# taz.de -- Der Hausbesuch: Rapperin mit bossy Attitude | |
> Harter HipHop kann auch zwischen Ikea-Wassergläsern entstehen. Zu Besuch | |
> bei Nashi44, die ihren Stil „Asian Berlin Pussy Conscious Rap“ nennt. | |
Bild: Kim-Thu Emmeli Wittnebel alias Nashi44 | |
In der Schulband wollte niemand das Rappen übernehmen, also griff sie nach | |
dem Mikrofon. Heute singt Kim-Thu Emmeli Wittnebel alias Nashi44 von | |
Rachefantasien, Buddhafiguren auf Klodeckeln und bald auch von Liebe. Die | |
Frage, wo sie herkomme, hat sie satt: „Aus der Pussy meiner Mutti!“ | |
Draußen: Gleich zwei Spielplätze liegen an dieser Straße in | |
[1][Berlin-Lichtenberg], auch ein kleiner Park mit angelegten Beeten und | |
abgelegten Pfandflaschen, aber zum nächsten Café muss man schon eine Weile | |
gehen. Das ist so in dieser Ecke im Osten Berlins. Trotzdem ist es | |
ungewohnt für Nashi, die an der trubeligen Hermannstraße aufgewachsen ist. | |
In Neukölln. Dort würde sie am liebsten auch wieder hin, ihre Eltern leben | |
immer noch dort. Ein anderer Teil der Familie in Vietnam. Während sie nach | |
einer Wohnung suchte, schlief sie auf dem Sofa ihrer Eltern und teilte sich | |
mit sieben Menschen vier Zimmer. Immoscout, Immonet, WG-Gesucht, jeden Tag. | |
Aber sie hat nichts in der Nähe gefunden. | |
Drinnen: Stattdessen ist sie dann in die Wohnung in Lichtenberg eingezogen. | |
Nashi hat viele CDs und Schallplatten, fast schon altmodisch für eine | |
29-Jährige, aber Musik kommt aus einer kleinen Bluetooth-Box. Im Regal | |
steht eine CD der Popsängerin Christina Aguilera, ihren Song „Dirrty“ | |
konnte Nashi als Kind auswendig. Daneben eine Platte der [2][Indie-Rock | |
Band Arctic Monkeys], eine vom Jazzmusiker Thelonious Monk. Ihr | |
Musikgeschmack ist so breit wie ihre musikalische Ausbildung: Gitarren- und | |
Klavierunterricht als Jugendliche, eine Bluesrockband zu Schulzeiten, ein | |
Bachelor in Musikwissenschaft, ein angefangenes und abgebrochenes Studium | |
für Jazz- und Popgesang, und nun ist Nashi44 Deutschrapperin. Die 44 in | |
ihrem Namen steht natürlich für Neukölln, es war früher die Postleitzahl | |
des Bezirks. Privat, so wie jetzt, wo sie auf dem grauen Sofa in ihrem | |
Wohnzimmer sitzt, nennt sie sich aber einfach Nashi. | |
Der Buddha-Klodeckel. Beim Onlineshopping für ihre neue Wohnung stieß Nashi | |
auf einen Klodeckel mit Buddha drauf. „Stell dir vor, ich würde Jesus auf | |
meinen Klodeckel drucken, das ist doch absurd“, sie lacht auf, es ist ein | |
zynisches Lachen. Einer ihrer Songs ist davon inspiriert, da heißt es: „Du | |
stellst Buddha ins Bad, Zen mein Arsch“. Jahrelang habe man sich über die | |
asiatische Diaspora lustig gemacht, über Essensgerüche und Glutamat – jetzt | |
wollen sich alle mit dem schmücken, was plötzlich hip ist: lange Nägel, auf | |
die Stirn geklebte Bindis, Federschmuck und Bubbletea. | |
[3][Kulturelle Aneignung], antiasiatischer Rassismus, Exotisierung und | |
Sexismus – diese Themen prägen [4][Nashis erste EP „Asia Box]“, die sie … | |
