| # taz.de -- Dokumentarfilm über José Mujica: „Sofort auf Augenhöhe“ | |
| > Vom Guerillakämpfer zum Präsidenten von Uruguay: Heidi Specogna über | |
| > ihren neuen Dokumentarfilm „Pepe Mujica“, die Verwirklichung von inneren | |
| > Träumen und Politik. | |
| Bild: Auf seiner Farm: Pepe Mujica. | |
| Bevor Heidi Specogna in einem Kreuzberger Café das Gespräch über ihren | |
| neuen Dokumentarfilm, „Pepe Mujica – Der Präsident“, aufnimmt, breitet s… | |
| Material zum Anfassen auf dem Tisch aus. Ein Fotoalbum mit Bildern aus | |
| Uruguay erscheint und auch einige kleine Zettel mit einer Mujica-Karikatur | |
| und grünen Hanfblättern darauf – Flyer zur Werbekampagne für die | |
| Legalisierung von Marihuana. Das Gesetz wurde verabschiedet, seit dem 1. | |
| März ist außerdem Pepe Mujicas fünfjährige Amtszeit als Präsident von | |
| Uruguay zu Ende. | |
| Specognas empfindsamer Film über den altersweisen Mittachtziger ist auch | |
| ein besonderes Kapitel in der persönlichen Beziehung zwischen der | |
| Dokumentarfilmerin und Pepe Mujica – Anfang der 90er Jahre, während | |
| Recherchen zu Specognas Film „Tania la Guerillera“ kennengelernt, widmete | |
| sie ihm und der Movimiento de Liberación Nacional (Tupamaros), Uruguays | |
| kommunistischer Guerillabewegung, 1996 den gleichnamigen Film „Tupamaros“. | |
| taz: Frau Specogna, Ihr Film bleibt fast die ganze Zeit über bei Pepe | |
| Mujica in Uruguay. Erst im letzten Drittel begleiten Sie ihn mit auf eine | |
| Auslandsreise, diese führt nach Deutschland, und Mujica trifft Angela | |
| Merkel. Das schafft einen interessanten Kontrast. | |
| Heidi Specogna: Das war eine Szene, die unglaublich lange ihren Platz | |
| gesucht hat. So etwas gibt es manchmal im Film, Szenen, die wie | |
| Wanderpokale sind. Mal stehen sie da, dann wieder da. Sie war zum Beispiel | |
| auch am Anfang, als ein Versuch, so in den Film einzusteigen. Das hat | |
| allerdings überhaupt nicht funktioniert. Es funktioniert nur, wenn man mit | |
| Pepe die ganze Geschichte erlebt und am Schluss mit ihm zusammen nach | |
| Deutschland geht und einen gemeinsamen Blick auf dieses Land wirft. Da kann | |
| man merken, wie unterschiedlich das Gefühl von Warm und Kalt ist. | |
| Ganz zu Beginn des Films aber steht ein Brief, der von einer Frauenstimme | |
| verlesen wird und als Ton aus dem Off über Bildern einer ländlichen Region | |
| erklingt. Was hat es mit ihm auf sich? | |
| Dieser Brief landete typischerweise erst mal im Spamordner, ich hatte ihn | |
| zunächst gar nicht entdeckt. Lucia (Anmerkung: Lucia Topolansky, | |
| langjährige Gefährtin von Pepe Mujica und ebenfalls ehemaliges Mitglied der | |
| Tupamaros) hat ihn an mich geschrieben, 2010, ein unglaublich schöner | |
| Brief. Sie schreibt, was sich alles verändert hat, seitdem Pepe Präsident | |
| von Uruguay ist, und was nicht. Dass sie immer noch am gleichen Ort wohnen, | |
| aber vor dem Haus nun ein Wachmann Position bezogen hat. Lucia hat den | |
| Brief siebzehn Tage nach Pepes Amtsantritt geschrieben. Das hat mich sehr | |
| berührt. | |
| Der Film enthält auch einige Sequenzen aus „Tupamaros“, man sieht Mujica | |
| und Topolansky bei der Blumenzucht, Topolansky berichtet von fürchterlichen | |
