| # taz.de -- Hommage an Harun Farocki: So lange starren, bis es sich bewegt | |
| > Mit großer Neugier näherte sich Dokumentarist und Essayfilmer Farocki | |
| > seinen Untersuchungsgegenständen. Eine Ausstellung in Berlin zeigt sein | |
| > Werk. | |
| Bild: „Eine Einstellung zur Arbeit“. Projekt von Antje Ehmann und Harun Far… | |
| „Als ich beim Fernsehen arbeitete, war ich, wenn ich nach Hause kam um fünf | |
| Uhr, so fertig, dass ich nur noch Fernsehen sehen konnte.“ (Harun Farocki, | |
| 1977) | |
| In einem Dokumentarfilm über Holger Meins, der sich in Stammheim zu Tode | |
| gehungert hatte, tritt 1975 Harun Farocki auf. Er hatte mit dem RAF-Kämpfer | |
| an der dffb studiert und sagt, dass er nur Tatsachen mitteilen werde, keine | |
| Deutungen, um psychologische Ableitungen zu verhindern. Darin hallt das | |
| Echo der Paranoia der 70er Jahre wider – und etwas mehr. | |
| Dieser Satz ist ein Schlüssel zum Werk des Multitalents, des Filmkritikers, | |
| Autors, Essayfilmers, Dokumentaristen, Installationskünstlers. Tatsachen | |
| zum Vorschein zu bringen, das ist kein schlechtes Motto für dieses Ouevre. | |
| Farocki näherte sich seinen Untersuchungsgegenständen – von | |
| Überwachungstechnologie bis zur Architektur, von Playboy-Fotos über | |
| Fußballspiele bis zu Planung von Einkaufszentren – mit Neugierde, nein, | |
| Gier nach Wissen. | |
| Christa Blüminger beleuchtete in einem klugen Vortrag die biografische | |
| Wurzel dieser Leidenschaft für die akribische Beschreibung. Farocki kam mit | |
| 17 Jahren nach Westberlin und machte dort auf dem Abendgymnasium das | |
| Abitur. Er war Autodidakt, das spiegelte sich in der Affinität zu | |
| Autodidakten wie Peter Weiss und Georg K. Glaser, denen er weithin | |
| vergessene Filme widmete. | |
| ## Mehr Forscher als Interpret | |
| Zu hören waren am Wochenende in Berlin im Haus der Kulturen der Welt | |
| arrivierte Philosophen, Kultur- und Filmwissenschaftler, Soziologen, | |
| Künstler aus Frankreich, USA, Großbritannien, Deutschland. Farocki galt | |
| international oft mehr als hierzulande. Einige Referenten verorteten ihn | |
| allzu routiniert in der Tradition der Kritischen Theorie. Das ist eine | |
| leichtfertige Verwechslung. Farocki näherte sich den Dingen weniger als | |
| Interpret denn als Forscher, der den Dingen auf den Grund geht. Um | |
| Architektur zu filmen, müsse man, so Farocki, die Gebäude so lange | |
| anstarren, bis sie anfangen sich zu bewegen. Das mag man als Credo seiner | |
| Arbeiten insgesamt nehmen. | |
| „Nicht ohne Risiko“ etwa zeigt die Übernahmeverhandlungen eines Hedgefonds | |
| mit einem mittelständischen Betrieb. Das ist keine einfache Abrechnung mit | |
| dem Finanzkapitalismus. Die Aufmerksamkeit gilt der Vermischung von Ernst | |
| und Spiel, von Deal und Theatralischem, Gesten, Blicken, Händen. Niemand | |
| hat die Verwandlung der von der Fabrik dominierten Disziplinargesellschaft | |
| in die postmoderne Selbstverwirklichungsgesellschaft so präzise analysiert. | |
| Das wird mit Adorno-Zitaten eher verdeckt als erhellt. | |
| Thomas Elsaesser schärfte in einer Tour d’Horizon den Blick für die | |
| konkrete Materialität dieses Werk, vor allem für Auge und Hand. Diese | |
| beiden Motive sind wie rote Fäden durch Farockis Filme gesponnen, die Hand | |
| als Instrument der Arbeitsroutinen, das Auge, das kontrolliert und doch | |
| leicht täuschbar ist. Dass Hände als Motiv in den Hintergrund treten, dass | |
| das Auge in diesem Oeuvre wichtiger wird, kann man als Abdruck der | |
| digitalen Revolution verstehen. | |
| Die dreitätige Konferenz im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ war ein | |
| Zwitter: Hommage an den Dokumentaristen, der im Juli 2014 starb, und | |
| Analyse der Installation „Eine Einstellung zur Arbeit“, die Antje Ehmann | |
| und Farocki entwarfen. | |
| ## Verweise auf Gene-Kelly-Filme und Hiphop-Stücke | |
| Zu sehen sind auf im Halbkreis angeordneten Monitoren fast 100 zweiminütige | |
| Szenen, die Arbeit zeigen, von Lissabon bis Tel Aviv, Bangalore bis Buenos | |
| Aires. Der Versuch, etwa von dem britischen Schriftsteller und Journalisten | |
| Kodwo Eshun, diese Szenen popkulturell mit Verweisen auf Gene-Kelly-Filme | |
| und Hiphop-Stücke zu codieren, hatte etwas Schwebendes, Ungefähres. | |
| Sowohl Kulturwissenschaftler als auch Soziologen schienen eher ratlos in | |
| ihrem Werkzeugkoffer nach brauchbaren Analyseinstrumenten zu kramen. Es war | |
| jedenfalls kein Zufall, dass Birger Priddat die präziseste Bildbeschreibung | |
| gelang – der Mann ist Ökonom mit genauem Blick für Arbeitsabläufe. | |
| Was ist „Eine Einstellung zur Arbeit“? Auf keinen Fall, so die | |
| Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch, taugen diese Filme als soziologische | |
| Studie über marginalisierte Arbeit. Koch mutmaßte, dass das Faszinierende | |
| [1][dieser Kurzfilme] gerade in dem Rätselhaften, Kontextfreien begründet | |
| ist, das durch die ästhetische Veredlung als Artefakt noch verstärkt wird. | |
| Anselm Franke berichtete en passant, dass er 2014 mit Harun Farocki im | |
| Bierhimmel in Kreuzberg einen neuen Film ins Auge fasste. Ein Essay über | |
| Muybridges fotografische Bewegungsstudien aus dem 19. Jahrhundert und das | |
| Motion-Capture-Verfahren, mit dem im 21. Jahrhundert in digitalen | |
| Produktionen Schauspieler Filmavatare animieren. Ein Film, der uns fehlt. | |
| 2 Mar 2015 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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