# taz.de -- Der Hausbesuch: Drucken gegen die Diktatur | |
> Luis Drews wuchs in einem Slum in Uruguay auf. Von linkem Theater | |
> politisiert, kämpfte er mit Siebdruck gegen die Militärjunta. | |
Bild: Früher demonstrierte er mit seinen Plakaten für den Regimewechsel, heut… | |
Lockige graue Haare rahmen das Gesicht von Luis Drews, am Hinterkopf sticht | |
eine hüftlange Strähne hervor. Ein „Zeichen des Widerstands“, erklärt er. | |
Draußen: Eine ruhige Seitenstraße in Berlin-Neukölln ohne hippen Chic, es | |
gibt einen Späti und ein paar Tischtennisplatten auf dem nahegelegenen | |
Platz. In den breiten Fenstern einer Druckerei hängen Zeichnungen, Plakate, | |
Postkarten, T-Shirts. | |
Drinnen: In diesem Laden lebt und arbeitet Luis Drews. Zwei Wände im | |
hinteren Teil sind bestückt mit privaten Fotos aus allen Jahrzehnten. Viele | |
lächelnde Menschen, Arm in Arm, dazwischen Kinderzeichnungen. In der Mitte | |
des großen Raumes steht ein Gerät, das wie eine Metallspinne aussieht: eine | |
Siebdruckmaschine. Dahinter ein Kaleidoskop an Farbtöpfen, die Chemie kann | |
man riechen. Außerdem: Platten- und CD-Stapel, kleine Skulpturen und | |
Trommeln. Es läuft Candombe, Folkloremusik aus [1][Uruguay]. Auf dem | |
Schreibtisch steht eine Matetasse. | |
Barfuß: Drews, 63 Jahre alt, ist in einem Cantegril aufgewachsen, so heißen | |
die Armenviertel um Uruguays Hauptstadt Montevideo. Nebenan Müllhalden, so | |
groß wie ein ganzer Bezirk, sagt er. Er ist der Zweitälteste von sechs | |
Geschwistern, sein Vater war Deutscher und sei nie für ihn dagewesen. Zu | |
Hause, erzählt Drews, gab’s viel Streit und wenig zu essen. Seine Kindheit | |
habe er meist nicht in der Schule, sondern „ohne Schuhe auf der Straße“ | |
verbracht, wo er nach Essensresten für sich und seine Familie suchte. Oder | |
nach Kernen von Obst und Gemüse, um sie anpflanzen und selbst etwas ernten | |
zu können. Manchmal habe er Meerschweinchen oder Tauben gejagt. | |
Schule: Den Unterricht besuchte Drews nur sporadisch, mit zwölf Jahren | |
konnte er noch nicht lesen. Als ein Lehrer ihn beim Rauchen erwischt und | |
daraufhin geschlagen habe, sei er noch seltener hingegangen. Er bereue das | |
nicht, denn so habe er mehr Zeit gehabt, nach Essen zu suchen, sagt er. Mit | |
14 hielt er die Streitereien zwischen seinem alkoholabhängigen Stiefvater | |
und seiner Mutter nicht mehr aus und haute ab. Er sei bei einem Pärchen | |
untergekommen. Dessen Bedingung: Er solle sich mit um ihr Baby kümmern, | |
wieder zur Schule gehen und einen Abschluss machen. Er hielt sich daran, | |
bekam eine Bescheinigung – habe aber letztendlich nicht viel gelernt: | |
„Schule ist gegen die Natur des Menschen. Sie kastriert sie.“ Noch heute | |
ist das seine Überzeugung. | |
Theater: Mit dem Abschlusszeugnis bekam er einen Job in einer Tischlerei. | |
„Diese Stufe von der Armutsklasse zur Arbeiterklasse war riesig für mich. | |
Das kann man sich nicht vorstellen.“ Er wollte dazugehören, doch seine | |
ArbeitskollegInnen hätten ihn ausgegrenzt. Alle, bis auf einen. Der habe | |
ihn nicht einfach abgestempelt, sondern zu seiner Theatergruppe eingeladen. | |
Erst habe Drews abgelehnt: „Theater, das war was für die Elite, für | |
gebildete Menschen, für die Oberschicht.“ Dann ging er doch einmal mit und | |
war überwältigt: „Das Theater hat mich sofort akzeptiert, trotz meiner | |
Herkunft. Es war ein Theater, das von und für Arbeiter war, nicht nur für | |
Reiche.“ Zu der Zeit, während der Militärdiktatur von 1973 bis 1985, war es | |
die erste zugelassene Theatergruppe in ganz Uruguay. Er durfte wiederkommen | |
und eine Bank bauen, dann ein Bühnenbild. | |
Gesehen werden: Am meisten beeinflusst habe ihn der Direktor des Theaters, | |
Artigas Lemez. Er war der einzige der Truppe, der die Universität besucht | |
hatte. „Er hat mich als Mensch gesehen“, sagt Drews. Später löste die | |
Militärdiktatur das Theater auf, Artigas Lemez musste fliehen und sie | |
verloren sich aus den Augen. | |
Puppen und Politik:Dann kam Luis Drews in das Puppentheater von Gustavo | |
Martínez, den alle nur „Tato“ nannten. Die Gruppe stand nicht nur auf | |
Bühnen, sondern war auch im Untergrund, im politischen Widerstand, aktiv. | |