März 2022 veröffentlichte. Nashi schrieb die Songs während der | |
Coronapandemie, als die Bild-Zeitung vom „China-Virus“ sprach und in | |
München eine Frau, die für eine Asiatin gehalten wurde, mit | |
Desinfektionsmittel attackiert wurde. Neu war der Rassismus für Nashi | |
nicht, nur zugespitzt. Sie erzählt, wie ein Mann ihr „Corona“ | |
entgegengeschrien habe und dann abgehauen sei. „So viel passiert in zwei | |
Jahren, Hanau, Atlanta, Black Lives Matter, fick die Querdenker“, heißt es | |
in einem ihrer Lieder. | |
Die Metallfigur. Nashis Eltern haben sich am Kopierer kennengelernt. Ihr | |
Vater arbeitete als Pförtner und Telefonist, ihre Mutter machte einen | |
Deutschkurs im selben Gebäude. Zuhause sprach Nashi Deutsch mit ihrem Vater | |
und Vietnamesisch mit ihrer Mutter, die der chinesischen Minderheit in | |
Südvietnam angehört. Mit ihren Geschwistern spricht Nashi irgendwas | |
dazwischen, manchmal wurde früher statt zu sprechen auch gebalgt, drei | |
ältere Brüder hat sie. Sie zeigt auf eine Metallfigur, die sie aus Vietnam | |
mitgebracht hat: eine Frau mit Schulterstange, an jeder Seite stemmt sie | |
einen Korb. Die Figur sei wichtig für sie, sagt die Rapperin, ein Symbol | |
für Gleichgewicht und Stärke. Und wie sie das so sagt, kommt die Idee auf, | |
dass auch Nashi einiges stemmt. Aus der verbalen Gewalt, die sie erlebt, | |
macht sie Musik – um damit umzugehen, und auch, um anderen zu zeigen, dass | |
sie nicht allein sind. | |
Typen als Tangas. An ihrer Wand lehnt eine Gitarre, auf dem E-Piano steht | |
ein Notenheft mit Quintenzirkel. Schon mit zehn Jahren hat Nashi erste | |
Songtexte geschrieben – worüber, weiß sie nicht mehr, das Notizheft ging | |
bei einem Umzug verloren. Wahrscheinlich über das, was einen mit zehn eben | |
bewegt, vermutet sie: Schule, Freundinnen, Eltern. Als Erwachsene bewegen | |
sie andere Dinge, in ihrem Song „Magic Clit“ geht es um selbstbewusste, | |
weibliche Sexualität, sie rappt: „ich wechsel meine Typen, als wären sie | |
meine Tangas“ oder „er suchtet meine Clit, er hat sich in mich verliebt“. | |
Unangenehm ist es ihr nicht, explizit zu werden: „Klar hören das dann auch | |
meine Eltern – aber soll ich es deswegen sein lassen?“ Der Song sei aber | |
eher FSK 18, ob er auch was für Kinder ist, müssten deren Eltern selbst | |
entscheiden, lacht sie. | |
Die Rap-Stereotype. Für „Asia Box“ bekam sie Newcomer-Preise, die heute in | |
ihrem Regal aufgestellt sind, gleich unter den Brettspielen. Sie macht | |
Musik mit „bossy attitude“, wie sie es nennt – eine Attitüde, die sie so | |
gar nicht hat, wenn sie vor einem auf dem Sofa sitzt. „Wenn Leute mich | |
treffen, denken sie nicht, dass ich Rapperin bin“, sagt sie. „Wir haben | |
alle unsere Stereotype im Kopf.“ Zumindest in das Bild [5][eines | |
Gangstarappers] passt Nashi mit ihrem ordentlichen Wohnzimmer und den | |
Ikea-Wassergläsern, den aufgereihten Ordnern und Kakteen nicht rein. Bei | |
Rap denkt man an vielleicht an Street-Credibility und | |
