| # taz.de -- Was Mode ist: Das Spiel der Postfashion | |
| > Mode heißt nicht notwendig Konsum. Mode heißt erst einmal: sehen lernen, | |
| > was Kleider machen, und was man dann mit ihnen machen kann. | |
| Bild: Blumige Louis Vuitton Männerkollektion Herbst-Winter 2018 | |
| BERLIN taz | Wir stellen uns die Mode als Ort der Gehorsamkeit vor. Als | |
| Vorgabe, die von anderen kommt. So als könne man sie mitmachen oder sich | |
| ihr verweigern. Dabei ist es so: Wir sind immer schon drin. Alle, die sich | |
| kleiden, sind in der Mode. Nur: wie? | |
| Die Mode ist nur an der Oberfläche harmlos. Spricht man über sie, wird es | |
| schnell grundsätzlich. Mode ist der Firnis, unter dem die eigenen Prämissen | |
| verborgen sind. Wie man sich zur Norm zu verhalten hat und wie viel | |
| Abweichung erlaubt ist. Wie man sich „die anderen“ vorstellt und das | |
| Verhältnis zu ihnen und welche Autorität sie haben über die Kontur des | |
| eigenen Selbst. | |
| Welche Art von Körper Erotik beanspruchen dürfen, wie groß das Spiel des | |
| Eigenen ist, was und wann man feiern darf und ob man selbst, jetzt und so, | |
| dazugehört. Oder gleich: Worum es geht in der eigenen Existenz. | |
| Anders gesagt: Man hat, bevor man sich kleidet, schon ziemlich viele | |
| Entscheidungen getroffen, von denen keine eine Stilentscheidung ist. Meist | |
| bleibt das unbemerkt. Die Folgen sind sichtbar. Die Folgen, das ist im Fall | |
| der Mode das Kleid. | |
| ## Radikale Selbstaneignung | |
| Die Mode ist nicht bloß eine Anhübschung. Ihre Amplitude ist ziemlich | |
| groß. Man kann in der Mode für sich selbst real werden, und man kann sich | |
| zumutbar machen für die anderen. Sie kann der Ort beflissener Konformität | |
| sein oder der Ort radikaler Selbstaneignung. Ob sie das eine ist oder das | |
| andere, hängt davon ab, wie man in der Mode ist; und wie man in der Mode | |
| ist, hängt von der Idee ab, die man von ihr hat. | |
| Das hier, damit sollte ich anfangen, ist ein Text für solche, die sich | |
| nicht für Mode interessieren, von einer, die sich auch nicht für Mode | |
| interessiert – zumindest nicht für das, was wir noch immer für „die Mode�… | |
| halten. Was mich interessiert, stattdessen: Kleider und wie sie an konkrete | |
| Körper kommen. Das, was Kleider mit diesem Körper machen, in ihrer Wirkung | |
| nach innen. Prinzipien der Komposition und vestimentäres Spiel. Experiment, | |
| Improvisation, Erfindung. Die Motivation hinter jedem Angezogensein, die | |
| für andere nie vollständig lesbar ist. | |
| Mich interessiert die Neue Mode, die keine Vorgabe mehr ist, sondern eine | |
| Gleichzeitigkeit von diversen Stilen, Formen, Silhouetten und Trageweisen. | |
| Diese andere Mode ist schon da, sie muss nicht kompliziert erfunden werden. | |
| Nur einen neuen Namen braucht sie, der Verständlichkeit wegen. Ich nenne | |
| sie: Postfashion. | |
| Postfashion ist Mode, die im Wesentlichen von einer einzigen Idee zentriert | |
| wird: der eigenen. Was ja, genau betrachtet, im realen Getragenwerden | |
| schon der Fall ist. | |
| ## Wir halten Modeindustrie für die Mode | |
| Es ist bisher ein bisschen chic gewesen, sich nicht für die Mode zu | |
| interessieren – was mit einer Verwechslung zu tun hat. Wir halten die | |
| Modeindustrie für ‚die Mode‘. Und weil die Industrie immer schneller wird | |
| in ihren Zyklen und wahlloser in ihrer Produktion, liegt es nahe zu sagen: | |
| ‚Ich interessiere mich nicht für Mode, ich lehne sie sogar ab – das | |
| Shopping, die Bitchyness, die Oberflächenobsession.‘ Dabei ist nichts davon | |
| notwendig mit der Mode verbunden – sondern nur mit dem bisherigen | |
| Modebegriff. | |
| Mode heißt nicht notwendig Konsum. Mode heißt erst einmal: sehen lernen. | |
| Sehen, was Kleider machen, und dann etwas mit ihnen tun. Genau das wird in | |
| der Postfashion zentral. Ihre Strategie ist das Spiel. | |
| Spiel ist das, was Designer beim Entwerfen machen. Wenn sie Mode anschauen, | |
| sehen sie ein Miteinander von einem konkreten Kleid und einem konkreten | |
| Körper. Mode machen ist eine Frage von Proportionen und Linien und Volumen | |
| und Materialität, von dem, was ein Design mit dem Körper macht und welche | |
| Sprache das ergibt. Jedes Modemachen ist vestimentäres Spiel – und ob man | |
| etwas entwirft, oder ein Outfit komponiert, was im Fashionjargon „Styling“ | |
