# taz.de -- Politik und Kleidung: Die Grenzen des Tragbaren | |
> Rechten Ideologen fehlt es nicht nur innerlich an Stil. Ein Experte für | |
> Männermode erklärt, was bei der Kleiderwahl von Höcke und Co falsch | |
> läuft. | |
Bild: AfD-Mann Chrupalla, Detailaufnahme | |
Selbstverständlich ist es naiv zu behaupten, in der Politik würde Kleidung | |
keine Rolle spielen – Politikerinnen wissen das schon seit Jahren. | |
[1][Claudia Roth], [2][Annalena Baerbock], [3][Angela Merkel,] [4][Saskia | |
Esken], sie alle mussten sich schon dummes Zeug über ihre Kleiderwahl | |
anhören; meistens von rechten bis rechtsradikalen Männern, meistens ohne | |
Sinn und Verstand, immer ohne Kenntnis von Mode. | |
Männliche Politiker kommen meist um einen Style-Check herum. Doch mit | |
dieser Ungerechtigkeit ist jetzt Schluss. Seit einigen Monaten seziert | |
[5][Derek Guy] auf X (ehemals Twitter) die Kleidung rechter US-Politiker, | |
um die Widersprüche zwischen ihrem Weltbild und ihrem Stil offenzulegen. | |
[6][Über J. D. Vance schrieb er beispielsweise], dass sich sein | |
Kleidungsstil in den vergangenen Monaten immer mehr dem von Donald Trump | |
anglich (rote Krawatten!), und [7][bei Trump stellte er fest, dass seine | |
Anzüge den Eindruck einer V-förmigen Silhouette erwecken], weshalb sie | |
massive Schulterpolster haben müssen. | |
Guy, ein Kenner der Männermode, der Codes und der Historie von Kleidung, | |
hat sich für die wochentaz drei Fotos von AfD-Politikern genauer | |
angeschaut. Was er gesehen hat, hat ihm nicht sehr gefallen. Wir haben | |
seine Eindrücke protokolliert. | |
„Eine Sache vorweg, um Missverständnisse zu vermeiden: [8][Björn Höcke, | |
Tino Chrupalla und Torben Braga] tragen auf diesen Fotos keine traditionell | |
männliche Kleidung. Und das wäre auch vollkommen in Ordnung und nicht der | |
Rede wert, wenn sie nicht Politiker wären, die ein sehr traditionelles | |
Weltbild haben und für die Männlichkeit eine große Rolle spielt. | |
Das gleiche Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt es | |
übrigens in den USA, wo rechte Politiker Kleidung anziehen, die vor 20 | |
Jahren zu einer Art ‚Geschlechterpanik‘ geführt haben. Damals haben | |
Designer wie Raf Simons oder Hedi Slimane die männliche Silhouette | |
geschrumpft. Kleidung für Männer war plötzlich eng geschnitten, eine | |
Reaktion auf die Oversized-Mode der 1980er und 90er Jahre. | |
Diese neue, schmale Silhouette löste unter Konservativen eine gewisse Panik | |
aus, denn auf einmal gab es keinen ersichtlichen Unterschied zwischen | |
‚männlicher‘ und ‚weiblicher‘ Mode. Männer trugen plötzlich figurbet… | |
Kleidung, was zuvor eher eine Sache in der Frauenmode war. Sehr | |
konservative Männer (und Frauen) schüttelten die Köpfe und fragten sich, ob | |
jetzt die Männer verweiblichen und warum alle ‚so schwul‘ aussehen würden. | |
Das war die Zeit, als der Begriff ‚metrosexuell‘ aufkam – was ja nichts | |
anderes war als ein Marketingwort, mit dem man diese neue Männermode | |
verkaufen wollte. Schließlich ging es nicht nur um Kleidung, sondern auch | |
um Kosmetikprodukte, denn nun cremten auch Männer sich das Gesicht ein. | |
All das galt natürlich als unmännlich und erschütterte die westliche | |
Zivilisation. | |