Auf-die-Fresse-Lyrics, aber dieser Rap kann auch auf einem | |
Nichtraucherbalkon mit Rosen im Blumenkasten entstehen. | |
Party machen, frech sein. Wenn Nashi auf der Bühne steht, „geht es ab“. Sie | |
mache Rap, weil sie da Party machen, ausrasten, frech und lustig sein | |
könne. Ob sie das sonst nicht sei? Doch schon, aber vor allem bei ihrer | |
Familie, nicht, wenn sie einer Journalistin gegenübersitze. Nashi macht | |
aber auch keinen Gangstarap sondern „Asian Berlin Pussy Conscious Rap“. Den | |
Begriff hat sie selbst erfunden: HipHop mit Sozialkritik und feministischer | |
Haltung. Einschüchternd klingt das trotzdem manchmal, zum Beispiel wenn sie | |
davon singt, mit ihrem Butterflymesser Kartoffelbrei aus Typen zu machen – | |
eine kleine Rachefantasie. | |
Nüchtern auf die Bühne. Ein Mikrofon hatte Nashi schon mit drei Jahren in | |
der Hand – ihre Familie hatte eine Karaokemaschine, bei Festen sang sie | |
vietnamesische Lieder. Später studierte sie mit Freundinnen aus dem | |
Kreuzberger Jugendzentrum eine Choreografie zu Songs der Girlgroup | |
Sugababes ein, im Jugendzentrum hörte man sonst vor allem männliche Rapper. | |
Mit 17 Jahren schrieb Nashi Songs für ihre Bluesband. Einmal habe sie sich | |
vor einem Auftritt „richtig abgeschossen“, auf der Bühne gelallt und den | |
Text vergessen. Vor Konzerten trinkt sie deshalb jetzt keinen Alkohol mehr, | |
dafür ist ihr das alles zu wichtig. | |
Fitness und Kunstausstellungen. „Musik war mein größtes Hobby“, sagt sie. | |
Das klingt abgedroschen, heißt aber auch, dass ein Hobby fehlte, als sie | |
die Musik zum Beruf machte, denn inzwischen kann Nashi davon leben. Fragt | |
man sie heute nach Hobbys, erzählt sie von Tanzkursen zu HipHop und | |
Afrobeats oder von Kraftübungen im Fitnessstudio. „Das klingt jetzt wie | |
beim ersten Date“, sagt sie, „aber ich mag zudem impressionistische | |
Kunstausstellungen.“ Und zum Abschalten gucken anscheinend auch Rapperinnen | |
nicht ganz unproblematische Serien aus den frühen 2000er Jahren, irgendwie | |
beruhigend. Nashi ist gerade bei „Desperate Housewives“, es geht um vier | |
Frauen in einer Kleinstadt, um Intrigen, Geheimnisse, und Affären. | |
Mehr als Rassismus. Auf dem kleinen Balkon ist es heiß, obwohl doch schon | |
Herbst ist. Nashi hat gerade einen Festivalsommer hinter sich, die Songs | |
ihrer ersten EP rauf und runter gespielt. Lange hatte sie das Gefühl, die | |
Leute erwarten politische Musik von ihr – einfach von Liebe zu singen, sei | |
zu simpel. Aber jetzt probiert sie es doch mit der Liebe: „Ich bin mehr als | |
Rassismuserfahrung.“ Im September hat sie einen neuen Song veröffentlicht, | |
„Sriratcha Hot Bitch“, er handelt davon, sich selbst zu lieben. Auch ihre | |
nächsten Lieder sollen persönlicher werden, emotionaler, es geht um Crushes | |
und Familie. Es wird mehr R ’n’ B, mehr Gesang geben – die „bossy | |
attitude“, verspricht sie, bleibt aber. | |
5 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jolinde Hüchtker | |
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