# taz.de -- Kampf um Platz am Strand (Teil3): Die Macht im Sand | |
> Handtücher auf Liegestühlen als besitzanzeigendes Objekt müssen bekämpft | |
> werden. Denn sie sind ein erster Schritt in die | |
> Zwei-Klassen-Gesellschaft. | |
Bild: Sind die Liegen einmal belegt, hat der Gedanke des Nichtbesitzes, seine U… | |
BERLIN taz | An den Stränden Sardiniens und der Toskana geht die | |
italienische Polizei neuerdings rabiat vor. Sie beschlagnahmt nicht nur | |
Handtücher und Liegen, die nächtens an Stränden aufgestellt wurden, um den | |
Platz an der Sonne zu reservieren. [1][Sie kassiert sogar 200 Euro Strafe] | |
von den Usurpatoren. | |
Was es bedeuten würde, wenn sich die besitzergreifenden Handtuchleger | |
durchsetzten, hat dereinst der Soziologe [2][Heinrich Popitz] beschrieben. | |
In seinem Buch „Phänomene der Macht“ erzählt er von einer Schiffsreise | |
durchs östliche Mittelmeer. An Bord waren Händler und Reisende, Umzügler | |
und Flüchtende. Popitz jedoch richtete sein Augenmerk vor allem auf die | |
Liegestühle. | |
Von denen gab es rund ein Drittel so viele wie Passagiere an Bord. Was | |
zunächst kein Problem war, denn sie wechselten stets den Besitzer. Sobald | |
jemand aufstand, galt der Liegestuhl als frei. Das Gebrauchsgut stand zwar | |
nur in begrenzter Zahl zu Verfügung, wurde aber dennoch nicht knapp. | |
Das jedoch änderte sich schlagartig, als Neuankömmlinge nach dem Stopp in | |
einem Hafen begannen, Liegestühle auf Dauer in Besitz zu nehmen. Prompt | |
hatten sich zwei Klassen etabliert: die Besitzenden und die Besitzlosen. | |
Die Besitzenden hielten zusammen. Sobald sich jemand einem freien Stuhl | |
näherte, wurde er von anderen Besitzenden vertrieben. Später wurden freie | |
Stühle gar zusammengeklappt, damit sie von den Besitzlosen nicht okkupiert | |
werden konnten. Die alte Ordnung der freien Verfügbarkeit war perdu. | |
Natürlich hätten die Nichtbesitzenden sich dagegen wehren können. Sie | |
hätten die Liegestühle zurückerobern können. Doch ihr Problem, so Popitz, | |
sei die Frage gewesen: Was kommt nach dem Erfolg? Geben sie die Stühle | |
wieder zur freien Verfügbarkeit, werden sie von den anderen umgehend wieder | |
in Beschlag Genommen. Geben sie sie nicht frei, bilden die zuvor | |
Nichtbesitzenden nur die neue Klasse der Besitzenden. | |
## Der Zwang zur Intoleranz | |
„Die Vertreter des genossenschaftlich-gleichheitlichen Prinzips können sich | |
nur durchsetzen, wenn sie sich radikal durchsetzen“, schlussfolgert Popitz. | |
„Entweder muss es ihnen gelingen, das Besitzdenken zu unterdrücken, dass es | |
praktisch nicht zur Geltung kommen kann – die ‚Umerziehung‘ –, oder sie | |
müssen eine geschlossene Gesellschaft bilden, an der die anderen nicht | |
teilhaben, vom Gebrauchsrecht ausgeschlossen sind.“ Daraus ergebe sich ein | |
merkwürdiger Zwang zur Intoleranz. Der Gedanke des Nichtbesitzes, so | |
Popitz, hat seine Unschuld verloren. | |
Aber ist deshalb der dritte Weg, der nun in Italien gegangen wird, ein | |
akzeptabler? Ist der Staat der einzige Weg, um die Utopie der freien Güter | |
zu verteidigen? Wenn sich einmal eine besitzende Klasse gebildet hat, wohl | |
ja. | |
Um das zu verhindern, muss man früher ansetzen. Auch dafür liefert Popitz | |
Hinweise. Denn sowohl in der ersten Phase, als alle Stühle noch Gemeingut | |
waren, als auch später, schreibt der Soziologe, war die Besitzergreifung | |
allein „durch Belegungssymbole nicht durchsetzbar“. Das Handtuch als | |
territoriale Ansprüche markierendes Objekt gewinnt erst seine Macht, wenn | |
es durch Gesten und Geschrei der scheinbar Besitzenden untermauert wird. | |
Woraus unweigerlich zu schließen ist: Wehret den Anfängen! Missachtet das | |
Handtuch, das sich allein auf einer Liege oder im Sandstrand sonnt! Es hat | |
nur so viel Macht, wie die Gesellschaft ihm gibt. | |
11 Aug 2016 | |
## LINKS | |
[1] /Kampf-um-Platz-am-Strand/!5323304/ | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Popitz | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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