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# taz.de -- Zum Tod von Regisseur Harun Farocki: Eine doppelte Bewegung
> Harun Farocki blieb skeptisch gegenüber den Medien und machte doch
> gesellschaftliche Realitäten anschaulich. Am Mittwoch starb er
> überraschend.
Bild: Harun Farocki: Die formale Radikalität der frühen Jahre hatte er bewahr…
Ein junger Mann, ordentlich gekleidet in dunklem Jackett und mit Krawatte,
sitzt an einem Tisch. „Wie können wir Ihnen Napalm im Einsatz und wie
können wir Ihnen Napalmverletzungen zeigen?“ fragt er, während er in die
Kamera blickt. „Wenn wir Ihnen ein Bild von Napalmverletzungen zeigen,
werden Sie die Augen verschließen“, fährt er fort. Er räsoniert weiter;
sein rechter Arm greift währenddessen nach etwas, was sich jenseits des
Bildrandes befindet. „Wir können Ihnen nur eine schwache Vorstellung davon
geben, wie Napalm wirkt“, sagt er resigniert. Als seine Hand wieder im Bild
ist, hält sie eine Zigarette. Die drückt der junge Mann auf seinem linken
Unterarm aus. „Eine Zigarette verbrennt bei etwa 400 Grad.“ Er bewegt die
Hand, so dass die Brandwunde sichtbar wird. Sie hat in etwa die Größe eines
Eine-Mark-Stücks. „Napalm verbrennt mit etwa 3.000 Grad.“
Der junge Mann im Bild ist Harun Farocki, und der Film, „Nicht löschbares
Feuer“, eine 25-minütige Schwarzweiß-Arbeit, sein zweiter nach „Die Worte
des Vorsitzenden“ (1967). Gedreht hat Farocki „Nicht löschbares Feuer“
1968; er versucht darin, die Zuschauer in die Lage zu versetzen, sich eine
Vorstellung vom Vietnam-Krieg, von der verheerenden Wirkung der Brandwaffe
Napalm zu machen und davon, wie die eigene Existenz mit all dem
zusammenhängen könnte. Es ist eine Methode, die charakteristisch für
Farockis reiches filmessayistisches Werk werden soll: Der Filmemacher weiß,
dass schlichtes Abbilden nicht ausreicht, ja, in die Irre führt, wenn man
eine Vorstellung und einen Begriff von etwas entwickeln möchte. Er
beschreibt deshalb eine doppelte Bewegung: Er reflektiert die Probleme der
Veranschaulichung und versucht gleichwohl, Systeme, Abläufe und
Funktionsweisen anschaulich zu machen. Das können zum Beispiel die
Verhandlungsstrategien von Bankern sein („Nicht ohne Risiko“, 2004), die
Geschichte von Stahlwerken und deren Anteil am Zweiten Weltkrieg („Zwischen
zwei Kriegen“, 1978), die Revolution in Rumänien („Videogramme einer
Revolution“, 1992) oder auch die Herstellung von Ziegeln , mal per Hand,
mal mit Unterstützung von Maschinen („Zum Vergleich“, 2009).
Die formale Radikalität der frühen Jahre hat sich Farocki bewahrt; die
politische hat sich verschoben: Wenn man sich „Ein neues Produkt“ (2012)
ansieht, bleibt man im Unklaren darüber, ob die Unternehmensberater, die in
diesem Film über die Optimierung von Arbeitsplätzen und -abläufen sinnieren
und damit meist die Entlassung von Angestellten meinen, sich selbst
vorführen. Vielleicht könnten sie das Ganze auch als Imagefilm betrachten,
doch ist dies eine Unklarheit, die produktive Unruhe stiftet.
## In den Kunstbetrieb ausgewichen
Farocki kam 1944 im damals sudetendeutschen, heute tschechischen Novy Jicin
zur Welt; sein Vater war ein indischer Arzt, die Familie zog oft um, bevor
sie sich 1958 in Hamburg ansiedelte. 1966 gehörte er zum ersten Jahrgang
von Studenten, die sich an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin
(DFFB) einschrieben. Im November 1968 wurde er wegen unerwünschter
politischer Aktivitäten relegiert, außer ihm traf diese Strafmaßnahme auch
Gerd Conradt, Holger Meins, Hartmut Bitomsky, Wolfgang Petersen und andere.
