| # taz.de -- Friseurin ist Erfinderin: Sie war nie zweite Garnitur | |
| > Mit der „Traumrolle“ ist Margot Schmitt vor vielen Jahren zur | |
| > Unternehmerin geworden. Heute ist sie 84 – und ihre Arbeitslust | |
| > ungebrochen. | |
| Bild: Der einfachste Lockenwickler der Welt – das ist Margot Schmitts Erfindu… | |
| HIDDENHAUSEN taz | Eine Kartoffel, ein Ei und ein Stück Margarine liegen in | |
| Margot Schmitts Kesselchen, die Mutter hat es ihr am Morgen mitgegeben. Es | |
| ist 1955, sie ist 17 und in der Lehre im Salon Majowski am Rudolfplatz in | |
| Köln. Hier lassen sich die Diplomatengattinnen frisieren, hier assistiert | |
| „Fräulein Margot“ den Meistern. Sie reicht Friseurbesteck an und wäscht | |
| Haare, damals noch kopfüber. Sie ist groß, dünn und hat immer Hunger. | |
| Weil Kartoffel, Ei und Margarine nicht satt machen, legt Margot Schmitt | |
| sich ins Zeug, bei dem, was sie darf. Je leerer der Magen, desto | |
| hingebungsvoller massiert sie die Köpfe. Wenn die Frauen vor Wonne die | |
| Augen verdrehen, weiß Schmitt, dass sie das Kleingeld für ein Stück Kuchen | |
| aus der Bäckerei nebenan zusammenhat. Und lernt ganz nebenbei, dass sich | |
| echte Zuwendung verkaufen lässt. | |
| Eigentlich wollte sie Floristin werden, Blumen sind ihre erste Liebe. Doch | |
| den Beruf gab es damals noch nicht, Gärtnerin hieß das, und da säße sie | |
| doch den ganzen Tag draußen, sagte die Mutter, mache sich die Finger | |
| schmutzig, bekäme Falten und raue Hände. Was, wenn sie dann mal einen Mann | |
| streichle? | |
| Also fuhr die Mutter mit ihrer jüngsten Tochter zum Rudolfplatz und | |
| vereinbarte eine Lehrstelle im angesehensten Salon Kölns. „Früher hat man | |
| noch nicht gesagt: Was hat das Kind für Talente?“, sagt Margot Schmitt. „Da | |
| hat man gesagt: Wie sieht sie aus? Ist sie schön gekämmt, ist ihre Kleidung | |
| ordentlich gebügelt?“ | |
| Schmitt ist heute 84 Jahre alt, sie sitzt an einem großen Konferenztisch in | |
| ihrer Firma bei Herford in Ostwestfalen. Neben ihr die langjährige | |
| Assistentin Anke Goesling, vor ihr Platten mit belegten Häppchen, eine | |
| Schale Obst. Der grummelnde Magen ist schon lange nicht mehr ihr Antrieb, | |
| es sind die Ideen, die nicht aufhören wollen zu sprudeln, und die schönen | |
| Haare der schönen Frauen, die einfach „zu ihr sprechen“. | |
| Schmitt ist reich geworden mit einer Erfindung, die das Frisieren zu Hause | |
| erleichtert, und vielen, vielen Haarpflegeprodukten. Seit einigen Jahren | |
| fragt sie sich, was der beste Zeitpunkt ist, aufzuhören. Und wo eigentlich | |
| das Problem ist, wenn der einfach nicht kommt. | |
| Damals im Salon am Rudolfplatz beginnt sie nicht nur, Köpfe zu massieren, | |
| als hinge ihr Leben davon ab, sie denkt sich auch Gesichtsmasken und | |
| Haarkuren aus, mischt Eigelb mit Olivenöl, und bepinselt die Gesichter der | |
| unter der Haube verharrenden Frauen. Sie hinterfragt die | |
| Anwendungsanweisungen der Produkte, die sie dort benutzen, lässt Tinkturen | |
| länger einwirken, knetet Kuren fester ein. | |
| ## Mit neuen Ideen punkten | |
| Während sie das erzählt, macht sie die passenden Gesten: Geht es um | |
| besonders schöne Haare, schmiegt sie eine imaginäre Strähne an ihre Wange. | |
| Als der „Erste Friseur“, dem sie bisher immer nur hinterherlaufen durfte, | |
| im Urlaub ist, übernimmt sie eine seiner wichtigsten Kundinnen: Madame | |
