# taz.de -- Ex-VW-Designer über Kunst und Autos: „Ich erlaube mir den Luxus,… | |
> Seifenkiste statt Überholprestige: Der Designer Stefan Seiffert | |
> verabschiedete sich von der Autoindustrie, um Herzensprojekten | |
> nachzugehen. | |
Bild: Empfindet SUVs als Stich ins Herz: Der Hamburger Designer Stefan Seiffert | |
Interview Foto Miguel Ferraz | |
taz: Ist es ein Auf- oder Abstieg, statt eines Smarts Seifenkistenautos zu | |
entwickeln, Herr Seiffert? | |
Stefan Seiffert: Weder noch. Viele meiner alten Berufskollegen würden | |
denken, es sei ein Abstieg. Für mich ist es eine Verbesserung, raus aus der | |
Autoindustrie. | |
Inwiefern? | |
Weil ich meine Arbeitszeit nicht mehr von der Stechuhr kontrollieren lassen | |
muss und weil ich selbst entscheide, was ich entwickeln möchte. Es ist eine | |
Schande, was zurzeit gebaut wird und wie dabei die Gesetze der Natur | |
missachtet werden: viel zu große und schwere Autos mit einer dekadenten | |
Ignoranz der Aerodynamik. Und bei den Verbrauchswerten wird schon lange | |
gelogen. | |
Haben Sie sich auf Ihrem Weg von Statusgedanken verabschiedet? | |
Ich war nie statusinteressiert. Mein Vater war Künstler und Bildhauer, ich | |
hatte Hippie-Eltern und bin in einer Gemeinschaft von Freunden und Familie | |
groß geworden. Angenehm in der Autoindustrie war, viel mehr Geld zur | |
Verfügung zu haben. Ich war zum Schluss Leiter der Konzeptcar-Abteilung – | |
das klingt toll, aber die Visitenkarten habe ich trotzdem eher ungern | |
verteilt. | |
Was das für Ihre Eltern nicht befremdlich: Der Sohn geht in die | |
Autoindustrie? | |
Die haben sich schon gefreut und waren stolz, wenn ich in den Medien | |
auftauchte. Mein Vater und seine Brüder waren auch alle Rennfahrer und | |
Autonarren. Es waren zwei Welten: Rennwagen und die langweiligen | |
Straßenautos. Zuhause gab es einen Pool von Autos, darunter auch Sportwagen | |
und ein Beachbuggy, die jeder benutzen konnte. Deswegen kenne ich diese „An | |
meinen Lotus darf kein Kratzer kommen“-Mentalität nicht. | |
Ihre Uni-Abschlussarbeit in den 80ern war ein Solarauto. Wollten Sie da | |
Ihre Autoliebe und Umweltschutz miteinander versöhnen? | |
Sogar mein Vater hat das zuerst nicht verstanden, er war sehr auf die | |
Motorleistung fixiert. Ich war begeistert von Autos, aber ich dachte, dass | |
es so nicht weitergeht, dass die Straßen das Leben für die Menschen | |
wegnehmen. Ich wollte tatsächlich diese beiden Welten zusammenbringen. | |
Glauben Sie immer noch, dass es möglich ist? | |
Heute ist ja alles schlimmer geworden. In den 80ern war ich ganz sicher, | |
dass in zehn Jahren jeder neben seinem Fahrrad ein Solarmobil haben wird. | |
Es ist genau das Gegenteil: Wir haben heute Autos mit 300 bis 500 PS, was | |
überhaupt nicht nötig ist. Diese SUV-Bewegung ist für mich ein Stich ins | |
Herz; dass die Leute diese Status-Trümmer durch die Gegend fahren. Trotzdem | |
bin ich nicht ohne Hoffnung. | |
Worauf beruht die? | |
Ich habe meinen Solartraum 20 Jahre lang begraben. Jetzt ist so klar, dass | |
der gegenwärtige Verkehr nicht funktioniert, jetzt könnte man sich mal | |
wieder damit beschäftigen. | |
Sie haben noch einmal mit einem Hybridauto experimentiert. | |
Ich bin dann direkt nach dem Studium zu VW gegangen. Ich konnte wählen und | |