Aber wie das so ist mit Trends: Sie sickern langsam, aber sicher durch, und | |
heute sind sie der Mainstream. Überall gibt es Kleidung für Männer, die | |
eher diesem Trend folgen als dem traditionellen Verständnis von männlicher | |
Kleidung. Das muss man vorab wissen. Weiß man es nicht – weil man sich für | |
so etwas Unmännliches wie Mode eben nicht interessiert – geht man halt in | |
irgendein Geschäft, kauft irgendwas und zieht das dann an. | |
## Björn Höcke | |
Was dabei rauskommt, sehen wir auf dem Foto von Björn Höcke. Gehen wir es | |
einmal durch: Der Trenchcoat ist viel zu eng. Denken Sie mal an Fotos von | |
Humphrey Bogart im Trenchcoat! Wie voluminös der war! Aber noch | |
interessanter ist, wie kurz Höckes Trenchcoat ist. Ein klassischer Trench | |
reicht bis zum Knie. Der hier reicht gerade mal über den Hintern und wirkt | |
wie ein Kindermantel. Auch die Jeans sitzt doch sehr, sehr eng und auch | |
sehr tief – das war ein Schnitt für Frauenjeans am Anfang des Jahrtausends. | |
Dass heute Männer so etwas anziehen, die voller Sorge um traditionelle | |
Männlichkeit sind, ist nicht ohne Ironie. Na ja, und der Rest: Der Schal | |
ist zu kurz, und mir gefällt das Design nicht. Das Hemd verstehe ich nicht. | |
Warum hat das schwarze Knöpfe und im Inneren des Kragen einen | |
andersfarbigen Stoff? | |
Wir kommen auch nicht umhin, in diesem Fall Pierre Bourdieu zu Rate zu | |
ziehen, der über Mode und Geschmack in ‚Die feinen Unterschiede‘ alles | |
geschrieben hat, was man wissen muss. Demzufolge gibt es einen guten und | |
einen schlechten Geschmack, und was in diesem Fall ‚gut‘ und was ‚schlech… | |
ist, bestimmt die herrschende Klasse. So gesehen kann ‚schlechter | |
Geschmack‘ großartig aussehen, denken wir nur an Marlon Brando in einer | |
schwarzen Lederjacke, weißem T-Shirt und Jeans – ein Stil, den die | |
herrschende Klasse damals nicht mit ‚gutem Geschmack‘ assoziiert hätte. | |
Aber mit Höcke ist das natürlich etwas anderes, da greifen diese Kategorien | |
nicht. Das, was auf diesem Foto zu sehen ist, müssten wir aus meiner Sicht | |
als ‚geringen Geschmack‘ bezeichnen. Ein weißes Hemd mit schwarzen Knöpfen | |
und andersfarbigen Kragen! Warum kein rein weißes Hemd (obwohl ich Höcke | |
bei diesem Outfit zu einem grauen Pullover geraten hätte)? Ich glaube, | |
Männer – selbst sehr traditionell denkende Männer – haben in Wirklichkeit | |
Angst davor, zu traditionell auszusehen. Ein schlichtes weißes Hemd wäre | |
Höcke vielleicht zu langweilig. Also trägt er lieber Sachen, von denen er | |
glaubt, dass sie interessanter aussehen. | |
## Tino Chrupalla | |
Ähnlich kauft wahrscheinlich auch Tino Chrupalla ein. Der trägt auf diesem | |
Foto einen sehr, sehr blauen Anzug. Kann man machen. Die Farbe ergibt im | |
Sommer durchaus Sinn, für meinen Geschmack ist sie aber etwas zu intensiv. | |
Keine Krawatte – ist bei so einem Anzug in Ordnung, allerdings sollte man | |
zum Anzug in der Regel eine Krawatte tragen, weil sonst das | |
Gesamterscheinungsbild unvollständig wirkt. | |
Das Hemd hat kontrastreiche Knopflöcher, da würde ich sagen: besser nicht. | |
Aber was ganz offensichtlich nicht richtig ist, ist die Hose. Die sitzt | |
viel zu eng, was man daran erkennt, dass sich die Umrisse seiner Waden | |
