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# taz.de -- Mode in Vietnam: Der vielleicht demokratischste Zweiteiler der Welt
> Ein ikonisches Kleidungsstück, der Đồ bộ, droht aus Vietnam zu
> verschwinden. Bitte nicht!
Bild: Ihre Kleidung muss praktisch, bequem und unkompliziert sein: Street Food …
Beim Frühsport, beim Einkauf, beim Kartenspiel. In der Hocke sitzend, auf
einem Motorrad fahrend, Suppe am Imbissstand schlürfend. Sie sind überall
in Vietnam: Frauen in bunten Zweiteilern, geblümt, kariert, gepunktet oder
alles zusammen. Inmitten des vietnamesischen Stadtbildes, das ja sonst eher
pragmatisch-chaotisch erscheint, sind sie wandelnde Blumensträuße, die eine
beruhigende Süße verströmen.
Đồ bộ heißen die Zweiteiler, und sie sind für vietnamesische Frauen die
Kleidung ihres Alltags, weil sie diesen nun einmal so sehr erleichtern. Đồ
bộ sind bequem und günstig in der Anschaffung. Sie ersparen ihren
Trägerinnen, sich unnötig über die tägliche Garderobe Gedanken machen zu
müssen, und sie sind funktional. Dank seitlicher Hosentaschen und
Einsteckmöglichkeiten im Hemd können Schlüssel und Kleingeld
handtaschenfrei transportiert werden.
Vor allem von den sogenannten [1][Street Food] Ladies werden Đồ bộ
getragen, also von Frauen, die mit ihren Essensständen die
Begegnungsstätten schlechthin geschaffen haben und diese anmutig regieren.
Und das findet nun mal für gewöhnlich in der Hocke statt, weshalb ihre
Kleidung schön sein kann, aber praktisch, bequem und unkompliziert sein
muss.
Außerhalb von Vietnam werden die Đồ bộ fälschlicherweise als Pyjama
stigmatisiert, und auf den ersten Blick erinnern sie tatsächlich ein wenig
an Schlafkleidung aus dem globalen Westen. Doch ihr Schnitt offenbart feine
Unterschiede. Đồ bộ sind gerade so figurbetont, dass es nicht zu
schlumpig-schlafig aussiehen, ihre Taille ist gerade so weit angedeutet,
dass sie der Silhouette etwas Elegantes verleiht.
## Bunte Zweiteiler als Alltagsmontur
Gefertigt sind sie aus leichten Materialien wie Baumwolle, Seide oder, na
gut, manchmal auch aus Polyester, und ihr Farbmustermixspektakel erzählt
von dem Land, aus dem sie stammen. Von Straßen, in denen kirschrote
Plastikhocker neben knallblauen Plastiktischen stehen.
Wo aus orangen Plastikschalen gegessen wird, während die Händlerinnen
[2][frische grüne Kräuter] in gigantischen pinken Plastiksieben abtropfen
lassen. Und drumherum Lampions, Wäsche, Reklameschilder, Stromkabel. In
Vietnam existiert die Farbe Beige nur in Form des Baguettes Bánh mì.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zum westlichen Pyjama liegt im
Ursprung des Kleidungsstücks, dem Áo bà ba – übersetzt: „Omas Hemd“. …
ikonische Oberteil ist aus Seide, kragenlos, vorne geknöpft und seitlich
geschlitzt. Im 19. Jahrhundert entdeckte der Gelehrte Trương Vĩnh Ký das
Hemd auf der heute zu Malaysia gehörenden Insel Penang und brachte es von
dort aus nach Vietnam.
Dort wurde es in den ländlichen Gemeinden des Mekongdeltas zum Zweiteiler
erweitert und zur Alltagsmontur. Einfarbig und mit passender Hose wurde es
von Frauen und Männern gleichermaßen beim Kochen oder auf den Reisfeldern
geschätzt. Bekanntheit erlangte vor allem der schwarze Áo bà ba, als er von
den amerikanischen Streitkräften im Vietnamkrieg als Việt-Minh-Uniform
fehlgedeutet wurde. Dabei eignete sich Schwarz – wie auch Braun – einfach
gut für die schmutzintensive Draußenarbeit.
Merkmale des Áo bà ba wie die seitlichen Schlitze oder die Kragenfreiheit
finden sich auch in den Đồ bộ wieder. Vielleicht liegt es am Ende des
Krieges, dass die Kleidung mit der Zeit bunter und gemusterter wurde. Doch
wie es mit Aufwärtsbewegungen so läuft: Pragmatismus und Fortschritt haben
zwar verwandte Intentionen, führen aber nicht zwingend in die gleiche
Richtung.
Während Vietnam sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer der am
schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Asiens entwickelte, haben sich die
Ansprüche verändert. Kleidung wird nicht mehr nur aus praktischen Gründen
gewählt.
## Der Duft der Heimat
Die Töchter und Enkelinnen der Street Food Ladies von heute wachsen in
relativem Wohlstand auf, und mit dem Privileg, sich über Mode auszudrücken
und das eigene Individuum zu zelebrieren. Statt dass an kleinen Ständen
dieses und jenes gekauft wird, findet [3][Shopping] in der klimatisierten
Mall statt, mit internationalen Produkten und einer unendlichen Auswahl.
Und so werden Traditionen auf einmal als rückständig betrachtet und
hinterfragt. Wie etwa durch die Schauspielerin Tuyền Mập, die 2021 im
vietnamesischen Fernsehen über die Kleiderwahl vieler Landsfrauen klagte:
„Das Erschreckendste sind Bilder von Menschen in Pyjamas. Es ist unmöglich
zu verstehen, warum solche Kleidung auf der Straße getragen wird.“ In den
sozialen Netzwerken entfachte Mậps Unverständnis eine Welle der Gegenwehr –
doch es gab auch einige Zustimmung.
Einen gänzlich anderen Blick offenbart der Schneider Thành Duyên, der seit
mehr als dreißig Jahren Đồ bộ herstellt. Im Interview mit dem Magazin Ng�…
Sao vergleicht er sie mit dem Duft der Heimat, den jedes Kind in der Ferne
vermisst, und bedauert, dass die fröhlichen Zweiteiler sich „im Laufe der
Jahre in der Küche versteckt“ haben.
Was schade ist. Denn in Städten voller kuratierter Kleidungsstücke können
Đồ bộ eine tröstliche Erinnerung an Zeiten sein, in denen das Tempo
unmotorisiert und das Leben einfacher war. Und ganz konträr zu dem Vorwurf,
die Zweiteiler seien unangezogen-unhöflich, sind sie in Wirklichkeit doch
sehr sozial: Niemals müssen sich die Menschen, denen eine Đồ-bộ-Trägerin
begegnet, underdressed und dadurch weniger wert fühlen.
Das Outfit vermittelt Gleichheit, es ist kein Statussymbol, sondern
Ausdruck von einem uneitlen Zusammenleben, von Zugänglichkeit und Respekt.
Das Leben in Vietnam findet nun mal draußen und im steten Kontakt mit
anderen statt, und diese Grundzutaten sind unentbehrlich für einen guten
Schnack und Tratsch.
20 Jul 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Du Pham
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