, die Sache langsam anzugehen. Und
sich anzuschauen, was da ist. „Wenn dir natürliche Ressourcen am Herzen
liegen, sei in Chiang Mai“, sagt Boonprasert. „Und wenn nicht: Geh nach
Bangkok.“
10 Jun 2019
## AUTOREN
Natalia Bronny
## TAGS
Mode
Nachhaltigkeit
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Textilien
Schwerpunkt Coronavirus
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