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# taz.de -- Dokumentation „Ein neues Produkt“: An ihrer Sprache sollt ihr s…
> Die "Unternehmensberatung für Neubauplanung" entwirft neue Arbeitswelten,
> die Stadtteile wie die Hafencity prägen. Der Filmemacher Harun Farocki
> hat zugeschaut.
Bild: Herren über Raum und menschliche Ressourcen: Mitarbeiter des Quickborner…
HAMBURG taz | Sie werden umworben und befragt, man forscht über ihre
Bedürfnisse und Kommunikationsstrukturen: Die modernen Mitarbeiter in der
heutigen Dienstleistungsgesellschaft, so ein erster Eindruck, den Harun
Farockis Film „Ein neues Produkt“ vermitteln könnte, müssen glückliche
Wesen sein.
45 Minuten kann man zusehen und vor allem zuhören, wie über Arbeit geredet
wird: Brauchen Angestellte in der heutigen vernetzten Zeit überhaupt noch
eigene Schreibtische? Wenn sie keinen individuellen Arbeitsplatz im
Firmengebäude haben, wie schafft man trotzdem ein starkes
Zugehörigkeitsgefühl? Wie müssen Orte des produktiven Austausches
beschaffen sein? Wie viel Anteil soll ein Vorgesetzter am Privatleben
seiner Mitarbeiter nehmen?
Diese Fragen verhandeln in Farockis Film Mitarbeiter der Hamburger Firma
Quickborner Team, einer „Unternehmensberatung für Neubauplanung“, wie es
auf der Website heißt. Der Firmensitz lieg in bester Lage an der
Außenalster, die Aufgaben, derer man sich dort annimmt, sind: die Anordnung
von Schreibtischen, die Platzierung von Kommunikations- und Ruhezonen
innerhalb des Hauses, aber auch die Entwicklung abstrakter Raumkonzepte, in
denen sich das Beziehungsgeflecht innerhalb eines global agierenden
Unternehmens abbilden lässt.
Die Mitarbeiter des Quickborner Teams sehen sich als Vordenker einer
modernen Arbeitswelt, der sie eine vermarktbare Form zu geben suchen. Ihre
Hauptarbeitsmittel dabei sind: Flipcharts, Post-its, Eddings und vor allem
die Sprache. Ihre Arbeit, das zeigt Farockis Film, besteht neben der
Computersimulation von Räumen in der Suche nach neuen Worten, die die
beratenen Firmen nutzen können, um sich ihren Mitarbeitern und Kunden als
modern darzustellen.
Die Arbeit und die Bilder, die sich eine Gesellschaft von ihr macht, waren
immer schon eines der zentralen Themen des Filmemachers Harun Farocki. Seit
den 90er-Jahren hat er sich dabei immer häufiger der Mittel des Direct
Cinema bedient, das heißt einer nicht intervenierenden, rein beobachtenden
Methode (keine Interviews, keine Kommentare).
„Ein neues Produkt“ zeigt eindrucksvoll, dass man mit diesem Verfahren auch
den neuen Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnissen gut auf die Schliche
kommen kann. Macht manifestiert sich heute im Gebrauch einer neuen Form von
Sprache, die von allen, die an Arbeitsprozessen teilhaben, eingeübt werden
muss, in Bewerbungen, Schulungen, Mitarbeiterbesprechungen,
Firmenmitteilungen, Beratungsgesprächen.
Probleme heißen „Herausforderungen“, Schwächen „Entwicklungsmöglichkei…
Führung heißt „Coaching“ und Personal nennt man „Human Resources“. Wi…
Ressourcen sind auch die Mitarbeiter heute ein quantifizierbares und somit
effizienter zu nutzendes Produktionsmittel. Wenn man genau hinhört, erfährt
man in „Ein neues Produkt“ bei all dem Gerede über „Coffee Spots“ und
flache Hierarchien, worum es eigentlich geht bei diesen Beraterfirmen und
den Firmen, die sie beraten: um das Kreieren und Einüben einer schöneren
Sprache für eine größere Ausbeutung.
Das Quickborner Team hat unter anderem das neue Unilever-Gebäude in der
Hamburger Hafencity mitkonzipiert, doch dorthin unternimmt Farocki nur
einen kurzen Ausflug. Er konzentriert sich auf die Beobachtung von
Gesprächssituationen, was durchaus konsequent ist.
Wer dennoch wissen will, wie die modernen Arbeitswelten aussehen, die
Firmen wie das Quickborner Team entwerfen, sollte sich den Dokumentarfilm
„Work Hard – Play Hard“ von Carmen Losmann ansehen. In sorgfältig
kadrierten Cinemascope-Einstellungen macht Losmann die Räume der heutigen
Dienstleistungsgesellschaft erfahrbar – nicht als Orte realer Arbeit,
sondern als Bühnen. Was auf diesen Bühnen zur Aufführung kommt, sind die
Rollen- und Sprachspiele, in denen Abhängigkeitsverhältnisse als
Partizipation kaschiert werden.
Einige Worte, die man in keinem der beiden Filme zu hören bekommt: Lohn,
Gehalt, Mitbestimmung, Betriebsrat, Gewerkschaft, Streik. Bei der
Filmvorführung erinnerte Farocki an die frühen 60er-Jahre, „eine heroische
Zeit ohne Unterwerfungsgesten“, als er auf den Hamburger Docks mit anderen
Hafenarbeitern malochte. „Wenn da Chefs oder Politiker vorbeikamen, hat
keiner mit denen gesprochen. Dazu waren die Arbeiter viel zu stolz, die
haben höchstens wüst geschimpft. Einmal haben sie die Limousine eines
Politikers mit einem Sandstrahler abgespritzt.“ So weit kann’s kommen, wenn
man keinen Berater hat.
19 Jul 2012
## AUTOREN
Volker Hummel
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