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# taz.de -- Der Hausbesuch: Sie zahlt einen hohen Preis
> Sich aus einer religiösen Gemeinschaft herauszuschälen und selbstbestimmt
> zu leben, ist ein großer Kampf. Ayla Işik hat sich ihm trotzdem gestellt.
Bild: Ihre Eltern haben sie stark gemacht
Ayla Işik möchte einen selbstbestimmten Islam. In ihrer [1][religiösen
Gemeinschaft] traf sie mit ihren Vorstellungen auf Widerspruch. Sie will
persönliche Freiheit und hat deshalb den Weg der Konfrontation gewählt. Zu
Besuch bei einer, die in einer deutschen Großstadt lebt, deren Namen
ungenannt bleiben soll, um sie zu schützen. Ihr Name „Ayla Işik“ ist ein
Pseudonym.
Draußen: Junge Männer grüßen sich auf Türkisch, aus einem Auto tönt laute
Musik mit hartem Beat. Schnellen Schrittes erledigen die Menschen hier ihre
Einkäufe, managen scheinbar selbstverständlich ihr je eigenes Leben. Auf
dem Weg zu Işiks Haus kommt man an einem Spielplatz vorbei. Ein Mädchen
fährt mit wehendem Haar auf einem Cityroller.
Drinnen: Neben Işiks Bett hängt ein großer Traumfänger. Auf einer Karte in
der Küche steht: „Tanz vor allem aus der Reihe“ und „Tanz dich glücklic…
Über der Spüle an der Wand prangt als Schriftzug: „Ehrlichkeit“. „Freih…
steht in großen Holzlettern auf einer Fensterbank. Dahinter hat Ayla Işik
Teelichter aufgestellt. Freiheit, Ehrlichkeit – das sind Werte, an denen
sie sich orientiert.
Ihr Buch: Angetrieben von ihren Wertvorstellungen, hat sie ein Buch über
ihr Leben geschrieben. Es heißt „[2][BeHauptet“], sie hat es auch unter
Pseudonym geschrieben. Weil ihr vorgeworfen wurde, dass das Buch innerhalb
einer streng religiösen Gemeinschaft, zu der sie einst gehörte, den Ruf der
Familie gefährde und mit rechtlichen Konsequenzen gedroht wurde, hat sie
außerdem einzelne Details darin abgeändert.
Gott suchen: Früher hat Işik beim Betreten des Hauses jedes Mal ein
Bittgebet gesprochen, zusätzlich fünfmal am Tag gebetet. Weil es in der
Gemeinschaft, in der sie aufwuchs, selbstverständlich war, begann sie mit
11 Jahren das Kopftuch zu tragen. Es gab für alles Regeln. Glaube und
Glaubenspraxis, sagt sie, waren „quasi vorbestimmt“. Ayla Işik ist eine,
die ausbrach und sich auf die Suche machte.
Groß werden: Aufgewachsen ist sie mit ihren vier Brüdern in einer 75
Quadratmeter kleinen Maisonettewohnung, als Teilung diente im gemeinsamen
Zimmer eine Gardine. 1982 geboren, ist sie die älteste der Geschwister.
Eigentlich sei sie jedoch kein „typisches Mädchen“ gewesen, sagt sie. Işik
meint damit, dass sie kurze Haare und oft eine Latzhose getragen hat, mit
Jungs rumhing. Sie nennt sich eine [3][„Pippi Langstrumpf, die einfach
frech war“].
Träumen: Işik hat sich früh „in Schwärmereien reingeträumt“. Damit sie…
Liebe leben konnte, heiratete sie, als sie in der 12. Klasse war. Ihr Vater
fand das nicht gut, aber sie und die Mutter haben „sich durchgesetzt“. Eine
Beziehung wäre sonst nicht möglich gewesen. Die Eltern ließen ihr
Freiheiten, jedoch „in einem bestimmten Rahmen“. Den gab eine strenge
Auslegung des Islam vor.
Mutter sein: Nach dem Abitur begann sie ein Studium und wurde im ersten
Semester schwanger. „Ich wollte eigentlich erst zu Ende studieren“, sagt
Işik. Stattdessen bestimmten Familie und Haushalt fortan ihren
Lebensmittelpunkt.
Sich weiterentwickeln: Es ging in dieser Zeit vor allem darum, die
Vorstellungen der anderen zu erfüllen. „Persönlichkeitsentwicklung und
Wertebewusstsein kam an zweiter Stelle.“ Inzwischen sind ihre Kinder in der
Pubertät. Nach der Trennung sei ihr vorgeworfen worden, dass sie ihre
Kinder vernachlässigt habe. „Mittlerweile werde ich einfach nur noch
ignoriert.“
Die anderen: Ihre Mutter begann in der religiösen Gemeinschaft, in der sie
verankert war, als Erste völlig anders zu denken. Als Işik Mitte 20 war,
nahm ihre Mutter das Kopftuch ab, trennte sich von Işiks Vater, entwickelte
Eigensinn. „Auf einmal regnete es von rechts und links Abwehr, Verleumdung,
Vorwürfe“, sagt Işik über die Reaktionen. Sie hätte sich gegenüber der
Mutter mehr Toleranz gewünscht – ein Wert, der ihr wichtig ist. Die
Reaktionen der anderen, sagt Işik, haben sie schließlich selbst zum
Umdenken gebracht. „Es war für mich eine unmenschliche und harte Art, das
war für mich alles andere als islamisches Verhalten.“
Sich spiegeln: Die Mutter hielt den Menschen einen Spiegel vor. Für sich
selbst sieht Işik ihre Wandlung heute positiv. „Meine Mutter hat einen
gewissen Weg geebnet.“ Sie habe ihr gezeigt, was möglich ist.
