| # taz.de -- Alle sehen irgendwie gleich aus: Dress up, fashion is over | |
| > Wir brauchen einen neuen Modebegriff. Andere Zyklen, eine andere | |
| > Tragedauer, weniger Trash. Denn es scheint, es gibt die Mode nicht mehr. | |
| Vor Kurzem waren die Modenschauen für den kommenden Winter zu sehen. Es | |
| gibt in einigen Kollektionen einen neuen Fokus auf die Form, der ganz | |
| interessant ist. Das Erste aber, das man dazu sagen muss, ist: Wir brauchen | |
| einen neuen Modebegriff. Andere Zyklen, eine andere Tragedauer, weniger | |
| Trash. Nicht, weil die Schauen bemerkenswert schrecklich gewesen wären. | |
| Sondern deshalb, weil sich unsere Idee von dem, was „die Mode“ ist, schon | |
| seit einer Weile merkwürdig abgelöst hat von dem, was real da ist. | |
| „Die Mode“ ist eine konkrete Erscheinungsform, die lanciert wird, sich | |
| durchsetzt, schließlich überall ist und dann wieder verschwindet. Oder | |
| nicht? So wird ja über sie geredet, wenn man über die „neuen Kollektionen“ | |
| spricht. Nur – würde es „die Mode“ noch geben, müsste man das sehen kö… | |
| Genauer: Man müsste sehen können, dass 2018 ist. | |
| In der U-Bahn, in Konferenzräumen, auf Redaktionen und Wochenmärkten. Man | |
| sieht es aber nicht. Hinweise gibt es, Sprengsel. Es gibt noch Trends, | |
| meist in Form von Trageweisen oder Stylingthemen, die eher lokal sichtbar | |
| sind. Aber „die Mode“, dieses große „Trägt man das jetzt so?“ gibt es… | |
| mehr. | |
| Was einerseits am Tempo liegt. „In“ und „Out“, das ist mittlerweile ein | |
| ständig fliegender Wechsel. Es gibt diverseste Formen und Stile | |
| gleichzeitig, von Second Season über Second Hand bis Vintage. Zugleich sind | |
| die „neuen Kollektionen“ nicht anders genug, um wirklich neu zu sein. V | |
| Vor allem aber ist es so: „Die Mode“ setzt die Lust voraus, etwas mit den | |
| anderen gemeinsam zu haben – das ist die Idee vom Zeitgeist, vom Capter | |
| l’air du temps. Nur: Man will heute nicht mehr so aussehen wie die anderen. | |
| Der Mode sind quasi ihre Bedingungen abhandengekommen. | |
| ## Die Logik des Besonderen | |
| Warum die Position des Allgemeinen derzeit als wenig erstrebenswert gilt, | |
| erklärt das neue Buch des Soziologen Andreas Reckwitz ganz gut. Er | |
| beschreibt in „Die Gesellschaft der Singularitäten“ einen Strukturwandel | |
| von der „Logik des Allgemeinen“ hin zur „Logik des Besonderen“. Das | |
| Besondere, das Einzigartige, das Singuläre, sagt Reckwitz, werde in der | |
| Spätmoderne zur Norm. | |
| An dieser neuen Norm ist bemerkenswert, dass sie sich ständig verschiebt. | |
| Das Singuläre ist nicht notwendig das Einzigartige, sondern meist das als | |
| besonders erkannte Besondere. Dieses Singuläre ist immer eine | |
| Publikumsrelation: Es wird im Sozialen hergestellt. | |
| Reckwitz spricht hier vom „zertifizierenden Publikum“. Hübsch paradox also, | |
| dass die grandios nebulösen „anderen“ zur eigenen Zielgröße werden, obwo… | |
| man doch auf das Besondere, das Individuelle, zielt. So erklärt sich auch | |
| der Satz, der heute, wenn man über Mode spricht, am häufigsten zu hören | |
| ist: „Alle sehen irgendwie gleich aus.“ | |
| Und jetzt? Es gibt die Mode nicht mehr – so far, so good. Nur: Wir kleiden | |
| uns ja noch. Und irgendetwas zentriert die Entscheidungen, die man trifft. | |
| Aber eben: Was? Es ist vielleicht die interessanteste Frage, die man sich | |
| in der Mode überhaupt stellen kann: Was interessiert mich an ihr? Jeder | |
| Designer muss sie beantworten – ganz grundsätzlich, und dann mit jeder | |
| Kollektion neu. Mode ist ästhetisches Spiel, Proportion und Silhouette, | |
| Materialität und Farbe. | |
| Designer befragen im Entwurfsprozess ihre eigenen Entwürfe: Ist da etwas | |
| Interessantes? Und wenn ja, was ist interessant daran? Sich kleiden, das | |
| ist das gleiche Spiel. Es kann darum gehen, wie man sich in einem | |