| Irigoyen, die Frau des argentinischen Botschafters. „Früher frisierte man | |
| nur nach der Mode, nicht nach dem Gesicht“, sagt Margot Schmitt. | |
| Sie schlägt Madame Irigoyen mal was ganz anderes vor, nicht wie sonst in | |
| Marmor gemeißelt, sondern stufig mit dem Messer geschnitten. Madame | |
| Irigoyen ist begeistert, der Erste Friseur nach seiner Rückkehr erzürnt: | |
| Seine Kundin fragt jetzt immer nach Fräulein Margot. | |
| Schmitt wird selbstbewusster und merkt, dass sie mehr Wertschätzung | |
| verdient hat, als sie je von ihren Vorgesetzten bekommen würde. Sie ist | |
| noch nicht lange Gesellin, da meldet sie sich mit 21 Jahren für die | |
| Meisterprüfung an. | |
| ## Die jüngste Friseurmeisterin | |
| Bei der IHK in Bielefeld sind sie skeptisch, schauen ganz genau hin, wie | |
| das junge Fräulein papilottiert, onduliert, effiliert und toupiert. Sie | |
| besteht, obwohl ihre Knie so sehr schlotterten, dass sie sich hinsetzen | |
| musste. Die Hände blieben ruhig. Sie ist jetzt jüngste Meisterin | |
| Deutschlands. | |
| Die Familie hatte ihr das nicht zugetraut, dort war sie die „Träumerin“, | |
| ständig woanders mit den Gedanken. „Meine Schwester, die war schöner und | |
| kesser, die hatte immer die erste Garnitur“, sagt Margot Schmitt. „Bei mir | |
| hieß es dann oft, ach Margot, was weißt du denn schon.“ | |
| Dass sie sich so früh schon zur Meisterprüfung anmeldet, hat auch mit dem | |
| Gefühl zu tun, sich immerzu beweisen zu müssen. In der Welt, innerhalb der | |
| Familie und dort, wo sie aufwächst. | |
| Nach dem Krieg war sie mit den Eltern und den beiden Geschwistern von | |
| Oberschlesien ins Rheinland geflohen. In ihrer Heimat waren sie wer | |
| gewesen, im Rheinland sind sie „Pimocken“, „Dahergelaufene“ aus Polen, … | |
| seien angeschaut worden, als hätten sie „die Nase auf dem Rücken“. | |
| ## Respekt verschaffen | |
| Eine Schulfreundin, bei der sie manchmal zum Suppe-Essen vorbeikommt, | |
| beleidigt sie auf dem Nachhauseweg völlig unvermittelt wegen ihrer | |
| Herkunft. Schmitt reißt ihr daraufhin ein Büschel Haare aus. Ausgerechnet. | |
| Ab da ist sie die, mit der man sich besser nicht anlegt. Die, die Haare | |
| ausreißt. Der schlechte Ruf bleibt noch ein bisschen, Respekt verschafft | |
| hat sie sich trotzdem. | |
| Kurz nach der bestandenen Meisterprüfung lernt sie ihren Mann kennen, | |
| Landwirt und Bürgermeister. Sie zieht auf seinen Vierkanthof in Weilerswist | |
| zwischen Köln und der Eifel und macht dort ihren eigenen Salon auf. Sie | |
| bekommt Zwillinge, zwei Mädchen, später einen Sohn. | |
| Die Selbstständigkeit ist ihr wichtig, sie will von niemandem abhängig | |
| sein, ganz besonders nicht von einem Mann. Wo das herkommt? „Das ist | |
| einfach mein Charakter, das sitzt tief drin“, sagt sie und legt ihre Hand | |
| auf die Brust. | |
| Diese Eigenständigkeit wünsche sie sich auch für ihre Kundinnen: generell | |
| im Leben und ganz besonders, wenn es um die Schönheit geht. Sie habe in der | |
| Ausbildung gelernt, die Frauen von sich abhängig zu machen. Sie mit immer | |
| neuen Frisiertechniken und Produkten zu locken und ihnen das Gefühl zu | |
| geben, zu Hause unmöglich nachmachen zu können, was der Friseur da mit | |
| ihren Haaren tut. „Dazu kommt, dass die deutsche Frau immer schon sehr | |
| sparsam war mit ihren Frisuren“, sagt Margot Schmitt. „Wenn’s alleine nic… | |
