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# taz.de -- Der Hausbesuch: Die Mutmacherin von Trebatsch
> Auch wenn Freund:innen fortziehen, Vanessa Oldenburg bleibt. In ihrem
> Heimatort hat die 25-Jährige jetzt einen eigenen Friseursalon eröffnet.
Bild: Wo ihre Eltern früher eine Gaststätte betrieben, schneidet Vanessa Olde…
Es gibt immer eine Wendemöglichkeit. Davon ist Vanessa Oldenburg überzeugt.
Draußen: Trebatsch in der Niederlausitz, von der Hauptstraße geht eine
Sackgasse ab, davor ein Schild mit der Aufschrift „Keine Wendemöglichkeit“.
In der Kurve liegt eine Gaststätte, die Vorhänge sind zugezogen. Auf der
anderen Gebäudeseite: zwei Türen. Rechts geht es in den Friseursalon, links
zur Großmutter. Vanessa Oldenburg betritt das Haus. [1][Drei Generationen
wohnen hier].
Drinnen: Eine Couch mit Schaffell, die Fernsehzeitschrift aufgeschlagen,
ein Schnellhefter beinhaltet „Wichtige Dokumente“. Asynchron ticken zwei
Uhren, im Kachelofen ist das Holz schon aufgestapelt. Wahrscheinlich ist
die Oma gerade auf dem Friedhof, sagt Vanessa Oldenburg und setzt sich auf
den samtenen Sessel. Seit sie denken kann, kommt sie jeden Tag in ihre
Stube. Heute ist sie es, die auf ihre Großmutter aufpasst. Auf dem Schrank
mit dem Küchenservice steht das Schwarz-Weiß-Porträt ihres Opas.
Bleiben: Die 25-Jährige ist Friseurmeisterin. Doch obwohl sie eigentlich
gerade Urlaub hat, fragen die Leute sie auf der Straße, ob sie ihnen nicht
die Haare schneiden könne. Und Vanessa Oldenburg sagt Ja. So sei das hier
in Trebatsch, sagt sie und faltet die Hände, „jeder hilft jedem“. Damals
war sie froh, dass so viele aus dem Ort ihr geholfen haben, den Salon
auszubauen. Sie ist eine, die nicht weggegangen ist, wie die anderen in
ihrem Alter.
Leerstand: Wenn sie früher beim Kinderarzt war, bekam sie danach eine
Wundertüte beim Einkaufsladen. Ihr Hund Timmy starrt sie mit dunklen
Knopfaugen an, während sie davon erzählt. Jetzt gibt es keine Läden mehr,
die Schule wurde abgerissen, auch der Fleischer, bei dem es Wiener gab, hat
dichtgemacht: „Das hat sich hier alles nicht gelohnt auf dem Dorf.“
Familie: Wenn der Vater damals von der Arbeit heimkam, kellnerte Oldenburgs
Mutter, bis der letzte Gast gegangen war. „Als Kind hatte ich nicht viel
von meiner Mama.“ Bratkartoffeln und Eintöpfe kamen aus der Gasthofküche,
in der die Großeltern arbeiteten. Schon der Uroma gehörte die
Gastwirtschaft, sie hat Kriege miterlebt. Weil auch Bomben auf Trebatsch
fielen, sei alles im Haus etwas schief.
Kevin: Timmy kläfft und rennt auf den Hof. „Mein Freund kommt“, sagt
Oldenburg. Sie blickt auf die Uhr. Kevin ist um drei Uhr nachts los zur
Arbeit und jetzt erst zurück. „Wir sind alle so. Wir arbeiten.“ Zusammen
mit Oldenburgs Vater gießt er Estrichböden.
Liebe: Sie lernte Kevin beim Helene-Beach-Festival kennen. Eigentlich
spielten sie nur Trinkspiele. Oldenburg war überrascht, dass er ihren Namen
noch wusste, als er ihr später schrieb. Fünfmal treffen sie sich. „Es hat
gepasst.“ In ihrer Beziehung sei sie die „Chaotische“, würde ihr Freund
sagen, weniger leistungsstark als er, der auch nachts arbeitet. Manchmal
würde sie dreimal überprüfen, ob das Bügeleisen aus sei. Draußen im Hof
nimmt Kevin den Hund auf den Arm. Als sie sich kennenlernten, leitete er
ein Fitnessstudio, aber es lief nicht gut. So was würde in Berlin viel
besser funktionieren, glaubt er.
Heimweh: Sie waren auch mal in Venedig und auf Mallorca. Aber ihr Freund
will nicht weg, er sage: Zu Hause gäbe es genug Arbeit. Ob sie Fernweh
habe? Vanessa Oldenburg schüttelt den Kopf: „Wenn, dann habe ich Heimweh.“
Nur einmal war sie länger fort von Trebatsch, als sie 2018 zu Kevin in die
Kreisstadt Fürstenwalde zog. „Nachts kamen die Menschen, die Drogen
genommen haben.“ Bedrohlich die Geräusche der Randalierer aus dem Park.
„Ich kannte das ja gar nicht.“
Loslegen: Vanessa Oldenburg wollte zurück in ihren Heimatort. Zielstrebig
war sie schon immer: Statt aufs Gymnasium zu gehen, „das wäre eh zu
schwierig gewesen“, machte sie eine Ausbildung als Friseurin. Die
Meisterschule machte sie in einem Jahr in Vollzeit. Während ihre
Freundinnen noch Lehramt studierten, verdiente sie schon Geld.
