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# taz.de -- Nachruf auf Fotografen Robert Frank: Der Amerikaner
> Chronist des Rock'n'Roll, Freund der Beatniks, eine New Yorker
> Künstlergestalt par excellence: Der große Fotograf Robert Frank ist tot.
Bild: Robert Frank, 1924–2019 (Aufnahme von 2012)
Es war ein amerikanischer Schweizer namens Robert Frank, von dem das
interessanteste Bilddokument zu den Rolling Stones stammte. „Cocksucker
Blues“ nannte dieser Frank seine etwas zu lebensnahe Tourneereportage; die
Stones kassierten den Dokumentarfilm. Das war im Jahr 1972. Frank war, mit
48 Jahren, auf der Höhe seiner Kunst. Sein Bildgedächtnis war enorm, seine
Neugier riesig.
Damals begann sein Ruf als Fotograf umzukippen in Kult. Robert Frank wehrte
sich jahrelang, sein fotografisches Werk zu interpretieren. Es gibt einen
Stapel von schwarzweißen Fotografien aus seinem Hauptwerk [1][„Die
Amerikaner“], durch den er selbst einen Nagel gedroschen hatte. So
versuchte er seiner eigenen Legende zu entkommen, dem Schicksal eines
Mannes, der etwas Unbegreifliches geschaffen hatte, ein Werk von einer
Schlüssigkeit und Leichtigkeit, die bis heute in der Fotografie unerreicht
geblieben ist.
In den vergangenen Jahren fügte er sich in seine Rolle und publizierte bei
Gerhard Steidl in Göttingen Frühwerke und Spätwerke im Wechsel, inklusive
eines kleinen Albums, das der Arbeit des Vaters galt, eines Fotografen in
Zürich. So wurde aus Robert Frank doch noch ein Publikumsstar, weit über
die Szene der Fotografen hinaus, die er seit 1959, für etwa zwei
Jahrzehnte, in ihrer Bildauffassung und Sujetfindung zutiefst beeinflusst
hatte, die gesamte 68er-Generation von Sinnsuchern.
In der ersten Hälfte des Lebens war Robert Frank der moderne Kreative auf
der Suche nach der gültigen Formel. Er verließ die Schweiz, verbrachte
einige Zeit in England, wo er mit der sehr jungen Mary Lockspeiser
anbandelte, ehe er mit ihr nach New York übersiedelte. Eines der typischen
Kollegenporträts dort zeigt ihn lockig, leicht abgewandt, undurchschaubar:
ein Mann mit einem Plan.
## Man schlug sich durch
Er war einer von vielen, die man später als New York School beschrieben
hat, eine Generation, die viele Chancen hatte und nicht so viel Geld
brauchte, um sie zu realisieren. Mode, Reportage, Illustration – man schlug
sich durch. Die Fotografie löste sich von ihren Vorbildern, wurde
diesbezüglich nicht zu Unrecht mit der Jazzszene verglichen. Was gut lief
und breite Wirkung zeitigte, war die Interaktion in sehr kleinen Gruppen.
In der zweiten Hälfte seines Lebens wurde Frank ein subjektiver, radikaler
Künstler. Er war von Mary geschieden, seine Tochter Andrea war in
Mittelamerika mit dem Flugzeug abgestürzt, sein Sohn Pablo ein regelmäßiger
Besucher der Psychiatrie. Von June Leaf, der starken Frau in seinem Leben,
lieh er sich Bildformen, die mit dem Abdruck der Hände, dem Negativ, dem
Wort-im-Bild zu tun hatten: [2][„The Lines of My Hand“] (1972) hieß das
erste Buch dieser Sorte, in dem Franks Schmerzformeln als schwarze Lappen
von der Wäscheleine tropften, ein postmoderner Gruß aus seinem Domizil an
der Ostküste Kanadas.
In einem Film über „Home Improvements“ (1985) gab er Auskunft über seine
eher düstere Lebenslage. Das konnte man als Abkehr von der Formel der
Meisterschaft deuten; es war aber auch ein erster Stich in Richtung der
Videobiografie, die Schule machen sollte.
Insofern wird man sich an Robert Frank erinnern als einen radikalen Juden
des 20. Jahrhunderts, der die Schweizer Ratlosigkeit seiner Jugend hinter
sich gelassen hatte für eine dramatische künstlerische Tätigkeit, ein
Selfmademan, ohne Zweifel.
Die Kontaktaufnahme mit der Neuen Welt bleibt das Erstaunliche an seinem
Werk. Sich um ein Guggenheimstipendium bewerbend, 1954, schrieb er, sein
Ziel sei das „Erstellen eines umfassenden, voluminösen Bildspeichers aller
amerikanischen Dinge, in Vergangenheit und Gegenwart“.
## Transvestiten, kichernd
Robert Delpire in Paris war der Erste, der den Mut hatte, die achtzig
Fotografien als „Les Americains“ zu publizieren, aber erst als die
ehrwürdigen begleitenden Textzitate weggeräumt waren, wurde der suggestive
Bilderfluss von „The Americans“ (Grove Press, New York, 1959) sichtbar und
spürbar.
Das dampfende Vorwort von Jack Kerouac schob in die richtige Richtung.
Robert Frank hatte in präzisen Bildern ephemere Ikonen festgehalten: das
Diner, die Jukebox, die Landstraße; die amerikanischen Typen der
Rock-'n'-Roll-und-McCarthy-Zeit: die jungen Schwarzen (wartend), das
Starlet (gefroren), die Transvestiten (kichernd).
Weil er aber den „Bildspeicher“ vor sich sah, geriet ihm das eine Bild zum
Platzhalter des nächsten – der Entwurf einer Architektur des fotografischen
Essays. Die Resonanz war anfangs keineswegs riesig, denn noch saugte das
Publikum seine Fotografie aus den Illustrierten und folgte ihrer
4-Doppelseiten-Logik.
In den sechziger Jahren, als Frank schon beim Filmen angekommen war, wurde
die einzigartige Gestalt des Büchleins erkannt, etwas zwischen Literatur,
Zeichnung, Film und Musik – nur eben mit den Mitteln der klassischen,
leisen Fotografie erstellt, Leica und Kodakfilm, schwarzweiß.
Von den Künstlergestalten der New Yorker Szene nach dem Krieg wird Robert
Frank übrigbleiben als einer der Großen, neben Allen Ginsberg, Jackson
Pollock und John Cage. Sein Werk über „Die Amerikaner“ ist der
einzigartige, geglückte Versuch, eine Gattung ohne Vorbild durchzusetzen,
das fotografische Buch unter eigener Autorschaft.
Am Montag ist Robert Frank im Alter von 94 Jahren in Inverness in der
kanadischen Provinz Nova Scotia gestorben.
10 Sep 2019
## LINKS
[1] https://steidl.de/Buecher/The-Americans-1922454652.html
[2] https://steidl.de/Books/The-Lines-of-My-Hand-3547495156.html
## AUTOREN
Ulf Erdmann Ziegler
## TAGS
Fotografie
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Punk
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