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# taz.de -- Die Verschrottisierung von Liegestühlen: Die Sache hat jetzt einen…
> Einst waren Liegestühle einfach aus Holz. Warum werden heutzutage dann
> hässliche Plastikleisten drangeschraubt? Und was sagt der TÜV dazu?
Bild: Klappt doch! Der schwedische Komiker Carl Gustaf Lindstedt versuchte in d…
Es gab sie mal, die einfachen, guten Liegestühle aus Holz mit einer
Liegefläche aus dicht gewebtem Stoff. In der Nichtliegestuhlzeit lehnten
sie flach zusammengeklappt an der Wand und störten nicht weiter. Kam der
Sommer, ließ sich so ein Stuhl einfach aufstellen: Man überlegte kurz,
welches die Hinterbeine sind und welches die Vorderbeine, sortierte die
frei schwingenden Teile und klappte sie dann so zusammen, dass eine an der
Rückenlehne befestigte Querleiste in die Kerben einrastete, die in die
hinteren Beine der Liegestühle gefräst waren. Drei Stufen gab es – eine zum
halbwegs aufrechten Sitzen, [1][eine zum entspannten Liegen] und eine
dazwischen.
Es war ein simples, aber perfektes Produkt, nur aus Holz und Stoff. Nichts
weiter. Der alte Designgrundsatz Form follows Function in seiner schönsten
Form.
Es gibt diese Stühle noch immer, aber sie werden seltener. Denn die meisten
derartigen Liegestühle sind nicht länger nur aus Holz und Stoff. Sie sind
jetzt mit zwei Hakenelementen aus Plastik ausgestattet, und die sind genau
auf den in die Hinterbeine gefrästen Kerben angebracht. Die
Plastikhakenleisten vergrößern die Kerben und bieten – oder versprechen das
zumindest – noch mehr Halt.
Nun könnte man sagen: Ja, und? Oder: Ist doch super, noch mehr Sicherheit
beim gepflegten Faulenzen.
## Ein Unding in mehrerlei Hinsicht
Aber, nein: Die aufgeschraubten Plastikleisten sind in mehrerlei Hinsicht
ein Unding. Erstens, weil aus Plastik immer irgendwann auch Plastikmüll
wird. Zweitens werden die schlichten, schönen Stühle dadurch hässlich.
Drittens folgt ihre Markteinführung einer kapitalistischen Logik, die ein
Mehr, ein „Noch besser“, ein „Jetzt neu mit …“ verspricht, selbst, we…
Aufwertung gar keine ist, denn: Viertens kann natürlich auch ein Liegestuhl
mit Plastikhaken zusammenbrechen. Jeder Stuhl kann das. Die ins Holz
gefrästen Kerben haben als Zusammenbrechschutz völlig ausgereicht.
Und ist denn wirklich schon mal jemand mit dem Stuhl zusammengeklappt, weil
die Querstrebe an der Rückenlehne nicht in die eingefrästen Haken
eingerastet war? Abgesehen davon: Wäre das so schlimm? Ein Liegestuhl steht
ja zumeist auf weichem Grund. Sand. Gras. Vielleicht Kies, aber selbst das
wäre zu verschmerzen.
Eine Umfrage im erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis ergab keinen Trend
zum hakenlosen Zusammenbrechen. Was nur einige der Befragten anmerkten: Sie
hätten sich die Finger beim Auf- und Abbau eingeklemmt. Tja, das tut weh
und kann leicht passieren, weil die Beine und die Querstrebe frei
schwingen. Aber gerade dagegen helfen diese Plastikhaken ja gar nicht.
Warum gibt es sie also? Bei der Recherche nach Herstellern, die es wissen
könnten, fällt auf: Klappliegestühle werden oft als Werbemittel
hergestellt. Eine Firma möchte auf sich aufmerksam machen und ordert bei
einem Liegestuhlhersteller massenhaft Stühle, deren Stoffsitzflächen mit
dem Firmenlogo oder einem Werbeslogan bedruckt sind und dann in Beachclubs,
an Stadtstränden – temporär mit mehreren Fuhren Sand, palmenartigen
Gewächsen, Trinkbuden und bunten Lämpchen ausgestatteten Freizeitbereichen
dort, wo sonst kein Strand ist – oder auch mal auf Stadtplätzen mit tristem
Betonpflaster rumstehen, um [2][sommerliche Leichtigkeit] zu versprühen.