dachte, dass ich dort die neuen Visionen am besten durchsetzen könnte. Alle | |
waren damals noch mit PS und Ideen wie Überholprestige beschäftigt … | |
… „Überholprestige“, das Wort habe ich noch nie gehört … | |
… Autos sollten aggressiv aussehen, sodass man sie im Rückspiegel sieht, | |
zittert und rechts rüberfährt. Mein erstes Konzept für ein | |
umweltverträglicheres Auto war der Chico, der sollte als Benziner, Hybrid | |
und Elektro erhältlich sein und wurde Auto des Jahres. Dann kam es zu der | |
Zusammenarbeit mit Swatch, dem Uhrenhersteller, der die Autoindustrie | |
revolutionieren wollte. Es sollte ein Swatch-Auto geben, aber dann haben | |
sich VW und Swatch zerstritten. Piech, der damals kam, sagte, es ist alles | |
Quatsch mit dem Chico, dabei hatte das EU-Parlament schon 50 bestellt. Dann | |
habe ich mich verabschiedet. | |
Schmerzt es immer noch, wenn eine Idee so kurz vor der Verwirklichung | |
scheitert? | |
Die ersten Jahre hat es mich richtig runtergezogen. Ich wollte nicht mehr | |
in der Autoindustrie arbeiten, habe es nachher doch wieder gemacht. Jetzt | |
tut es nicht mehr weh, aber es bleibt bedauerlich. Wir könnten hier seit 20 | |
Jahren mit Hybrid- und Drei-Liter-Autos herumfahren, es gibt die | |
technischen Möglichkeiten. So wie es Velomobile gibt, Fahrräder mit | |
aerodynamischer Verkleidung, aber kaum jemand benutzt die. | |
Wenn ich auf Ihren Lotus gucke, der drüben steht: Wie lässt sich die Liebe | |
für Rennautos mit dem Sinn für Ökologie vereinbaren? | |
Autorennen sind für mich die Speerspitze der Autoentwicklung. Rennwagen | |
sind der Urkern der Niedrigverbrauchs-Klasse. | |
Das ist erklärungsbedürftig. | |
Rennwagen haben ein Limit, damit sie vergleichbar sind, das heißt, sie | |
haben eine bestimmte Leistung und eine bestimmte Spritmenge und damit will | |
ich gewinnen. Das Ergebnis ist, dass ein Rennwagen hocheffizient ist und | |
immer leicht. Und Leichtbau und Aerodynamik sind der Schlüssel für wenig | |
Verbrauch. | |
Die 4-Liter-Klasse ist im Rennsport eher rar. | |
Natürlich gibt es die, die meinen, sie müssten mit 1.000 PS rumfahren, aber | |
es gibt ja zig verschiedene Klassen. Ein typischer Porsche muss heute 300 | |
PS haben. Der Lotus dort drüben hat 78 PS und braucht nur ein Drittel des | |
Sprits, weil er nur 600 Kilo wiegt, das ist ein Drittel des | |
Porsche-Gewichts. | |
Heute entwickeln Sie nicht nur Autos, sondern auch Stühle oder ein | |
Frisurwaschbecken. Wie ist die Nicht-Auto-Welt in Ihren Blick gerückt? | |
In meiner Familie ging es immer um Architektur und Kunst und ich | |
interessiere mich für all diese Dinge. Und wenn ich mich noch einmal | |
entscheiden müsste, würde ich Modedesigner werden. Ich habe mich oft so | |
gelangweilt in der Autoindustrie, dass ich in jeder freien Minute | |
Modezeichnungen gemacht habe. Ich sammle High Heels, ich habe | |
Schuhkollektionen entworfen, Möbel, Kinderspielzeug und all das | |
interessiert mich mit brennendem Herzen. Mein Problem ist auch, dass ich | |
zwischen den Stühlen sitze. | |
Inwiefern? | |
Bei dem High-Heel-Stuhl zum Beispiel: Ein Künstler sagt, das ist keine | |
Kunst, ein Designer sagt, das ist kein Design. | |
Warum? | |
Weil es zu verspielt ist. In London ist das kein Problem, aber hier in | |
Deutschland finden die Designer, es sei zu wenig Bauhaus, die Form folgt zu | |