| Kleidungsstück bewegt, ob der Stoff die Bewegung mitmacht oder verhindert. | |
| Ein schwerer Mantel umhüllt einen anders als ein zittriges Chiffonteil. | |
| ## Die Vorleibe fürs Greymousing | |
| Die eigene Weise, sich anzuziehen, kann konzeptuell sein, eine Vorliebe | |
| fürs Verhüllen oder Exponieren, fürs Auffallen oder fürs Greymousing oder | |
| für das grellstmögliche Unterlaufen von Codes. Darum geht es in der Mode | |
| künftig: sehen lernen. Und sehen: Was ist Interessantes daran? | |
| Dass die Entscheidungen, die man trifft, nicht nur für eine Saison gedacht | |
| sind, ist in einer realen Garderobe ohnehin der Fall. Für die Designer ist | |
| genau das jetzt die Herausforderung: Wie entwirft man eine Kollektion, die | |
| für längere, also: nachhaltigere Zyklen geschaffen ist? | |
| Mittlerweile wird in den Schauenkritiken sogar der dead stock, die riesigen | |
| Warenlager an nicht verkaufbarer Kleidung, zum Thema. Wenn eine Kollektion, | |
| wie die von Vetements, absichtlich aussieht wie auf dem Flohmarkt | |
| zusammengesucht, wird angemahnt: Wieso nicht gleich das upcyclen, das | |
| ohnehin vorhanden ist? | |
| Was die Frage der längeren Zyklen angeht, gibt es die Strategie, die Weise, | |
| wie Dinge heute getragen werden, ins Design zu bringen. Vetements hat sie | |
| in den letzten Saisons populär gemacht: Scheinbar Übereinandergetragenes | |
| wird über den Schnitt zur Konstruktion – wie in der Kollektion für den | |
| nächsten Winter etwa die protektiven Doppelmäntel. | |
| Auch bei Y/Project ist das zu sehen: der Jeansbund, einseitig höher | |
| gezogen, in Falten gelegt, mit der Innenseite sichtbar. Die geraffte Bluse, | |
| die Schulterpunkte nach vorne verzogen, was halb bockig und halb versponnen | |
| aussieht. Oberteile aus großzügig drapiertem Seidentaft, mit einem Anklang | |
| von DIY, am eigenen Körper drapiert. Es ist nicht bloß Dekonstruktion, | |
| sicher kein didaktisches „So sieht dein Kleid von innen aus“. | |
| ## Die Grenze zwischen Designer und TrägerIn verschwindet | |
| Eher ist es so, dass die Grenze zwischen Design und Trageweisen | |
| verschwindet, zwischen Konstruktion und Styling – und damit die Grenze | |
| zwischen Designer und Träger. Was ist hier das Original: Die Trageweise, | |
| die den Entwurf inspiriert hat? Oder der Entwurf, der sich genau anschaut, | |
| was eine bestimmte Weise des Tragens mit der Silhouette, dem Volumen, der | |
| Proportion macht? | |
| Bei der neuen Konzentration auf die Form ist die Frage ähnlich: Was macht | |
| es mit dem Körper, wenn eine entschiedene Form auf ihn trifft? Die Rückkehr | |
| der Shapes hat auch mit dem 80s-Revival zu tun – aber in den besten Fällen | |
| ist es mehr als eine Wiederaufnahme. | |
| Bei Balenciaga wurde der Körper digital vermessen und 3-D als | |
| Schaumstoff-Torso gedruckt, auf dem dann der Wollstoff aufgebracht wurde. | |
| Diese Doppelreiher mit den ausgeformten Hüften, ob Jackett oder Mantel, | |
| haben etwas Rüstungshaftes und trotzdem eine Weichheit. | |
| Marc Jacobs hat in seiner Kollektion quasi das Volumen hochgedreht. Das | |
| Oversize der Achtziger hat er um den Faktor 1.5 verdoppelt mit diesen | |
| Mänteln, die nicht zusammenfallen, sondern in weiter V-Form viel Raum | |
| einnehmen. Ein roter Einreiher, der schönste Mantel-Look, ein mintgrüner | |
| Doppelreiher oder ein Tweedkostüm, dessen Schulterpartie fast das Doppelte | |
| der echten darunter erreicht. Knitwear bringt die V-Form in die schmalere | |
| Silhouette. | |
| Wer das trägt, der lässt sich überformen von dem Kleidungsstück. „Body | |
| meets dress“, so hieß einmal eine Kollektion von Comme des Garçons. Jetzt, | |
| wo es „die Mode“ nicht mehr gibt, geht es genau um dieses | |
| Aufeinandertreffen. Fashion is over. Dress up. | |
| 10 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Kruse | |
| ## TAGS | |
| Upcycling | |
| Mode | |
| Fast Fashion | |
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