| klappt, einfach Haargummi rein, fertig.“ | |
| Sie entwickelt eine Rundbürste mit abnehmbarem Stiel zur Anwendung im | |
| trockenen Haar. Weniger friemelig als Lockenwickler und praktischer, als | |
| sich mit einer einzelnen Rundbürste die Frisur zurechtzuföhnen. Die Idee | |
| stellt sie einem Werkzeugmacher vor, der Kunde in ihrem Salon ist. Er | |
| entwirft mit ihr einen Businessplan, 50.000 Mark brauche sie, um damit in | |
| Serie zu gehen. | |
| ## Nur etwa sechs Prozent der Patente von Frauen | |
| Ihr Mann schüttelt nur den Kopf darüber, davon könne er sich zwei Traktoren | |
| kaufen. Also geht Margot zur Bank, fragt nach einem Darlehen. „Die wollten | |
| wissen, ob mein Mann da die Hand drüberhält“, sagt sie. „Und dann hab ich | |
| gesagt, nein, tut er nicht, das ist ganz allein meine Sache.“ | |
| Margot Schmitt wird im Laufe der nächsten Jahrzehnte 30 Millionen Stück | |
| ihrer Erfindung verkaufen. Dass er sie anfangs nicht unterstützen wollte, | |
| will Fritz Schmitt irgendwann nicht mehr gewusst haben. | |
| Sie wird eine Firma gründen und sich die Rolle patentieren lassen. Dass | |
| Frauen Patente anmelden, war früher sehr ungewöhnlich und ist bis heute | |
| selten. Im Schnitt kommen in Deutschland jährlich nur etwa sechs Prozent | |
| der geschützten Erfindungen von Frauen. | |
| Bis es so weit ist, versucht Margot Schmitt ihre „Traumrolle“ über große | |
| Unternehmen zu vertreiben, wird bei Avon in München vorstellig, einer | |
| führenden Kosmetikfirma damals. Dort muss sie 14 Einkäuferinnen überzeugen, | |
| denen sie allesamt die Haare macht. 200.000 Stück nehmen die ihr ab. | |
| Viel wichtiger aber wird der Verkaufssender QVC, der 1996 in Düsseldorf auf | |
| Sendung geht. Schmitt ist da über 50, die Programmverantwortlichen wollen | |
| sie erst gar nicht vor die Kameras lassen. „Also habe ich die Einkäuferin | |
| wieder selbst eingedreht“, sagt sie, darf sich dann doch vor Livepublikum | |
| beweisen und verkauft in den ersten fünf Minuten 50 Traumrollen. Seit 25 | |
| Jahren hat sie einen festen Sendeplatz. | |
| ## Pionierin auch im Verkaufssender | |
| Jedes Mal bevor sie auf Sendung geht, spricht sie mit ihrem Sohn und | |
| bestellt bei ihm da oben, sie schaut zum Himmel, „mal einen anderen Ton, | |
| mal eine andere Formulierung und dass ich fit bin im Kopf“, sagt sie. | |
| Friedrich Schmitt starb mit 17 Jahren bei einem Verkehrsunfall. Sie reden | |
| täglich miteinander, Margot Schmitt spürt seine Anwesenheit im alten | |
| Gemäuer des Hofs. Und auch die ihres Mannes und die der vielen, vielen | |
| Schmitt-Vorfahren, die in den Gebäuden mal zu Hause waren. Wenn sie dann im | |
| Ruhestand sei, freue sie sich auf die Geister im Haus, sie geben ihr | |
| Inspiration. | |
| Nach dem Tod ihres Mannes hat sie den Hof neu gestalten lassen, endlich | |
| Blumen, überall. „Frau Schmitt sagt immer, in einem halben Jahr hör ich | |
| auf“, sagt Anke Goesling, die Assistentin. „Aber irgendwie hört das halbe | |
| Jahr nie auf.“ | |
| Gerade arbeiten sie an einer Pflegeproduktlinie für Hunde, so viele ihrer | |
| Kundinnen bei QVC hätten darum gebeten. Gleich hat Schmitt ein Fotoshooting | |
| mit einem Dackel. Nach den Hunden wolle sie’s dann aber „voraussichtlich“ | |
| beenden. Voraussichtlich eben. | |
| 4 Mar 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Leonie Gubela | |
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