wenig der Funktion. Dabei ist der Stuhl erstaunlich bequem. | |
Wie lebt es sich im Dazwischen? | |
Ich brauche nicht so viel Zustimmung. Es interessiert mich, die Grenzen zu | |
übertreten, ich will nicht der brave Designer sein. Natürlich kann ich auch | |
einen normalen Stuhl bauen, aber ich mache lieber diese nicht fassbaren | |
Projekte. So wie das Waschbecken, das ich für ein Paar entwerfe, das in | |
einem Verein für besonders lange Haare ist: 50 Prozent des Volumens dieses | |
Objekts ist Skulptur. Ist das jetzt Kunst oder ein Waschbecken? | |
Wahrscheinlich beides oder gar nichts. | |
Und jetzt bauen Sie mit den Seifenkisten wieder Autos. | |
Da hatte ein Fernsehsender recherchiert, weil er fand, mein Name klänge gut | |
in Verbindung mit Seifenkisten. Dann habe ich das Ding vor zwei Jahren | |
gebaut und weil es so eingeschlagen hat, baue ich sie jetzt in Kleinserie. | |
Was für eine Szene ist die Seifenkisten-Welt? | |
Die Hauptmotivation ist, ihren Kindern eine Freude zu machen und dass die | |
Kinder die Kisten selber bauen. Das hat leider nachgelassen. | |
Und jetzt beauftragen die Eltern Sie? | |
Die meisten Seifenkisten verkaufe ich als Rohlinge, das finde ich | |
beruhigend. Es gibt auch welche für Erwachsene, die fahren 80 bis 100 | |
Stundenkilometer. Sie haben Bremsen – aber weil sie nach einem Reglement | |
von 1928 fahren, haben sie eine Stempelbremse, das ist ein Gummiklotz, der | |
auf den Boden drückt. Das würde ich eigentlich gern ändern. | |
Freier Künstler, Designer von Möbeln, Mode und Autos – wie sehr müssen Sie | |
das für sich sortieren? | |
Es ist ein ständiger Kampf und wenn ich nur Möbel designe, Lotus-Fahrzeuge | |
restauriere und Skulpturen schaffe, dann ist das für mich schon eine | |
Reduzierung. Ich wache morgens auf und habe in 30 Bereichen Ideen. Ich | |
mache viele Projekte parallel und dann sagen die Leute: Diesen Stuhl hast | |
du doch schon vor drei Jahren angefangen. | |
Als ich vor drei Jahren hier war, bauten Sie eine Art Nest auf Stelzen. | |
Wenn ich nicht auf einer Bananenschale ausrutsche, wird es das Ufo eines | |
Tages geben. Ich habe es vor drei Jahren angezettelt, habe die Finanzierung | |
nicht hingekriegt. Dafür bräuchte ich noch etwa 20.000 Euro für Material | |
und den Ausfall meiner Arbeitszeit. Deswegen mache ich es nebenbei. Das ist | |
der große Nachteil beim Aussteigen, nicht der Statusverlust: Früher habe | |
ich Geld gehabt, aber keine Zeit. Jetzt kann ich mehr über meine Zeit | |
verfügen, habe aber zu wenig Geld. Ich brauche nur eine Jeans, Flipflops | |
und ein Fahrrad, aber meine Visionen brauchen Budget. Zeitweise arbeite ich | |
dann auch wieder für die Autoindustrie. | |
Wie geschmeidig finden Sie dort wieder hinein? | |
Ich verhalte mich da konstruktiv. Ich zeichne und ich beteilige mich in | |
Beratungen und bin da dann eher wieder der kritische Typ. Aber ich kann | |
mich natürlich auch wieder komplett in so ein Projekt reindenken. Wenn da | |
jemand sagt „Statussymbol Limousine“, weiß ich, was da wichtig ist und | |
mache es emotionslos. | |
Da denken Sie auch die Ausstattung des neuen SUVS mit? | |
Nein, ich erlaube mir den Luxus, bei SUV-Projekten Nein zu sagen. | |
27 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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