# taz.de -- Der Hausbesuch: Die Badegäste vor der Balkontür | |
> Seit 34 Jahren wohnt und arbeitet Bademeister Michael Lorenz in einem | |
> Freiburger Freibad. Die Patrouille ums Becken ist nur ein Teil seines | |
> Jobs. | |
Bild: Früher verbrachte Michael Lorenz auch seine Freizeit auf dem Gelände, h… | |
Bademeister sind Alleskönner. Sie sollen eine natürliche Autorität | |
ausstrahlen, aufkommenden Streit schlichten, Menschen jederzeit vor dem | |
Ertrinken retten und trotzdem Spaß an der Sache haben. Eigentlich sollen | |
sie sein wie Michael Lorenz. | |
Draußen: Das 1934 erbaute Strandbad in der Schwarzwaldstraße in Freiburg | |
liegt neben dem Dreisamstadion, [1][wo die Profis des SC spielten], bevor | |
sie 2021 in ein größeres Stadion umzogen. Badegäste betreten das Strandbad | |
durch einen Eckturm an der rechten Seite des Geländes. Lachen und laute | |
Gespräche hallen aus dem Kassenraum zum Eingang. Durch das Schiebefenster | |
lugen der Teenager Paul oder die etwas älteren Kollegen Elke und Markus und | |
verkaufen Eintrittskarten. Über der Kasse wohnt Michael Lorenz, der | |
leitende Bademeister. | |
Drinnen: Zu seiner Wohnung gelangt Lorenz, wenn er den Aufenthaltsraum | |
hinter der Kasse durchquert und eine Wendeltreppe hochsteigt. „In einer | |
friedlichen Familie kommt Glück von selbst“, steht auf einem Bild, das | |
neben der Wohnungstür hängt. Auf dem Tisch in der Küche blühen violette | |
Gladiolen in einer Vase. Der Raum ist lichtdurchflutet. Durch die Fenster | |
blickt Lorenz auf das Sonnendeck und das Beckenareal. Sein großer weißer | |
Pyrenäenberghund Paule und die zwei Katzen Murmel und Bella stromern durch | |
die Wohnung. | |
Mütterlicher Einfluss: „Nach meinem Schulabschluss wollte ich erst nur | |
jobben und das Leben genießen.“ Seine Mutter aber habe nicht | |
lockergelassen und unbedingt gewollt, dass er eine Ausbildung mache. | |
Irgendwann sei dann der damalige Betriebsleiter eines Freiburger Hallenbads | |
bei der Mutter in der Küche gesessen und habe von der Ausbildung erzählt. | |
„Ich konnte mir dann mehr unter dem Job vorstellen und gab mir einen Ruck.“ | |
Mit 17 begann Lorenz seine Ausbildung als Fachkraft für Bäderbetriebe. | |
Der erste und letzte Vertrag: „Ich kenne das Arbeitsamt nur von der Schule, | |
als wir kurz vor dem Abschluss zu einer Beratung gegangen sind.“ Seit März | |
1989 arbeitet Lorenz als Bademeister im Strandbad. Wenige Monate zuvor hat | |
er die Dienstwohnung bezogen. Lorenz kann sich noch gut an seine ersten | |
Monate als ausgebildeter Bademeister erinnern. „Im Frühjahr 1989 bin ich | |
vom Hallenbad ins Strandbad gewechselt. Ich war dann erst mal nur als | |
Badeaufsicht am Becken. Nach einem Jahr bin ich stellvertretender | |
Bademeister geworden.“ | |
Mit Blick aufs Becken: „Mein Balkon schließt an das Sonnendeck an, wo die | |
Liegestühle für die Badegäste stehen. Früher hatte ich die Balkontür immer | |
offen und habe auch in meiner Freizeit mit den Badegästen geplaudert.“ Als | |
er jünger war, nutzte er das Areal auch vor und nach der Badesaison, um mit | |
Freunden zu grillen oder Fußball zu spielen. Inzwischen ist Michael Lorenz | |
55 und braucht mehr Abstand. „Wenn ich freihabe, gehe ich auch mal ganz | |
weg. Wandern oder Radfahren ins Umland. In Notfällen bin ich aber immer | |
erreichbar.“ | |
Vier Jahreszeiten: Die Arbeit als Bademeister sei abwechslungsreich. „Ab | |
Februar fangen wir an, das Bad aufzurüsten. Alles wird dann in Schuss | |
gebracht: die Beckenumgänge, die Rutschen, die Beckenböden werden | |
gesäubert, abgeschliffen und neu gestrichen. Fliesen werden neu verlegt.“ | |
Das dauere drei Monate. Im ersten Monat arbeitet Michael Lorenz nur mit | |
seinem Stellvertreter zusammen. Ab März kommen Saisonkräfte dazu. Zum 1. | |
Mai müsse alles stehen und mindestens bis zum Ende der Badesaison im | |
September halten. | |
Vielseitigkeit: „Viele denken, dass ein Bademeister nur ums Becken läuft. | |
Das habe ich vor meiner Ausbildung auch gedacht. Aber es hängt viel mehr | |
dran.“ Lorenz betreut die Filteranlagen, die Rohrleitungen und die | |
Wasseraufbereitung, plant die Dienste, organisiert die Nachbestellungen der | |
Chemikalien und Geräte. Manchmal macht er noch Aufsicht. „Ich mag es, mit | |
den Gästen ins Gespräch zu kommen.“ | |