„Unzufriedenheit war vorher auch da. Aber sie war nicht greifbar, ich
wusste nicht, dass ich etwas verändern kann.“
Urteilen: Işik fand sich in einer Krise wieder, in der nichts mehr
zusammenpasste. Sie habe versucht, „beiden Seiten gerecht zu werden“, der
der Mutter und der des Umfeldes. Işik nennt das ein „unmögliches
Unterfangen“. Ihren Vater nimmt sie in Schutz: „Mein Vater hat nie
interveniert, er hat nie ihre Würde verletzt.“
Ein Symbol? Enttäuscht von den Menschen um sie herum, suchte Işik nach
einer anderen Auslegung des Islam, jenseits von strengen Regeln. Doch die
anderen hielten daran fest. Als Işik ebenfalls erwog, [4][das Kopftuch
abzulegen], sagte ihr Mann: „Wenn wir verheiratet bleiben, geht das nur,
wenn du das Kopftuch auflässt.“ Aber es ging ihr nicht nur um die Tücher.
Die trug sie auch kurz nach der Trennung mit sich herum. Es ging um mehr.
„Hätte ich einfach nur das Kopftuch abgelegt, wäre die Selbstbestimmung
nicht da gewesen.“ Aber, betont sie, es gäbe auch selbstbestimmte Frauen,
die sich freiwillig für ein Kopftuch entscheiden.
Veränderung: Für Işik aber war klar: „Entweder bleibt alles beim Alten oder
es ändert sich komplett.“ Etwas anderes wäre „nicht ehrlich gewesen“. S…
beschreibt sich als schlechte Schauspielerin. „Man hätte mir angesehen,
dass ich unglücklich bin.“ Ihre Ehrlichkeit habe sie auch an ihre Kinder
weitergegeben. Aus ihrem eigenen Elternhaus habe sie vor allem das
Vertrauen gelernt.
Glaube: Heute spricht Işik von „Gotteserkenntnis durch Selbsterkenntnis“
und sagt: „Muslime sehen sich als Geschöpfe Gottes, und Zweifel und eigene
Gedanken sind Teil unseres Wesens.“
Sicherheit: Fünf Jahre habe ihre Sinnkrise und Identitätssuche gedauert.
Schwierig war für sie der Schmerz: „Ich wollte mit den Kindern in dem Haus
bleiben, aber ich habe kein Geld verdient. Ich konnte nicht für die Kinder
sorgen.“ Dass ihr Ex-Mann eine neue Frau heiratete, half ihr in dieser
Zeit. „Sie hat viel aufgefangen. Gott sei Dank, ich bin bis heute froh,
dass es sie gibt.“
Verstehen: Für Işik war es nicht leicht, die Regeln der „alten“ und der
„neuen“ Welt zusammenzubringen. Doch Relationen haben sich mit der Zeit
verschoben. Etwa als sie sich empörte, dass der Mann, mit dem sie später
zusammen war, viel Alkohol trank. Inzwischen kennt sie Vergleiche, sagt:
„Er hat gar nicht viel Alkohol getrunken.“
Neugierde: Später testete auch sie das Nachtleben. In ihrem Buch schreibt
sie darüber, wie sie Dinge ausprobiert hat, um sich dafür oder dagegen zu
entscheiden. „Ich habe immer mehr rausgefunden, wer ich bin.“ Işik sieht
sich heute selbst als „ihr eigener Kompass“.
Glück: Neben einem Studium in Journalistik hat sie viel gearbeitet,
finanzierte sich schließlich eine eigene Wohnung. „Meine Freiheit ist dann
meine Sicherheit geworden.“ Sie hat außerdem eine Therapie gemacht, die ihr
aus der Erschöpfung half. Auf die Frage, ob sie heute glücklich ist, sagt
sie: „Ich habe eine innere Zufriedenheit und Dankbarkeit.“ Aber: „Glückl…
ist ein großes Wort.“
Resonanz: finden: Ihre Werte, die sie immer wieder betont, hat sie
gefunden, doch auf der Suche bleibt sie. Işik arbeitet selbstständig,
lieber wäre sie jedoch in einem Angestelltenverhältnis. Doch es sei
schwierig, etwas Passendes zu finden: „Es muss etwas Sinnstiftendes sein.“
Obwohl, gerade bestünde Aussicht, dass es doch klappt. Die Suche nach einem
geeigneten Partner gestalte sich ähnlich schwierig, Işik sagt scherzhaft:
„Das, was glänzt, ist nicht immer Gold.“ Sie findet, dass das sowohl für
die Job- als auch für die Partnersuche gilt.
5 Oct 2023
## LINKS
[1] /Muslimische-Frauen-in-Spanien/!5949718
[2] https://www.kiwi-verlag.de/buch/ayla-isik-behauptet-9783462001976
[3] /Pippi-Langstrumpf-Jubilaeum/!5686670
[4] /Feministische-Proteste-in-Iran/!5916133
## AUTOREN
Lea De Gregorio
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