deutlich abzeichnen. Wenn man so eine enge Anzughose trägt, dann wird sie | |
nicht zum Anzugsjackett passen, ganz egal, wie eng das geschnitten ist. Da | |
haben wir nämlich ein Missverhältnis zwischen oben und unten, und die | |
Silhouette passt nicht. | |
Auch hier geht es wieder darum, dass diese Mode vor über 20 Jahren als | |
Reaktion auf weit geschnittene Anzüge aufkam. Noch mal: Solch enge Hosen | |
haben vorher ausschließlich Frauen getragen. Wenn man also ein Vertreter | |
sogenannter traditioneller Männlichkeit ist, dann sollte man so einen Anzug | |
eher nicht tragen. Chrupalla wirkt darin wie ein Dandy, und ich denke | |
nicht, dass das seine Intention ist. Alles in allem sieht es aus wie ein | |
Outfit von 2004. Wenn sich jemand unbedingt sehr metrosexuell und dandyhaft | |
anziehen möchte, dann kann man das so machen. | |
## Torben Braga | |
Bei Torben Braga ist es anders. Der ist angezogen wie ein Mann, dem es nun | |
wirklich vollkommen egal ist, was er anhat. Graues Anzugjackett, hellblaues | |
Hemd, Krawatte, Jeans, dazu ein schwarzer Gürtel. Nur sollte man, wenn man | |
ein starker Befürworter traditioneller Männlichkeit ist, kein Anzugjackett | |
zur Jeans tragen, sondern ein Sakko. Das ist weniger formal, und man kann | |
es auch mit anderen Hosen kombinieren. Der Mann braucht also ein Sakko, aus | |
Tweed vielleicht, oder er findet zu diesem Jackett die passende Hose. | |
Aber das ist ja genau das Problem dieser Männer: Sie wollen konservativ und | |
traditionell aussehen, sie wollen aussehen wie respektable Männer. | |
Gleichzeitig wollen sie aber auch nicht aussehen wie die ‚herrschende | |
Klasse‘, denn die wollen sie ja abschaffen. Was machen sie also? Sie ziehen | |
eine Jeans an. Oder weiße Hemden mit schwarzen Knöpfen. | |
Jetzt muss man sich natürlich generell fragen, warum Männer, die von sich | |
behaupten, sie seien rechts und Verfechter von Tradition und Männlichkeit | |
so rumlaufen, wie sie rumlaufen. Die Antwort ist recht einfach – sie finden | |
nichts anderes. In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts konnte ein | |
Mann, der keine Ahnung von Kleidung hatte, in ein Geschäft gehen und sagen, | |
wo er arbeitet oder für welche Gelegenheit er Klamotten braucht, und dann | |
wurde ihm etwas rausgesucht, das passte. Heute gibt es so viele | |
verschiedene Möglichkeiten, so viele Läden, so viele Stile. | |
Und jetzt kommt die Pointe: Wenn man sich gerne traditionell-männlich | |
kleiden möchte, muss man sich sehr intensiv mit Mode beschäftigen. Aber | |
wenn man einen sehr konservativen Blick auf Männlichkeit hat, ist genau das | |
ein Problem, denn natürlich gilt es in dem Milieu, in dem sich Höcke, | |
Chrupalla und Braga bewegen, als unmännlich, sich mit Mode zu beschäftigen. | |
Deshalb passt hier nichts zusammen. Gar nichts.“ | |
Protokoll: Matthias Kalle | |
25 Aug 2024 | |
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[5] https://www.nytimes.com/by/derek-guy | |
[6] https://www.politico.com/news/magazine/2024/07/17/how-j-d-vance-trumped-up-… | |
[7] https://www.independent.co.uk/news/world/americas/us-politics/trump-shoulde… | |
[8] /Nazis/!t5009931 | |
## AUTOREN | |
Matthias Kalle | |
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