# taz.de -- Tradwives, Clean Girl, Cottage Core: Rückschritt in Beige | |
> Wer in Fast-Fashion-Fillialen shoppt, findet Klamotten in gedeckten | |
> Tönen. Dahinter steckt ein konservativer Modetrend: das sogenannte „Clean | |
> Girl“. | |
Bild: Individualität geht beim Clean-Girl-Trend flöten | |
Eine glatt gebügelte Welt empfängt mich. Auf den ersten Blick ist alles | |
schwarz-weiß. Dann erfasst mich eine beige Welle. Zwischen den Gängen | |
erhasche ich ein paar Tupfer Dunkelblau, Rosa und eine Ecke, die dem | |
Leoprint verschrieben ist. Ich stehe in einer H&M-Filiale, dem Reich aus | |
100 Prozent recyceltem Polyester und einem verzweifelten Hauch Baumwolle. | |
Die Stoffe gleiten zwischen meinen Finger: dünn, glatt und synthetisch. Das | |
Plastik reibt kalt. Anderes wiederum ist fest, hart und rau, als würden | |
sich die Teile dem Körper nicht anschmiegen wollen – wie Jeans, die mit zu | |
viel Waschmittel gewaschen wurden. | |
Wenn ich die Klamotten anziehe, sehe ich um sieben Jahre älter aus, ich | |
erkenne mich nicht wieder. Diejenigen, die das kaufen, wirken meist so, als | |
wollten sie einem unerreichbaren Luxus mit Billigklamotten nacheifern. | |
Mit einem beigen Blazer sieht eine Kundin in ihren Zwanzigern aus wie eine | |
Geschäftsfrau: professionell, erfolgreich und eben älter. Ein | |
schwarz-weißer Strukturstrick-Cardigan lässt sie wie eine Jura-Studentin | |
wirken, die Hermès-Taschen und Perlenketten besitzt. Mit weißen | |
Baumwolltops, beigen Hosen aus synthetischer Viskose und anderen Klamotten | |
im gleichen Stil bedient H&M den konservativen Clean-Girl-Trend. Die | |
Ästhetik setzt auf Minimalismus – in Stoff und Farbe. | |
Mit den Blazern und Anzughosen in gedeckten Tönen und einem makellos dezent | |
geschminkten Gesicht wird ein Bild erfolgreicher Eleganz geschaffen. „Der | |
stille Luxus ist der Kern des Clean Girls, das Ausdruck eines konservativen | |
Weltbildes ist“, sagt Carl Tillessen, Autor und Trendanalyst für Mode am | |
deutschen Modeinstitut. Der Trend richtet sich an den männlichen Blick und | |
inszeniert eine Reinheitsästhetik, die auf ein zutiefst konservatives | |
Frauenbild verweist. | |
## Was sagen die Kundinnen? | |
Konservative Mode heißt: geschlossene Dekolletés, neutrale Farben und so | |
wenig Haut wie möglich zeigen, im Falle des Clean Girls natürliche | |
Schönheit, mit wenig Make-up. Der Trend wird medial von weißen Frauen | |
dominiert. Doch wie nehmen die Käufer:innen diesen Stil wahr – als | |
politische Aussage oder bloß als modischen Ausdruck? | |
Dass Klamotten eines Fast-Fashion-Ladens politisch seien, auf diese Ansicht | |
trifft man im H&M eher nicht. Eine Kundin sagt, sie kaufe die Klamotten, | |
weil sie dem Mainstream folge, eine zweite, dass die Kleidung einfach nur | |
schön aussehe. Eine dritte sagt, sie könne sich nur günstige Kleidung | |
leisten und kaufe eben das, was der Klamottenladen gerade anbiete. Einer | |
weiteren Kundin gefällt die Zeitlosigkeit des Clean-Girl-Trends: „Dadurch | |
kann ich die Klamotten auch noch in zehn Jahren tragen und sie sind nicht | |
aus der Mode gefallen.“ | |
Die Kund:innen verbinden mit den Klamotten neben der Zeitlosigkeit eine | |
stille Eleganz, also chic zu sein, ohne verkrampft zu wirken. Doch das | |
Ergebnis liest sich oft wie ein Versuch, über Mode den Lebensstil von | |
reichen Influencer:innen zu imitieren. Die Klamotten scheitern | |
spätestens, wenn man die Stoffe ertastet und vom Polyester erschaudert. | |
