# taz.de -- Filmstart „Die geliebten Schwestern“: Das Glück zu dritt | |
> Von Schiller und der Kunst des Briefeschreibens: Es ist ein literarischer | |
> Film, dem man seine Lust am eigenen „Geschriebensein“ anmerkt. | |
Bild: Zwei junge Frauen und ein Dichter: Henriette Confurius, Florian Stetter u… | |
Dreieck, Kreis, Doppelstrich: In den Briefen, die Friedrich Schiller | |
(Florian Stetter) und die beiden geliebten Schwestern einander zusenden, | |
stehen grafische Symbole für die drei romantisch Entflammten ein. Die | |
Briefe werden im Jahr 1788 in Rudolstadt verfasst, im Laufe eines | |
sonnendurchfluteten Sommers, in dem die drei eine Liebe teilen, die noch | |
ungeformt und neugierig ist; einmal schmiegen sich die beiden jungen | |
Frauen, die nur auf mütterlichen Druck hin verheiratete Caroline von | |
Beulwitz (Hannah Herzsprung) sowie die noch ledige Charlotte von Lengefeld | |
(Henriette Confurius), an den klatschnassen Schiller, der soeben in einen | |
Fluss gesprungen war, um ein kleines Mädchen zu retten. | |
Dieser historisch nicht in allen Details, aber im Großen und Ganzen | |
verbürgte Sommer zu dritt fungiert in Dominik Grafs Film „Die geliebten | |
Schwestern“ als eine Art Zentrum, auf den hin ein breit aufgefächertes | |
Historienpanorama perspektiviert ist. Allerdings nicht im Sinne des | |
utopischen Fluchtpunkts einer befreiten Gesellschaft, die aus zukünftiger | |
Ferne lockt, sondern als ein vergangenes, eigentlich immer schon | |
unerreichbares Paradies. Das einen immerzu daran erinnert, was man | |
verliert, wenn man sich in der Liebe und auch sonst mit dem Geformten, | |
Vorgegebenen zufriedengeben muss. | |
„Die geliebten Schwestern“ ist ein Herzensprojekt Grafs; die besondere | |
Stellung im Werk kann man schon daran ablesen, dass der Regisseur erstmals | |
seit dem Frühwerk „Das zweite Gesicht“ ein eigenes Drehbuch verfilmt hat. | |
Und auch daran, dass sich der notorische Vielfilmer für seine erste | |
Kinoarbeit seit „Der rote Kakadu“ (2006) viel Zeit genommen hat: Gedreht | |
wurde schon 2012, danach dauerte es noch einmal über ein Jahr, bis das | |
Material montiert war und der Film auf der diesjährigen Berlinale Premiere | |
feierte. Jetzt existieren gleich drei Fassungen: Der (von Graf präferierte) | |
Festival-Cut dauert 171 Minuten, die Version, die diese Woche regulär in | |
den Kinos anläuft, ist eine gute halbe Stunde kürzer, eine zweiteilige | |
Fernsehfassung wird dann später im Jahr die Dreistundengrenze knacken. | |
Grafs freies, auch über temporale, räumliche, emotionale Brüche hinweg sich | |
flüssig anfühlendes Erzählen sorgt dafür, dass die jetzt vorliegende | |
Kinofassung kaum weniger rund wirkt als die auf der Berlinale gezeigte | |
längere Version. Als eine Art Gegenerzählung zum Aufstieg Schillers zur | |
Jenaer und später Weimarer Geistesgröße wird da nachvollzogen, wie die | |
einst unzertrennlichen Schwestern, die beide nicht auf die Liebe Schillers | |
verzichten möchten, dem Druck der sozialen Ordnung nicht standhalten können | |
und schließlich unaufhaltsam auseinanderdriften. Dass das Glück nicht von | |
Dauer sein kann, wissen alle Beteiligten von Anfang an. Charlotte muss ihre | |
Verlobung mit Schiller vor ihrer Mutter geheim halten, Caroline versucht | |
verzweifelt, ihrem Ehemann die Einwilligung in die Scheidung abzupressen. | |