Ohne es zu diesem Zeitpunkt der Recherche schon zu wissen: In der Tatsache,
dass die Liegestühle oft als Werbemittel fabriziert werden, liegt schon ein
Teil der Antwort.
## Ruckartiges Hinsetzen, ungleichmäßige Belastung
Zunächst aber ein Anruf beim TÜV, denn da ruft man ja an, wenn es um
Sicherheit und Technik geht.
Dirk Moser-Delarami, Pressesprecher des TÜV Süd in München, gibt
bereitwillig Auskunft: „Unserer Ansicht nach“ hätten die Plastikhaken „v…
allem eine ergänzende Sicherungsfunktion“, indem sie die Rückenlehne
zusätzlich abfingen. Die Kerben allein „reichen theoretisch aus, um die
Rückenlehne in Position zu halten“, doch könne die Lehne „bei unsachgemä…
Gebrauch“ – ruckartiges Hinsetzen, ungleichmäßige Belastung – „evtl. …
den Kerben rutschen. Die Haken verhindern dieses unbeabsichtigte
Herausspringen“, schreibt Moser-Delarami.
Denkbar sei auch, dass Hersteller, etwa bei gewerblicher Nutzung,
Haftungsrisiken vorbeugen und „den Anforderungen von Sicherheitsprüfungen
gerecht“ werden wollten. Moser-Delarami schreibt auch, dass Liegestühle
ohne Plastikhaken nicht zwangsläufig unsicher seien: „[3][Wenn das Holz in
einwandfreiem Zustand ist und die Kerben sauber gefräst sind],
funktionieren auch klassische Modelle ohne zusätzliche Haken zuverlässig.“
Kein TÜV-Statement ohne DIN, und so verweist der TÜV-Süd-Sprecher auf die
relevanten Prüfgrundlagen, dargelegt in DIN EN 581-1
„Sicherheitsanforderungen für alle Arten von Outdoor-Möbeln“ und in DIN EN
581-2 „für Sitzmöbel im Außenbereich (inkl. Stabilitäts- und
Festigkeitsprüfung)“. Damit wird geprüft, ob ein Liegestuhl kippsicher,
belastbar und mechanisch sicher konstruiert ist, „z. B. ob es beim
Zurücklehnen zu einem plötzlichen Zusammenklappen kommen kann“. Die
Plastikhaken könnten helfen, solche Sicherheitsanforderungen besser zu
erfüllen. Gefordert werden sie in den Normen aber nicht.
Beim TÜV Rheinland sind sie liegestuhlmäßig schon etwas weiter. Laut
Pressesprecher Fabian Dahlem fand „eine normative Vorgabe“ bislang vor
allem in Frankreich Anwendung, weil dort durch fehlerhaftes Aufstellen der
Stühle gehäuft „Scher- und Quetschstellen“ – Finger ab oder Finger auts…
aufgetreten seien. Derzeit werde deshalb Norm 581-2 in die europäische
Normgebung aufgenommen, um die Zahl solcher Unfälle zu reduzieren.
Also, es tut sich was auf dem Markt der Liegestühle. Vorgegeben waren die
Haken bislang nicht, aber das wird wohl so kommen.
## Zum Lifestyle-Produkt aufgemöbelt und dann abgespeckt
Warum es die Haken trotzdem schon breitflächig gibt, verrät Wiebke
Schneider, Junior Content Managerin vom Werbeartikelshop brandible in
Dresden, einem der größten Anbieter von Liegestühlen, die als Werbemittel
eingesetzt werden, per E-Mail: „Mit der Zeit wurde der Liegestuhl – durch
Werbeartikel/Werbetechnik Industrie – zu einem Lifestyle-Produkt. Um Kosten
und Gewicht zu sparen, wurde mit der Zeit der Querschnitt des Holzes
verändert und ‚abgespeckt‘.“
Das heißt also: Mal wieder ist der Kapitalismus Schuld. Liegestühle sind
ihrem eigentlichen Zweck enthoben und dienen als Werbemittel. Damit sie
dafür möglichst billig hergestellt werden können, spart man am Werkstoff
Holz und sichert sich gegen plötzliches Zusammenbrechen durch
aufgeschraubte Plastikhakenleisten ab. Die sehen doof aus und degradieren
den Stuhl zum Wegwerfartikel, machen ihn aber eben billiger als früher.
Man kann diese Verschrottisierung der Welt nur im Liegen ertragen – auf
einem stabilen Stuhl ganz aus Holz.
29 Jun 2025
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## AUTOREN
Felix Zimmermann
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