| Folterszenen im Gefängnis. Tatsächlich schneidet „Pepe Mujica“ diese | |
| Vergangenheit aber nur an und konzentriert sich viel mehr auf „El Pepe“ | |
| heute. | |
| Vor allem konzentriert er sich auf die große Frage: Was bleibt von Träumen | |
| und Visionen übrig, wenn man in eine solche Position kommt, Teil der | |
| Regierung eines Landes wird? Kann man sich da selbst treu bleiben? Es gibt | |
| für mich an dieser Stelle auch einen Bogen zum „Tupamaro“-Film, denn der | |
| hört ganz nachdenklich auf, Pepe zweifelt daran, ob er für die Politik | |
| gemacht ist. Und er bringt klar zum Ausdruck, dass er eigentlich keine Lust | |
| mehr hat, dass er müde ist. Er sagt aber auch, dass er die inneren Träume | |
| in sich nie verloren hat. Und mit diesen Fragen bin ich eigentlich in den | |
| neuen Film hineingegangen. | |
| Mujica redet im Film sehr viel. | |
| Wir hatten 1.000 Seiten transkribierte Interviews und Reden. Und er ist ein | |
| begnadeter Redner. Keine einzige seiner Reden ist vorbereitet, die sind | |
| alle direkt aus dem Stegreif. Er ist wie ein großer Performancekünstler, er | |
| kommt an, fasst das Publikum und bringt Themen mit, die ihm vielleicht eh | |
| wichtig sind oder die ihm auf der Fahrt begegnet sind. Wenn man so möchte, | |
| besteht der Film aus vier großen Reden, keine von ihnen war übrigens kürzer | |
| als vierzig Minuten, und jede für sich ist sehr zielgerichtet. | |
| Eine hält er etwa im Landesinneren, wo er ganz anders mit Bildern und | |
| Bildbeispielen umgeht als in Berlin. Er hat schon ein Bewusstsein dafür, zu | |
| wem er eigentlich spricht. Was ihn auszeichnet, ist, dass er mit seinen | |
| Reden die Leute wirklich erreicht. Er erreicht sie emotional, aber auch | |
| seine Botschaft kommt an. | |
| Dieses gegenseitige Verständnis wird auf sehr subtile Weise transportiert. | |
| Es gibt Einstellungen von einem Frauengesicht im Profil, aufgenommen | |
| während einer von Mujicas Reden, und man bemerkt, dass sich etwas in ihm | |
| verändert. Das sind sehr feine Interaktionen. Direkte Gegenstimmen oder | |
| Kritik an Mujica gibt es im Film keine. Ist das so gewollt oder existieren | |
| die gar nicht? | |
| Es gibt eine Passage, die ist mir auch wichtig, im Parlament, wo man den | |
| einen Oppositionspolitiker mitbekommt und wie er mit Pepe als Figur umgeht. | |
| Der sagt, man müsse ihm als Opposition natürlich zuhören, alles andere wäre | |
| respektlos. Aber er bemerkt auch, dass Pepe den einen Tag mal mal dies sagt | |
| und den anderen das. Das ist schon so eine Kernkritik an Pepe. Ich finde, | |
| das ist aber gleichzeitig auch seine Qualität. Er sagt, dass einige Dinge | |
| vielleicht für heute stehen, aber wenn man scheitert, zum Beispiel mit der | |
| Drogenpolitik, dann muss eben etwas anderes probiert werden. Er schließt | |
| das Scheitern ja nicht aus. Genauso wie er nicht ausschließt, dass er im | |
| Unrecht ist. | |
| Ich finde, die Selbstkritik, die der Film braucht, ist eben auch in seiner | |
| Person mit drin. Ich habe mich dazu entschieden, ihm den Raum zu geben und | |
| ihm beim Denken zuzugucken. Es gibt im Film diese langen Gesprächsszenen | |
