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# taz.de -- Phänomenologie des Autolacks: Stealthbomber im Straßenverkehr
> Stumpf und matt statt bunt und glänzend: Was wollen uns die neuesten
> Autolacke, die man oft an Limousinen sieht, bedeuten?
Bild: So geht ziviler Lack: glänzend und spiegelnd
An einem Tag, an dem man aufgrund eines vorangegangenen Starkregens mit dem
Auto für eine Strecke zwei Stunden braucht, die man sonst in zwanzig
Minuten hinter sich bringt, an so einem Tag sieht man sie dann häufiger:
die Limousinen, vor allem von BMW und Mercedes, mit diesem dumpfen,
stumpfen, matten Lack, in dunklem Anthrazit und dunklem Braunschwarz. Ich
sehe sie immer häufiger, seitdem sie mir vor einem halben Jahr zum ersten
Mal aufgefallen sind.
Die Trends der Straße, so scheint es mir, verraten einiges über die Mythen
des Zeitgeists unseres Alltags. Die weißen Autos zum Beispiel, die zuletzt
gegen die in Deutschland absolut dominanten schwarzen Wagen antreten,
sollen mit Apple zusammenhängen und dem iPhone. Das schicke
Design-Smartphone wird gerne in Weiß gekauft und steht für Hightech und
Minimalismus. Seitdem wird die ästhetische Assoziation von Silbermetallic
und technischem Fortschritt brüchig. Weltweit ist Weiß sowieso die Farbe,
in der die meisten Autos gekauft werden.
Das kann man wissen, weil der amerikanische Autolackhersteller Axalta schon
seit 1953 die populärsten Autofarben erfasst, zunächst natürlich nur in den
USA, inzwischen aber längst auch weltweit. Nach Axalta-Statistik hinkt
Deutschland übrigens dem weltweiten Trend hinterher. Schwarz ist
international schon lange passé, nur bei uns steht es noch an erster
Stelle.
An sich soll es wieder bunt werden auf deutschen Straßen, wie es einmal
schon in den 1970er Jahren war, ist die Branche überzeugt, die besonders
zweifarbige Autos im Kommen sieht. Aber mit bunt hat das Phänomen der
Mattlacke nun gar nichts zu tun. Seit wann gibt es sie überhaupt? Die
Pressestelle von Mercedes sagt, seit 2004. Da legte der schwäbische
Autobauer in Zusammenarbeit mit Giorgio Armani eine limitierte Auflage des
CLK Cabrios in Mattlackierung auf.
## Geringe, aber stabile Nachfrage
Seither sind die mit „designo“ und „magno“ bezeichneten Lacke für alle
Baureihen lieferbar, etwa für den Mercedes GLC das designo citrinbraun
magno oder für die E-Klasse das designo selenitgrau magno. Bei Mercedes sei
der Wunsch nach Mattlackierungen in den letzten Jahren ständig gestiegen,
so die Auskunft.
Bei BMW werden Mattlacke, die hier den Zusatz „frozen“ tragen, seit 2011
angeboten. „Seitdem“, so die Pressestelle, „bewegt sich die Nachfrage
relativ stabil im niedrigen einstelligen Prozentbereich.“ Vielleicht weil
Mattlacke als protzig gelten, wie eine Umfragen von TNT Infratest
ermittelte, in der 75 Prozent der befragten Personen Mattlacken eine Absage
erteilten.
Protzig finde ich die Lacke nicht. Und deswegen sind sie mir auch nicht
aufgefallen. Im Gegenteil. Sie sehen eher von vornherein ein bisschen
ramponiert aus, schmutzig, als seien wohlasphaltierte städtische Boulevards
nicht unbedingt die Umgebung, in der sie sich bewegen.
Auf mich wirken die Limousinen in Matt tendenziell getarnt − auffällig
unauffällig. Es gibt auch schon VW Käfer und Smarts in dieser Lackierung,
und erst heute begegnete mir ein matter Mercedes in Olivgrün. Das ist zu
deutlich, finde ich.
Denn das ist mein Verdacht: Matt steht für den Abschied vom Autofahren als
ZivilistInnen-Vergnügen. Vielleicht nicht verwunderlich, wo wir alle so öko
sind und die Klimakatastrophe dräut. Da wird Autofahren zum militärischen
Übungsfall. Armeefahrzeuge kommen üblicherweise ohne Hochglanzlack aus.
Die davon inspirierten SUVs lassen entsprechend oft den Hochglanz missen.
Das fällt dann nicht weiter auf. Weil’s irgendwie passt. Aber diese
eigentlich elegant gedachten, urbanen Limousinen, die wie Stealthbomber im
Straßenverkehr auf- und untertauchen, das ist nicht nur die übliche
Bewegung vom Verpönten zum Hippen und Angesagten, das ist der Zeitgeschmack
zunehmender Militanz.
17 Aug 2016
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Autos
Automobilbranche
Autokonzerne
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