Handarbeit statt Roboter: Lorenz ist praktisch veranlagt, verlegt gerne die | |
Fliesen im Becken und liebt es, mit seinem Hako-Rasenmähertraktor den Rasen | |
auf dem Areal zu mähen. Die Arbeit habe sich zuletzt zunehmend ins Büro | |
verlagert. Also weniger Garten- und mehr Verwaltungsarbeit. „Es macht mir | |
Angst, dass immer mehr digitalisiert wird, weil dadurch die Vielseitigkeit | |
verloren geht. Im schlimmsten Fall werden Technologien eingesetzt, die die | |
Aufsicht ersetzen. Wie beispielsweise Sensoren im Becken.“ In seiner | |
Ausbildungszeit habe er die Becken jeden zweiten Tag mit einem Absauggerät | |
an zwei langen Stangen gereinigt. Das sei anstrengend gewesen, habe aber | |
Spaß gemacht. Heute fährt ein Saugroboter die Becken ab. Eine technische | |
Neuerung sei allerdings tatsächlich ein Segen: eine Funkleitung und ein | |
Telefon im Bademeisterhaus am Becken. „Bevor wir ein Funktelefon hatten, | |
gab es nur eine Verbindung zur Kasse. In Notfällen mussten wir erst die | |
Kasse anrufen, die dann den Sanitäter rief. Da verstrich wertvolle Zeit.“ | |
Leben und Tod: In den vergangenen 30 Jahren erlebte Lorenz auch ein paar | |
tragische Momente im Strandbad. Wie an jenem Donnerstag im Sommer seines | |
ersten Arbeitsjahrs, 7.000 Besucherinnen und Besucher. Zum Zeitpunkt des | |
Unglücks, gegen 18 Uhr, sitzt Lorenz an der Kasse und wird telefonisch | |
informiert. Ein 18-jähriger Student war ins Becken gesprungen und kurz | |
darauf gestorben. „Der Körper lag zugedeckt bei uns im Büro, bis der | |
Leichenwagen eintraf. Seine Freundin kam dann und schrie auf, als sie den | |
leblosen Körper sah. Das war der schlimmste Tag, den ich erlebt habe.“ In | |
der Obduktion wurde ein Herzfehler festgestellt. „Tatsächlich fangen die | |
guten Erinnerungen ähnlich an“, sagt er. „Es gab Notfälle, in denen die | |
Verunglückten reanimiert werden konnten. Zweimal waren es Grundschulkinder, | |
denen ich das Leben gerettet habe.“ | |
Das Wichtigste: Michael Lorenz lacht gerne. „Ich bin, glaube ich, bekannt | |
dafür, dass ich viel flachse, ohne Spaß funktioniert mein Leben nicht.“ Ihm | |
sei der lockere Umgang im Kollegium wichtig. „Schlimm“ findet er, wenn | |
Menschen zum Lachen in den Keller gingen. „Jeder, der hier arbeitet, sollte | |
sagen können, dass er gern herkommt. Ohne Spaß funktioniert so ein Betrieb | |
nicht, auch weil er stressig und belastend sein kann.“ | |
Scheiße bauen: Ein bisschen zeigt sich der verschmitzte Charakter von | |
Lorenz auf dem Foto, das über seinem Schreibtisch im Kassenraum hängt. | |
Darauf posiert er als Vierjähriger mit Schwimmflügeln im Strandbad. „Als | |
ich klein war, habe ich mit Freunden natürlich auch Scheiße gebaut. Aber | |
wenn wir erwischt wurden, haben wir Respekt gehabt.“ Heute beobachte Lorenz | |
mehr und mehr [2][eine Verrohung und einen respektlosen Umgang mit | |
Autoritätspersonen]. „Den Jugendlichen ist es egal, ob sie erwischt werden. | |
Sie machen einfach, was sie wollen. Und wenn sie ermahnt werden, dann | |
kommen gleich fünf weitere dazu und pöbeln.“ | |
Security: In den Freiburger Bädern sei es mit der Gewalt zum Glück nicht so | |
schlimm, wie man es [3][aus Berlin oder anderen Städten höre]. „Ich glaube | |
aber nicht, dass die Täter überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund | |
sind, wie oft behauptet wird.“ Bei bis zu 8.000 Badegästen sei zu erwarten, | |
dass Leute dabei sind, die sich nicht gut verhalten, und der Personalmangel | |
erschwere die Situation. Seit 2019 gibt es im Strandbad Security. „Damals | |
hatten wir sehr viele Gäste und gleichzeitig Personalmangel. Bevor die | |
kamen, haben wir selbst Taschenkontrollen durchgeführt und waren | |
überrascht, was manche Jugendliche so an Messern und Alkohol dabeihaben.“ | |
Das Allerliebste: „Tiere sind mein Ein und Alles.“ Die Katzen Murmel und | |
Bella, eine davon nur dreibeinig, hat er aus einem Tierheim. Der Hund Paule | |
ist vor vier Jahren als Welpe dazugekommen. Die Tiere geben ein | |
harmonisches Trio ab. „Es kann sogar sein, dass ich mir auch irgendwann | |
noch ein Aquarium zulege. So was beruhigt ja unheimlich, vor allem wenn es | |
schön beleuchtet ist“, sagt Lorenz. | |
3 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Sara Rahnenführer | |
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