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# taz.de -- Technofestival „Balance“ in Leipzig: Vom Exzess zum Diskurs
> Zum zweiten Mal steigt in Leipzig das feministisch geprägte Clubkultur-
> und Technofestival „Balance“: vier Tage Diskussionen, Workshops und
> DJ-Sets.
Bild: Die US-Produzentin Lyra Pramuk in Leipzig
„Shake the patriarchy“ hieß im letzten Jahr die Abschlussveranstaltung des
Balance-Festivals, das damals zum ersten Mal in Leipzig stattfand. Und das
Motto leitet direkt zur nun startenden zweiten Ausgabe des Festivals für
Clubkultur über. Offensiv, interdisziplinär, feministisch will die
Veranstaltung sein, die etwa die Hamburger Produzentin Helena Hauff, die
polnische DJ und Performerin VTSS und die australische Klangforscherin
Carla dal Forno aufbietet.
2019 ist das Programm noch politischer geworden. „Mit allen Konzerten und
Fragestellungen ist es insgesamt ein klares Statement für Empowerment und
Diversität“, erklärt Mitveranstalter Franz Thiem. Sein Team hat sich
vergrößert. Außerdem ähnelt das Tagesprogramm, das vorher eher nebenher
lief, mit über 15 kostenfreien Workshops, Vorträgen und Panels fast einer
Konferenz.
Dort wird diskutiert, wie sich Identitäten dekonstruieren und Normen
aufbrechen lassen, wie strukturelle Ungleichheiten destabilisiert werden
können. Denn alle strukturellen Ungerechtigkeiten, die es außerhalb von
Clubs gibt, gebe es eben auch im Club, bei den Acts und im Publikum, da
sind sich die VeranstalterInnen sicher. „Diese aufzubrechen ist nicht nur
eine Notwendigkeit, sondern macht auch Spaß“, betont Thiem.
## Gegenkultur entwickeln
Dennoch, Clubs sieht er als Orte gesellschaftlicher Innovationen, als
Freiräume, egal ob in Bezug auf Musik, Mode, Bewegungen und Kunst im
Allgemeinen. „Vieles, was durch die Blaupause eines Exzess- und
Experimentierraums möglich wird, findet sich nachher auch außerhalb
wieder“, hat der Mitbegründer des Leipziger Technoclubs „Institut für
Zukunft“ beobachtet. „Clubkultur ist mittlerweile ein Massenphänomen. Wenn
wir unsere Räume bewusst gestalten, Line-ups zusammenstellen, die divers
sind, zusätzliche Diskursräume anbieten, eine Kultur des Caring etablieren,
dann ist das nicht nur eine klare Gegenkultur zum kapitalistischen
Grundkonsens, sondern wir erreichen damit viele Menschen.“
Viele der eingeladenen Acts richten zu Hause selbst Partyreihen aus, die
sich mit ähnlichen Fragen beschäftigen und etwa Räume für People of Color
kreieren – wie die New Yorker Produzentin Tygapaw, die Partys für queere
jamaikanische ImmigrantInnen auf die Beine stellt. Oder der New Yorker DJ
LSDXOXO, der bei seinen „Baltimore Club Music-Sets“ Frauenkleider trägt.
Oder die DJ und Performerin Juliana Huxtable, die mit „Shock Values“ eine
Partyreihe für Transgender veranstaltete.
Um sich Clubkultur jenseits von europäischen und US-Standards anzunähern,
waren Thiem und seine Kolleginnen zur Vorbereitung in Costa Rico und
Mexiko. „Die Reise hat uns verdeutlicht, dass Clubkultur nur als politische
Praxis Sinn macht, die als kulturelle Gegenbewegung agiert, Menschen
selbstbewusst macht und Räume der Subversion schafft“, fasst Thiem
zusammen.
## Morde an Frauen
Auf Costa Rica in der Hauptstadt San José stellten sie fest, dass sich die
feministische Gruppen dort vor allem mit Frauenmorden beschäftigten. „Uns
wurde sofort klar: Das politische Setting ist ein anderes – Konflikte in
einem konservativ-katholisch geprägten Land sind viel existenzialistischer.
Clubkultur, wie wir sie kennen, ist ein Privileg, das man erst einmal haben
muss.“
Ein Privileg, das in Mexiko weit weniger selbstverständlich ist als in
Leipzig. Thiem beobachtete, dass dort fast alle subkulturellen Orte in
kleinen Bars oder Privaträumen stattfinden – weder Clubkultur noch
alternative Veranstaltungen werden durch offizielle Stellen als kulturelle
Bereicherung wahrgenommen und dementsprechend auch nicht gefördert.
„Im Gegenteil: Läden werden geschlossen, feministische Aktivitäten sind
verpönt“, sagt Thiem. Das habe erhebliche Auswirkungen auf die Szene. „Es
findet kaum Vernetzung im politisch-kulturellen Sinne statt.“ Die Räume,
die existieren, seien männlich geprägt, ein Bewusstsein für
Gender-Diversity, Diskriminierung und Hierarchien gebe es vielerorts nicht.
Umso wichtiger, dass aus Mexiko-Stadt die Musikerin, Tech-Feministin und
Aktivistin Constanza Piña nach Leipzig kommt. Neben einem Workshop und
einem Konzert wird sie auch Auskunft darüber geben, wie die subkulturelle
Praxis in Mittelamerika auch Räume frei von sexistischer Gewalt erschafft.
An Diskussionen und Ideen, wie man das Patriarchat hier und da ordentlich
durchschütteln kann, wird es also nicht mangeln.
29 May 2019
## AUTOREN
Juliane Streich
## TAGS
Leipzig
Clubkultur
Balance-Festival
Feminismus
Diversität
Mode
Experimentelle Musik
House
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