Im H&M wird nicht nur das Clean-Girl fündig. Zwischen den minimalistischen | |
Luxusimitaten finden sich einige extravagante Teile: geraffte weiße Shirts | |
und asymmetrische drapierte Tops, die den Rücken freilassen. Ein braunes | |
enges Kleid, fast ausschließlich aus Polyester, und mit einer altbackene | |
Kreppoptik, die man nur von Gardinen kennt. In solchen exklusiven | |
Klamotten, die für spezielle Anlässe dienen, finden sich Bezüge zur | |
Tradwives-Mode wieder. Angehaucht von US-amerikanischen Hausfrauen aus den | |
50ern und deren sexistischer Unterdrückung verbinden sich in der Mode der | |
Tradwives (kurz für traditional wives) deckende Farben mit extravaganten | |
Schnitten. Mit dem Abendkleid in der Küche stehen und für den Ehemann | |
kochen? Die traditionellen Ehefrauen machen das ohne Widerrede. | |
Ein Gegenstück zu eleganten Anzughosen und Midikleidern ist der ländliche | |
Cottagecore-Trend, der zu Teilen bei H&M, aber vor allem bei der | |
Fast-Fashion-Kette Bershka Regale füllt. Hier ist es blumig, flowig, | |
unbeschwert. Im Bershka wird man mit der Kleidervielfalt überfordert. Der | |
Frühling naht. Oder doch der Konservatismus? Ob Clean Girl, Tradwives oder | |
Cottagecore – Expert:innen ordnen all diese Trends kritisch ein. | |
Die Modejournalistin Antonia Valentina Herbort sagt, wo die meisten | |
Fast-Fashion-Läden früher ganz viele Pailletten, ausgefallene Neonmuster | |
und Riesenketten verkauften, setzen nun H&M und Co auf minimalistischen | |
Luxus, Zeitlosigkeit oder wie in Bershkas Fall auf verspielte Naivität: | |
„Tradwives, Clean Girl Ästhetik und Cottage Core verbindet eine bestimmte | |
Art und Weise von Weiblichkeit. Sie sagen: Wenn man sich so kleidet und so | |
verhält, dann kann man genauso erfolgreich sein, wie es das Image des Clean | |
Girl vorgibt, und genauso gutmütig, friedliebend wie im Cottage Core und so | |
romantisiert wie Tradwives.“ | |
Der Designer und Trendanalyst Carl Tillessen sagt: „Der Clean-Girl-Trend | |
kommt aus der weißen Oberschicht, ist Personifikation des vererbten | |
Reichtums und somit eine elitäre und konservative Gegenreaktion zur | |
Hip-Hop-Attitüde, die insbesondere People of Color in den letzten zehn | |
Jahren prägten und mit ihm mehr Vielfalt, Freiheit und Sichtbarkeit | |
erkämpften.“ Der Clean-Girl-Trend radiere Vielfalt aus, wie man auch in den | |
sozialen Medien sehen könne. | |
Eine Sprecherin von H&M hält dagegen: „Wir sind uns bewusst, dass Mode ein | |
Ausdruck von Identität und kulturellen Trends ist und somit auch | |
gesellschaftliche Diskurse widerspiegeln kann. Zugleich möchten wir jedoch | |
betonen, dass unsere Kleidungsstücke in erster Linie als modische | |
Ausdrucksform konzipiert sind und nicht dazu dienen, bestimmte Ideale zu | |
unterstützen und zu fördern.“ | |
Tillessen wünscht sich mehr Bewusstsein für Klamotten und deren nonverbale | |
Kommunikation. Gleichzeitig bittet der Experte um mehr Milde: „Wir folgen | |
Trends, weil wir akzeptiert und geliebt werden wollen. Das ist vollkommen | |
natürlich.“ | |
Die Politik der Mode bleibt eine gesellschaftlich unsichtbare Macht. Durch | |
ihre subtile Wirkung ist Mode so einflussreich: Sie flüstert, und darin | |
liegt ihre stille Gefahr. So kann der beige Blazer einen stillen | |
Rückschritt im Gewand der Eleganz bergen. | |
1 May 2025 | |
## AUTOREN | |
Julia Schöpfer | |
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