# taz.de -- Fischaugen-Film: Der Prinz der kleinen Planeten | |
> Der Bremer Journalist Jonas Ginter hat mit seinen Videos in | |
> 360-Grad-Perspektive die Illusion einer eigenen kleinen Erdkugel für | |
> jeden Menschen geschaffen. | |
Bild: Nicht nur die Welt, sondern jedes Bild ist bei Jonas Ginter kugelrund. | |
BREMEN taz | Etwa zwei Millionen Menschen haben sich auf der | |
Internetplattform Vimeo ein Video angesehen, auf dem man einen jungen Mann | |
sieht, der mit dem Fahrrad am Bremer Osterdeich entlang fährt. Die Optik | |
macht dieses Filmchen so besonders. Der Radfahrer scheint sich auf einer | |
eigene Erdkugel zu bewegen. | |
Das Bild schafft die Illusion einer in sich geschlossenen Welt, auf der man | |
gleichzeitig in alle Richtungen sehen kann. 360 Grad horizontal und 180 | |
Grad vertikal ist die Perspektive dieser etwa einminütigen Aufnahme, die so | |
faszinierend wirkt, weil sie Assoziationen zum „Kleinen Prinzen“ von | |
Antoine de Saint-Exupéry weckt. Solche Bilder in Fischaugenoptik werden | |
„tiny planets“ genannt und sind in der Panoramafotografie seit einigen | |
Jahren gängig. Aber als Bewegtbild in natürlicher Umgebung mit Menschen im | |
Fokus gab es das bisher nicht. | |
Jonas Ginter lebt in Bremen und hat zwei Jahre lang an seinem | |
Aufnahmeverfahren herumgebastelt. Nach vielen Fehlschlägen wie etwa einer | |
rotierenden einzelnen Spiegelreflexkamera, hat er eine Konstruktion mit | |
sechs kleinen Go-Pro-Kameras entwickelt, die aus einer höheren Position | |
synchron aufnehmen. Ginter montierte sie am Ende einer langen Stange an | |
sein Fahrrad. Am Computer werden dann die synchronen Aufnahmen der Kameras | |
so zusammengeschnitten, dass sie ein zwar verzerrtes, aber realistisch | |
wirkendes Bild ergeben. | |
## Eine Million Klicks | |
Ende März hat Ginter diese Aufnahmen gemacht, sie dann im Club Dialog in | |
der Schaulust am Bremer Güterbahnhof gezeigt und danach im Netz | |
hochgeladen. Dort wurde er auf Blogs und über Facebook von | |
Mountainbike-Fahrern und Kameraspezialisten geteilt, dann kamen | |
Livestyle-Blogs aus den USA dazu und nach einer Woche hatte sein Video über | |
eine Million Klicks. | |
Ginter sieht in diesem Phänomen ein Beispiel dafür, dass solch virtuelle | |
Wellen spontan entstehen und kaum geplant werden können. Sie rauschen | |
schnell vorbei. Nach ein paar Wochen wurden es weniger Klicks, inzwischen | |
sind es noch bis zu 2.000 am Tag. Insgesamt haben etwa zwei Millionen User | |
den Mann mit schwarzer Schirmmütze und blauer Regenjacke auf seinem Fahrrad | |
gesehen. | |
Ginter sieht sich nicht als der Erfinder seiner Apparatur. Er betont, dass | |
er seine Informationen aus dem Internet holte und konsequenterweise gibt er | |
nun auch in seinem Blog detaillierte Anweisungen für Nachbauten. Die | |
Software für die Postproduktion hat er nicht entwickelt, aber er hat ein | |
Problem gelöst. | |
So suchte er lange nach einer Apparatur, mit der er die sechs Kameras | |
fixieren konnte. Eigenbauten aus Holz, Eisen oder Styropor funktionierten | |
nicht. Schließlich entwarf er einen Kasten, den er auf einem 3-D-Drucker | |
aus Kunststoff machen ließ. | |
Ginter will keine Lizenz für das Verfahren bekommen. Stattdessen werden in | |
den USA gleich zwei ähnliche Lizenzanträge bearbeitet und für 700 Dollar | |
kann man eine Halterung für die Digitalkameras kaufen. Es kann also sein, | |
dass Ginter in naher Zukunft untersagt wird, die von ihm zusammengebastelte | |
Apparatur zu verwenden, wenn andere sich inzwischen die Rechte dafür | |
gesichert haben. | |
Ginter sieht sich eher als Dienstleister, der dieses Verfahren so gut | |
beherrscht wie kein anderer. Und seit April bekommt er lukrative Aufträge. | |
Er reiste für Aufnahmen nach Amsterdam und London und filmte für einen | |
Reiseveranstalter Hotels auf Teneriffa. Mit der HipHop-Band „Fettes Brot“ | |
drehte er einige Sequenzen für das Musikvideo zu ihrer WM-Hymne | |
„Fußballgott“. | |
## Aufnahme im Blindflug | |
Der Arbeitsprozess ist kompliziert, weil die Kameras exakt justiert werden | |
müssen und jede Aufnahme ein „Blindflug“ ist, man also nicht sehen kann, | |
was gerade aufgenommen wird. Zudem ist die Bearbeitung am Rechner komplex | |
und bislang hat sich noch kein professioneller Nachahmer von Ginter | |
gefunden. | |
Aber er weiß auch, dass solch ein optischer Effekt schnell an Faszination | |
verliert und schließlich „langweilig“ wird. In den nächsten Wochen hat er | |
aber noch ein paar schöne Aufträge. So fährt er mit dem Mofa über die Alpen | |
und filmt von einem Segelflugzeug sowie einer Achterbahn aus. Und er | |
bastelt noch an einer wasserdichten Version seiner Multi-Kamera. Auf den | |
Hype in den letzten Monaten sieht er mit professioneller Gelassenheit: „Ich | |
bekomme Geld dafür, dass ich spielen kann.“ | |
Ginter hat in Bremen Fachjournalistik studiert und sich dann auf die | |
Fotografie konzentriert. Dabei hat es ihn immer gereizt, originelle und | |
billige Lösungen für technische Probleme zu finden. So ließ er Jahre bevor | |
es Drohnen gab eine Digitalkamera an einem Heliumballon aufsteigen und | |
bekam so handgemachte Luftaufnahmen. | |
Für Zeitrafferaufnahmen entwickelte er Vorrichtungen mit einer Eieruhr für | |
60 Minuten lange Rundumschwenks und einem Jo-Jo für extrem langsame | |
Fahrten. Sein erster kleiner Hit im Netz war eine Montage von | |
Zeitrafferaufnahmen vom Bremer Freimarkt. Inzwischen ist er für die | |
visuelle Außendarstellung der „Bremer Tourismuszentrale“ verantwortlich. | |
31 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
## TAGS | |
Hörbuch | |
Klassik | |
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