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# taz.de -- Vietdeutsche Popkultur in Berlin: Die Geschichten selbst erzählen
> Das Dong-Xuan-Center lud zum ersten Festival für vietdeutsche Popkultur.
> Mit „Sống ở Berlin“ feierte es auch sein zwanzigjähriges Jubiläum.
Bild: Gutes Vorbild: Die Rapperin Nashi44
Als sie vor zwölf Jahren nach Berlin gekommen sei, erzählt die
Singer-Songwriterin Another Nguyen auf der Bühne des ersten Festivals für
vietdeutsche Popkultur „Sống ở Berlin“, hätte sie noch gar keine
Vietdeutschen gekannt. „Ich bin in Sachsen aufgewachsen: Wir waren die
einzige vietnamesische Familie im Ort.“ Damals habe sie mit Vietnam nichts
zu tun haben wollen und versucht, „so Deutsch wie möglich zu sein“.
Diese doppelte Nicht-Zugehörigkeit habe sich einsam angefühlt. Umso schöner
sei es deshalb, heute Teil eines Festivals zu sein, das das Aufwachsen in
zwei Kulturen feiere – ebenso wie seine vielfältigen künstlerischen
Ausdrucksformen.
Angesichts einer wiedererstarkenden Rechten in vielen europäischen Ländern
wirkt „Sống ở Berlin“ („Leben in Berlin“) wie das richtige Festival…
rechten Zeit am rechten Ort: Die viertägige Feier zum inklusiven Preis von
zehn Euro, findet nämlich auf dem Gelände des [1][„Dong-Xuan-Centers“]
statt – der asiatische Großmarkt in Lichtenberg ist die wichtigste
Anlaufstelle für die vietnamesische Community in Berlin.
1994 vom ehemaligen Vertragsarbeiter [2][Nguyen Van Hien] gegründet, feiert
dieses „Hanoi im Herzen Berlins“ am Festivalwochenende sein zwanzigjähriges
Jubiläum. Zu diesem Anlass spendiert Gründer Nguyen Van Hien am Samstag
allen Festival-Besucher:innen Speis und Trank und Drachentanz.
Selbstständigkeit als Alternative
Grund zum Feiern hat er: Was auf dem stillgelegten, kontaminierten Gelände
des ehemaligen DDR-Betriebes „VEB Elektrokohle“ begann, hat heute mit einer
Fläche von 170.000 Quadratmetern die Größe von 24 Fußballfeldern. Wie viele
Vietnames:innen war Nguyen Van Hien mit dem Ende der DDR arbeitslos
geworden.
Die Selbstständigkeit war für die ungelernten Arbeitskräfte der einfachste
Weg, sich in Deutschland, aller Schwierigkeiten zum Trotz, eine Existenz
aufbauen. So wurden viele Vietnames:innen zu Kleinhändler:innen und
Nguyen von Hien gründete 1996 in Leipzig den ersten asiatischen Großmarkt.
Der war beliebt, wuchs und zog nach Berlin: Zuerst in die
Josef-Orlopp-Straße und schließlich, aus Platzgründen, in die heutigen
Hallen der Hertzbergstraße, wo etwa zweitausend Menschen arbeiten. Auch
Another Nguyen arbeitete schon auf dem Gelände des Dong-Xuan-Centers: Als
Sozialarbeiterin hat sie vietnamesische Familien beraten.
Aufwachsen mit zwei Kulturen
Am Eröffnungsabend stimmt sie in ihrem Song „Motherland“ jedoch eine
Versöhnung mit ihrer persönlichen Geschichte an: „And learn a language that
I couldn’t speak/ Find a treasure I couldn’t see“. Sie habe nämlich,
erzählt Ngoc Anh Nguyen, die ihren generischen Nachnamen – Ngyuen ist der
am weitesten verbreitete vietnamesische Nachname – zu ihrem Markenzeichen
gemacht hat, erst mit zwanzig Vietnamesisch gelernt, nachdem sie ein Jahr
in Vietnam gelebt habe: „Da habe ich gemerkt, wie viele Vorurteile und
Selbsthass ich in mir hatte. Und was für ein Schatz es ist, mit zwei
Kulturen aufzuwachsen.“
„Ein selbstbewusster Teil dieser Gesellschaft sein“ – dazu lädt auch die
Journalistin und Moderatorin der Eröffnungsgala Vanessa Vu ein, die [3][in
ihrem Podcast „Rice and Shine“] ebenfalls [4][vietdeutsche Perspektiven]
aufzeigt. Das Festival sei „ein Weg aus der Unsichtbarkeit“, die
Vietnames:innen, ebenso wie das Klischee der unermüdlichen Arbeit und
grenzenlosen Freundlichkeit verfolge.
[5][Rapperin Nashi 44] oder Comedienne Mai My hingegen seien, ebenso wie
die in Vietnam verehrte Rapperin Suboi, beispielgebend darin, selbstbewusst
und kreativ den eigenen Weg zu gehen.
Filmworkshop mit Duc Ngo Ngoc
Auch Regisseur Duc Ngo Ngoc ermuntert vietdeutsche Jugendliche in seinem
Filmworkshop „Dreh’s Um“ ihre Geschichten selbst zu erzählen, statt imme…
nur als Randfiguren erzählt zu werden.
Zwei auf diese Weise entstandene Dokumentarfilme – „Alles gehört zu dir“
sowie der in Vietnam gedrehte „Zuhause ist dort, wo die Sternfrüchte sauer
sind“ – laufen am letzten Festivalabend in einem von Duc Ngo Ngoc
kuratierten bilingualen Kurzfilmprogramm.
Auch in den eigenen Werken des 1988 in Hanoi geborenen und mit fünf Jahren
nach Berlin gekommen Regisseurs tauchen immer wieder biografische Bezüge
auf: Den fiktionalisierten Dokumentarfilm „Obst und Gemüse“ hat er
beispielsweise im Laden seiner Eltern gedreht.
Machtmissbrauch deutscher Behörden
Noch sehr jung erlebte Duc Ngo Ngoc als Übersetzer seines Vaters auch einen
Machtmissbrauch deutscher Behörden auf dem Gesundheitsamt, der bei vielen
Anwesenden Tränen auslöst: Als Vietnames:innen der ersten Generation
erlebten sie oft dieselben Demütigungen, als Vietdeutsche der zweiten
Generation identifzieren sie sich mit dem hilflosen Schmerz des Sohnes.
„Erlittenen Schmerz zu teilen“, glaubt Duc Ngo Ngoc, der die Episode für
die ARD-Serie „Made in Germany“ schrieb und inszenierte, eine
Anthologie-Serie, die postmigrantische Geschichten der zweiten Generation
vereint und voraussichtlich zum „Tag der Deutschen Einheit“ erscheint,
mache ihn weniger schlimm.
30 Jul 2024
## LINKS
[1] /Generationswechsel-im-Dong-Xuan-Center/!6020198
[2] /Deutschlands-groesster-Asia-Markt-in-Berlin/!5940448
[3] /Podcasterinnen-ueber-Identitaet/!5573253
[4] /Vietdeutsche-in-Berlin/!5743824
[5] /Der-Hausbesuch/!5964552
## AUTOREN
Marielle Kreienborg
## TAGS
Vietnam
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Der Hausbesuch
Schwerpunkt Stadtland
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