Zwischenzeitlich arbeitete er für die Kindersendung „Sesamstraße“ oder
drehte Lehrfilme. Ab 1973 war er Redakteur bei der Filmzeitschrift
„Filmkritik“; ab Ende der 70er Jahre war es ihm möglich, kontinuierlich
Filme zu drehen. Doch je weniger Raum Kino und Fernsehen in den letzten
Jahren für essayistische Filmarbeit ließen, umso häufiger wich er in den
Kunstbetrieb aus. Bei Filmfestivals wie der Duisburger Filmwoche mit ihren
ausgiebigen, intensiven Diskussionen war er zwar noch Stammgast (und immer
für eine kleine Polemik zu haben), doch wurden seine Filme zuletzt oft in
Galerien und Museen präsentiert; oder sie entwickelten sich gleich zur
Videoinstallation, wie etwa die auf zwölf Bildschirmen präsentierte Arbeit
„Deep Play“, die Szenen des WM-Endspiels zwischen Frankreich und Italien
2006 wiederholte. Gezeigt wurde „Deep Play“ 2007 auf der Documenta 12 in
Kassel.
Im Winter präsentierte Farocki im Hamburger Bahnhof in Berlin die Schau
„Ernste Spiele“. In drei Doppel-Videoinstallationen macht er
nachvollziehbar, wie US-amerikanische Soldaten sich mithilfe von
Computersimualtionen auf ihre Einsätze vorbereiten. In der vierten
Installation geht es dann um die Kriegs-Nachbereitung. Zu sehen ist das
fingierte Gespräch zwischen einer Therapeutin und einem traumatisierten
Veteran, hinzu kommen computergenerierte Bilder, die dem Veteran die eigene
Kriegserfahrung im wahrsten Sinne des Wortes noch einmal vor Augen führen.
Für diese Bilder stehen weniger Produktionsmittel zur Verfügung als für die
Übungsfilme; deswegen werfen Gegenstände und Personen keine Schatten.
Am Mittwoch ist Harun Farocki überraschend gestorben. Eben noch hatte er
seine Frau, die Künstlerin Antje Ehmann, nach Salzburg begleitet, wo sie im
Kunstverein an der Gruppenausstellung „Punctum“ teilnahm. Eine Kollegin
flog mit den beiden von Salzburg nach Berlin zurück, sie erinnert sich an
ein gut gelauntes Paar und an kein Anzeichen körperlicher Schwäche. Ein
Spielfilm, an dessen Drehbuch Farocki mitgearbeitet hat, „Phoenix“ von
Christian Petzold, wird im September beim Filmfestival in Toronto
Weltpremiere feiern; am 16. August eröffnet im Essener Museum Folkwang die
Schau „Eine Einstellung zur Arbeit“, bei der Farocki und Ehmann
Videoinstallationen präsentieren, die in Anlehnung an „La Sortie de l’usine
Lumière à Lyon“ (1895) erforschen, wie Arbeit heute aussieht. Der Tod hat
Farocki aus großer Produktivität gerissen; er erschüttert deshalb umso
mehr.
## „Ihre Zeitungen“
Den 17-minütigen Film „Ihre Zeitungen“ produzierte Farocki 1968 noch als
Student an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Nur wenige
Monate später wurde er wegen „rebellischer Umtriebe“ von der Filmakademie
verwiesen.
Rechteinhaberin: Harun Farocki Filmproduktion
31 Jul 2014
## AUTOREN
Cristina Nord
## TAGS
Harun Farocki
Filmemacher
Christian Petzold
Konferenz
Holocaust
Arbeit
Klassik
Hamburger Bahnhof
Dokumentarfilm
Schwerpunkt Christian Semler
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