| heißt, ist dabei egal. | |
| Die erste Frage ist immer die: „Ist da etwas, etwas Interessantes? Und wenn | |
| ja, was ist das Interessante daran?“ Die Frage ist schlicht, weswegen die | |
| Beobachtung ungeheuer genau sein muss. Darum geht es jetzt. Wir müssen | |
| sehen lernen, wirklich hinschauen, das ist zentral. | |
| ## Mode-Sprache kennt kein Shopping | |
| Das Spiel in der Mode hat drei Folgen, und die charakterisieren die | |
| Postfashion. Erstens: Je mehr man sich für die Sprache der Mode | |
| interessiert, desto weniger geht es um Shopping. Zweitens: Je mehr man sich | |
| auf das konzentriert, was Kleider am Körper machen, auf das Umfasstwerden | |
| durch Stoff, auf Schwere und Leichtigkeit, darauf, welchen Effekt das | |
| Outfit auf die Haltung und die Bewegung und das Spürbewusstsein hat, desto | |
| mehr ist man verkörpert in diesem Outfit. | |
| Auch das nämlich gehört nicht notwendig zur Mode: das Objektverhältnis zum | |
| eigenen Körper. Niemand muss in der Mode aus der Perspektive der anderen | |
| auf sich schauen und in ein Outfit steigen wie in eine Verkleidung. Im | |
| Gegenteil, eigentlich ist Bekleidetsein eine Einladung zum Embodyment, weil | |
| einem die ganze Zeit irgendetwas um den Körper streicht. Man muss sich | |
| anstrengen, um nicht verkörpert zu sein, etwas ausblenden (genau das | |
| passiert ja auch). | |
| Die dritte Folge des Spiels ist, dass das Scannen nach Bedeutung | |
| verschwindet. Die identitäre Lesart der Mode geht davon aus, dass Mode vor | |
| allem von einem selbst erzählt. Die größte Modeangst in ihr ist, dass die | |
| anderen etwas von einem sehen, von dem man selbst nichts weiß. | |
| Dabei: Kleider erzählen zwar etwas, nur ist die Sprache der Mode nicht | |
| Charakter oder Distinktion oder Persönlichkeit. Klar gibt es Codes. Aber | |
| Codes sind das Erste, was changiert, wenn die Mode kein stabiles System von | |
| Zeichen mehr ist. Das Identitätsding muss aus der Mode verschwinden. | |
| ## Ein neues Dazwischen | |
| Genau das passiert jetzt – und zwar ausgerechnet dort, wo die einzige | |
| Identitätslinie verschoben wird, die es in der Mode (und nahezu auch | |
| außerhalb von ihr) noch gibt: [1][Gender.] Es geschieht im Verschieben der | |
| Codes, in dem Hineinwandern von Elementen der Frauenmode in die Männermode, | |
| in diesem neuen Dazwischensein. Das Spiel, natürlich, hat einen Effekt – | |
| weil sich in diesem Verschieben auch die Zuschreibung verschiebt. | |
| Was daraus folgt? Meine These ist die: Es gibt keine toxische Maskulinität | |
| im Rüschenhemd. (Ich meine damit eine enge Idee von Männlichkeit, die | |
| Männer zwängt.) Wer so etwas trägt, hat sich davon verabschiedet – und wenn | |
| nicht, dann tut es das Hemd für ihn. Einfach deshalb, weil in dieser Logik | |
| das man down schon stattgefunden hat, allein durch die Codierung der | |
| Rüschen. Was dann an Stärke bleibt, ist wirklich die eigene. | |
| Die Mode hat immer ein Surplus, jeder Selbstausdruck in ihr ist immer auch | |
| Selbsterfindung. Dieses unkalkulierbare Moment ist Teil des Spiels. | |
| Postfashion ist ein Einüben in Uneindeutigkeit. Es ist ein guter Moment | |
| dafür. Was darin angelegt ist, ist ein anderes Miteinander. Eines, das | |
| Gemeinsamkeit als Grundlage hat und nicht verspannte Distinktion. | |
| Ob es gelingt, entscheidet sich daran: welche Art von Publikum wir künftig | |
| füreinander sind, und wie wir „die anderen“ denken. Es braucht ja ohnehin | |
| eine freudvollere, wohlwollendere Art der Zeugenschaft – und ausgerechnet | |
| die Mode könnte ein Trainingsfeld dafür sein. Wirklich, wir müssen ein | |
| begeisterteres Publikum füreinander sein. Die anderen nicht als Darsteller | |
| lesen. Das Gemeinsame wichtiger nehmen als das Unterscheidende. Denn das | |
| ist es ja. | |
| Es gibt etwas Radikales am Spiel, an dieser Feier des Moments. [2][Adrienne | |
| Maree Brown] nennt das: Pleasure Activism. Noch sind wir geübter im | |
| Misstrauen gegen zu viel Vergnügen. Aber es ist, mit diesem anderen | |
| Überbau, eine ziemlich gute Spur. | |
| 3 Mar 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /30-Jahre-Judith-Butlers-Gender-Trouble/!5664165 | |
| [2] http://adriennemareebrown.net/book-me/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Kruse | |
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