Aber noch einmal zu den Rudolstädter Briefen, zum kurzen Sommer des Glücks. | |
Als den dreien vorgeworfen wird, mit Hilfe einer Geheimsprache ihre | |
Umgebung an der Nase herumführen zu wollen, reagiert der aufstrebende, zwar | |
schon als Genie gefeierte, aber noch junge und vorläufig auch noch | |
mittellose Dichter erbost: Nein, mit Arglist und Täuschung, mit den | |
Intrigenspielen der alten, der höfischen Gesellschaft möchten sie nichts zu | |
tun haben. Was zwischen Caroline, Charlotte und ihm sei, läge ganz im | |
Gegenteil offen zutage, für alle Welt sichtbar. | |
Warum dann aber, könnte man fragen, die grafischen Symbole anstelle der | |
Klarnamen? Vielleicht weil es den dreien, wie Grafs ganzem Film, darum | |
geht, dass Schrift nicht einfach nur die Welt abbildet (oder | |
katalogisiert), sondern einen Eigenwert hat. In diesem Fall gehören die | |
Zeichen einer intimen Sprache der Liebe an, die nur für die Beteiligten | |
sinnhaft ist, und die deshalb auch nicht verunreinigt werden soll von den | |
bürgerlichen Namen, die auf Herkunft, auf sozialen Status, in Schillers | |
Fall auf beginnende Prominenz verweisen. | |
Das ist eines von vielen Themen von „Die geliebten Schwestern“: die Lust am | |
Schreiben. Immer wieder filmt Graf Federn, die übers Papier gleiten, | |
angetrieben von der Lust, die es bereitet, im Akt des Schreibens eine | |
eigene Welt zu setzen. | |
Parallel vollzieht der Film die Verbreitung des Buchdrucks nach: Die | |
deutschen Druckerpressen sind zu Beginn noch kompliziert und schwerfällig, | |
aber bald werden sie modernisiert, bereiten den Siegeszug des gedruckten | |
Worts vor, das die Kunst der Schreibschrift bald mehr oder weniger obsolet | |
machen, sie zu einer Pflichtübung herabwürdigen wird, der man sich heute | |
fast nur noch in der Grundschule unterziehen muss. Grafs Film allerdings | |
schlägt sich, in seiner Form, gerade nicht auf die Seite des gedruckten | |
Worts, das in mechanischer, linearer, unpersönliche Regelmäßigkeit Zeile um | |
Zeile, Seite um Seite füllt, sondern auf die der zwar flüchtigeren, aber | |
auch flexibleren Handschrift: Nur beim Schreiben von Hand behält der Autor | |
auch die Kontrolle über das Schriftbild, über alle sinnlichen Aspekte von | |
Schrift. | |
In ebendiesem Sinne ist „Die geliebten Schwestern“ selbst ein literarischer | |
Film, ein Film, dem man seine Lust am eigenen „Geschriebensein“, an der | |
eigenen Bildproduktion anmerkt. Mal lässt Graf wie nebenbei ganze Jahre (in | |
einem besonders wagemutigen Fall: Jahrhunderte) zwischen zwei Schnitten | |
verschwinden, mal stellt er den Flow der Erzählung still, indem er seine | |
Figuren direkt in die Kamera blicken lässt. Und dann ist da noch der vom | |
Regisseur selbst gesprochene Voice-over, der gleich in der ersten Szene | |
(eine Kutschfahrt, ein erster Blick in die Welt hinaus) einsetzt und der | |
sich zu den Bildern, zur Geschichte nicht ordnend und erklärend, sondern | |
reflexiv, manchmal fast ornamental verhält: wie eine zweite Schrift, die | |
sich über, zwischen die erste legt. | |
31 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Lukas Foerster | |
## TAGS | |
Klassik | |
Dominik Graf | |
Zeichentrick | |
Harun Farocki | |
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