| vor seinem Haus. Nur so können wir dabei sein und miterleben, wie ein | |
| Gedanke auch wirklich entsteht und formuliert und an uns herangetragen | |
| wird. | |
| Ihr letzter Film aus Lateinamerika war „Das kurze Leben des José Antonio | |
| Gutierrez“ von 2006. Hier entstand ein Porträt über den fehlenden, weil | |
| verstorbenen Hauptprotagonisten über Nebenstränge, die das Leben von | |
| Gutierrez nachzeichneten. In „Pepe Mujica“ bleiben diese aus, Sie | |
| konzentrieren sich vollständig auf eine einzelne Person. Welche | |
| Schwierigkeiten bringt das mit sich? | |
| Als Dokumentarfilmer bist du immer mit der Frage konfrontiert, wie du dir | |
| einen Protagonisten öffnest, wie schaffst du eine Basis, wie eine Nähe. Bei | |
| Pepe war die ja da. Weil wir uns schon kannten, aber auch, weil er ein | |
| Mensch ist, der sehr offen ist, keine große Scheu, keine Barrieren hat. Du | |
| bist mit ihm sofort auf einer Augenhöhe. Der Prozess bei diesem Film war | |
| insofern sehr anders, als dass wir uns beim Drehen sehr nah waren und uns | |
| erst im Schnitt wieder distanzieren mussten. Andernfalls wäre er als ganze | |
| Person gar nicht fassbar geworden. | |
| Der Sprung von den Tupamaros zum Präsidenten ist schon ein gewaltiger. Mich | |
| beschäftigt, wie Mujica selbst mit den sicherlich sehr verschiedenartigen | |
| Herangehensweisen fertig geworden ist – genauso wie die Bevölkerung | |
| Uruguays. | |
| Pepe wird gerade jetzt in der Rückschau an Resultaten gemessen. Allerdings | |
| muss man sagen, dass er wahnsinnig viel auch erst mal hat | |
| institutionalisieren müssen. Eine ganz neue Gesprächskultur etwa. Pepe | |
| wollte, dass jedes Gesetz ganz breit und in allen Bevölkerungsschichten | |
| tiefgehend diskutiert und debattiert wird – bis er das Gefühl hat, dass ein | |
| Gesetz auch wirklich mitgetragen und nicht bloß delegiert wird. Das ist für | |
| mich die große Leistung von Pepe. Dass Politik vielleicht auch ein bisschen | |
| Spaß machen und unkonventionell sein kann. Und dass sie nicht in einem | |
| Glaskasten passiert, sondern auf der Straße. | |
| 5 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Carolin Weidner | |
| ## TAGS | |
| Dokumentarfilm | |
| José Mujica | |
| Karneval | |
| Uruguay | |
| Konferenz | |
| José Mujica | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Karneval in Uruguay: Eine Murga kann sich jeder leisten | |
| Von Januar bis März wird in Montevideo getrommelt. Doch die Murga, eine | |
| politisch-satirische Straßenoper, gibt es das ganze Jahr über. | |
| Psychologe über Drogenpolitik in Urugay: „Das sind keine Karamellbonbons“ | |
| Mit dem Strafrecht lässt sich Drogenhandel nicht wirksam regulieren. Das | |
| zumindest glaubt Milton Romani vom urugayischen Drogenausschuss. | |
| Hommage an Harun Farocki: So lange starren, bis es sich bewegt | |
| Mit großer Neugier näherte sich Dokumentarist und Essayfilmer Farocki | |
| seinen Untersuchungsgegenständen. Eine Ausstellung in Berlin zeigt sein | |
| Werk. | |
| Präsidentschaftswahl in Uruguay: Die Jahre des Pepe Mujica | |
| Noch nie war ein Präsident Uruguays so bescheiden, unbestechlich – und | |
| respektiert. Das Land wählt heute den Nachfolger des ehemaligen Guerillero. |