Er wurde eingeweiht, hörte zu, einer von ihnen brachte ihm gar das Lesen | |
bei, mit politischen Schriften. Drews spürte die Überzeugung der Leute, | |
ihren Willen, etwas zu ändern – obwohl sie sich damit in Lebensgefahr | |
brachten. Zum ersten Mal habe er einen höheren Sinn, eine Aufgabe für sein | |
Leben gesehen, die über das bloße Überleben hinausging. „Dieser Eintritt in | |
die linke Szene hat meinen Kopf total verändert. Ich hatte viel Angst, aber | |
ich wusste, ich muss dabeibleiben.“ | |
Siebdruck: Der politisierte Drews trat danach einer Vereinigung von und für | |
Menschen bei, deren Freunde und Familie verschleppt worden waren oder aus | |
politischen Gründen im Gefängnis saßen. Die Casa Solidaria war Teil der | |
[2][Tupamaros], einer kommunistischen Guerillabewegung. „So habe ich wieder | |
total andere Leute kennengelernt, viele dort waren aus der Mittelschicht.“ | |
Mit Plakaten und Flyern demonstrierten sie für die Freilassung der | |
Gefangenen. „Das war lebensgefährlich.“ Wollte man Farbe und andere | |
Utensilien für den Druck kaufen, musste man seinen Ausweis vorzeigen, | |
erzählt er – viel zu riskant. Luis und seine MitstreiterInnen | |
improvisierten: Als Sieb benutzten sie aufgeschnittene Nylon-Strumpfhosen | |
und für die Farbe kochten sie bestimmte Blätter aus dem Dschungel, die | |
Drews’ Mutter früher zum Haarefärben verwendete. Das Rezept kann er heute | |
noch aufsagen. | |
Umbruch: 1985 wird die Militärdiktatur durch eine konservative, aber | |
liberalere Regierung abgelöst, die politischen Gefangenen kommen frei. Luis | |
ist inzwischen ein Siebdruckexperte und kommt durch Freunde an eine eigene | |
Werkstatt. An seinen freien Wochenenden bietet er marginalisierten Gruppen | |
Siebdruckkurse an. So lernt er mehr Leute aus der linken Szene kennen, auch | |
deutsche Organisationen, die zur Entwicklungsarbeit nach Uruguay kommen. Im | |
Jahr 1994 trifft er so seine zukünftige Ehefrau. Die Berlinerin ist für ein | |
Praktikum in Uruguay, sie verlieben sich. Als sie zurück muss, verspricht | |
sie, bald wieder nach Uruguay zu kommen. Aber es klappt nicht. Sie schlägt | |
Drews vor, sie in Berlin zu besuchen. „Ich bin für drei Monate nach | |
Deutschland geflogen. Daraus sind 28 Jahre geworden.“ | |
Friedrichshain: Direkt nach seiner Ankunft fährt die Freundin mit ihm zu | |
einem [3][besetzten Haus in Friedrichshain]. „Als ich ausstieg und das Haus | |
sah, traute ich meinen Augen nicht. Es sah aus wie ein Haus aus meinem | |
Ghetto, nur vierstöckig. Alles war kaputt, chaotisch, Klamotten lagen rum“, | |
erzählt Luis Drews. „Ich dachte nur, ich komme doch aus der Dritten Welt | |
und das hier soll die Erste Welt sein!“ Er wird Teil des | |
Besetzerkollektivs, die anderen vermitteln ihm Jobs, mit denen er sich | |
durchschlagen kann. Seine Freundin wird schwanger, schnell sind sie sich | |
einig: Das Kind soll in Deutschland aufwachsen. Also bleibt er. | |
Druckerei: Während des Gesprächs kommt ein junger Mann in den Laden und | |
fragt, ab welcher Menge Drews Aufträge annimmt. Der Kunde nimmt ein T-Shirt | |
vom Stapel, Drews weist ihn darauf hin, dass er den Siebdruck vorgestern | |
selbst gemacht habe. „Siebdruck?“, antwortet der Mann. „Das ist doch | |
Foliendruck“, er kenne sich aus, habe das studiert. Drews deutet auf seine | |
Maschine und Dinge im Raum, die er selbst bedruckt hat. Der Mann nickt. „So | |
ein feiner Siebdruck, selten gesehen.“ Er wolle die Tage noch mal | |
wiederkommen. Luis Drews weiß um die Qualität seines Handwerks. Dass es mit | |
seinem Traum einer eigenen Druckerei wirklich geklappt hat, dafür ist er | |
noch heute dankbar. Ein befreundetes Kollektiv hat ihm bei der Gründung mit | |
Startkapital geholfen. | |
Liebe statt Kampf: Rückblickend seien es die Menschen, die in sein Leben | |
getreten sind, die das Unmögliche möglich gemacht hätten, sagt er. In | |
Uruguay gibt es ein Sprichwort, das heißt „Arriba los que luchan“ – es | |
kommt weiter, wer kämpft. Tato, der damalige Leiter des Puppentheaters, | |
habe einmal gesagt, das sei nicht ganz richtig, es sollte heißen „Arriba | |
los que aman“ – es kommt weiter, wer liebt. | |
1 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Anna Severinenko | |
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