Umbau: Während der Pandemie [2][machte sie sich selbstständig]. Ihren
ersten Salon eröffnete sie in einem alten Häuschen im Dorf, gleich neben
dem Museum. Sie hatte den Salon samt Mobiliar von einer älteren Besitzerin
übernommen. „Zum Probieren, ob es sich im Dorf lohnt.“ Als aber im maroden
Häuschen immer wieder der Strom ausfiel, wusste sie: „Jetzt muss sich etwas
ändern.“ Die geschlossene Gastwirtschaft kam ihr in den Sinn. Mit ihren
Eltern zusammen überlegte sie, ob man die Wirtschaft nicht umbauen könne,
um dort den Salon zu eröffnen. Die waren einverstanden.
Erinnerungen: In der Gartenlaube hüpft Timmy auf die Hollywoodschaukel, an
der Wand hängen Rehgeweihe. Ein Radio, gestapelte Kassetten, darüber
thronen Bierkrüge: „Alle noch aus der Wirtschaft.“ Auf dem Tisch
aufgefächert liegen Fotos der Baustelle. Auf einem ist Vanessa Oldenburgs
Mutter zu sehen, sie lächelt gequält. Oldenburg kann sich an den Moment
noch genau erinnern, ihre Mutter habe an einem Gartenstuhl lehnend gefragt:
„Wo ist denn dein Mann?“, ihre Antwort: „Pässe abholen, für den Urlaub.…
Dann wurde geknipst.
Tränen: Ihr Gesichtsausdruck auf dem Bild verrät, dass Urlaub für die
Mutter damals undenkbar war. Schon als Kind arbeitete sie in der
Gastwirtschaft, die kein Wochenende kannte und keine Rücksicht aufs
Familienleben. Lohnt sich das, wenn man für eine einzige Person bis 23 Uhr
hinter dem Tresen steht, musste sie sich irgendwann fragen. „Kam ja keiner
mehr.“ Und erst recht nicht, als sie auch noch die Hauptstraße sperrten. Es
war die schwerste Entscheidung der Mutter, die Gastwirtschaft zu schließen.
Ihre Tochter sieht es anders: „Wenn es nicht funktioniert, dann muss man
aufhören.“ Sie stellten das Mobiliar der Wirtschaft zum Verkauf ins
Internet. Jedes Mal, wenn Interessierte auf den Hof kamen, protestierte die
Oma. „Es sind oft Tränen geflossen“.
Überlastung: Vanessa Oldenburg arbeitete anfangs acht Stunden im
[3][Friseurladen] und anschließend bis 23 Uhr auf der Baustelle. Bis sie
merkte, dass sie sich nicht mehr freuen konnte. Grundlos musste sie
losweinen. „Ich war nur noch eine Arbeitsmaschine.“ Sie hat vier Sitzungen
bei einer Therapeutin. „Dann war es wieder gut.“ Nach einem Jahr bemerkte
sie beim Spazierengehen, dass ihr wieder die schönen Bäume auffallen.
Trotzdem: Sie zieht es weiter durch. Lieber jetzt etwas Stress, damit sie
später keinen Stress mehr hat.
Aufbruch: Die Rollläden in der Wohnung sind jetzt hochgezogen, Oldenburgs
Großmutter ist zurück, kommt in den Garten, lässt sich auf den Gartenstuhl
plumpsen und tupft sich mit einem Taschentuch Schweiß von der Stirn. Sie
blickt auf die Fotos auf dem Tisch: „Hoffentlich wird das so, wie du dir
das vorstellst“, sagt sie zu ihrer Enkelin. Es könnte klappen: Das
Auftragsbuch ist gut gefüllt. Mittlerweile hat Vanessa Oldenburg drei
Angestellte.
Stippvisite: Im Salon duftet das frische Holz. Morgens komme die Oma immer
durch die Hintertür, um den Kund:innen Kaffee anzubieten, „obwohl ich
selbst eine Kaffeemaschine habe“. Dabei kontrolliert die Oma auch, ob die
Orchidee vor dem Fenster gegossen ist.
Schweigepflicht: Auf den sechs Friseursitzen erzählten ihr die Kundinnen
von ihren Sorgen: Steuern, der Krieg, die Trennungen. „Man hat ja
Schweigepflicht“, aber es belaste sie trotzdem. „Alle sind schlecht
gelaunt.“ Immer mehr hätten mit ihrer Psyche zu tun. Oldenburg fühlt sich
manchmal wie eine Dorf-Therapeutin. Tipps habe sie nicht: „Ich habe ja auch
keine Ahnung.“ Sie sagt dann nur: „Sehen Sie es doch einmal anders“, und
versucht, Mut zu machen. Diskutieren will sie nicht, „jeder darf ja seine
Ansichten haben“.
Gemeinsam: Ihre Freizeit verbringt Oldenburg mit Älteren, denn „in meinem
Alter gibt’s hier sonst niemand mehr“. Jetzt, da es keine Gaststätten mehr
gibt, trifft man sich zu Hause. Vanessa Oldenburg ist so gut wie nie
alleine. Wenn sie nur eine Nacht von ihrem Freund getrennt ist, schließt
sie die Türe ab: „Es ist schon schlimm, wenn man einsam ist.“ Kevin läuft
über den Hof. Ohne Pause geht es für ihn weiter, auf der Baustelle hinter
dem Friseursalon.
Ausblick: Vieles wird so bleiben, wie es ist, „sonst kippt die Oma um“,
sagt sie. Die nächste Baustelle, die ansteht, ist das Dachgeschoss, mit der
Treppe, die zu steil ist für die Großmutter. Vanessa Oldenburg will, dass
sie ihre Kinder später mal vom Salon aus beim Umherrennen beobachten kann.
27 Nov 2023
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## AUTOREN
Ann Esswein
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