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# taz.de -- "Howl" von Rob Epstein und Jeffrey Friedman: Ein unwiderstehlicher …
> Allen Ginsbergs Gedicht "Howl" kam 1957 vor Gericht. Der Vorwurf: Es sei
> obszön. Die Regisseure Epstein und Friedman haben den Prozess in einem
> Spielfilm rekonstruiert.
Bild: James Franco als Allen Ginsberg.
Es war ein Skandal, der freudig erwartet wurde. "Ich bin fast bereit, es
mit der US-Regierung aufzunehmen, aus purem Übermut", schrieb Allen
Ginsberg an seinen Vater Louis im März 1956. Anlass war die bevorstehende
Veröffentlichung von "Howl".
Wegen der sexuell expliziten Inhalte seines Gedichts erwartete der damals
29-Jährige Schwierigkeiten mit der Justiz. Im Brief berichtet Ginsberg,
dass er präventiv mit seinem Verleger Lawrence Ferlinghetti bei der
Bürgerrechtsvereinigung Civil Liberties Union angefragt hat, ob deren
Anwälte ihren Fall übernehmen würden.
Bis zum Skandal sollte es aber noch ein Jahr dauern: Im März 1957 fing der
US-Zoll 520 Exemplare des Gedichtbandes "Howl and Other Poems" auf dem Weg
von der Druckerei in London nach San Francisco ab und beschlagnahmte sie.
Aus dem epischen Titelgedicht des Bandes hatte die Zensoren besonders eine
Zeile provoziert, in der Ginsberg von Hipstern schreibt, die sich "von
Motorrad-Engeln in den Arsch ficken ließen" und dabei "schrien vor Lust".
Ferlinghetti wurde angeklagt wegen Verbreitung obszöner Schriften, ein
Anwalt der Civil Liberties verteidigte ihn. Alle großen Medien der USA
verfolgten den Prozess - und machten den jungen Dichter gleich mit seiner
ersten Buchveröffentlichung berühmt. Aus der Ode Ginsbergs an seine
Boheme-Freunde wurde der erste Schlüsseltext der Beat Generation.
Die Gerichtsverhandlung steht im Mittelpunkt von einem der vier
Handlungsstränge, über die sich die Filmemacher Rob Epstein und Jeffrey
Friedman ("Paragraph 175") dem vielleicht bekanntesten US-Gedicht der
letzten 60 Jahre nähern. Dabei setzen sie den Prozess weniger mit den
Mitteln des Spielfilms erneut in Szene, als dass sie sich an einer Art
Reenactment versuchen: Die Schauspieler mussten sich streng an die aus den
Gerichtsakten überlieferten Sätze von Verteidiger, Staatsanwalt, Richter
und Experten halten.
Als Reenactment könnte man auch den zweiten Erzählstrang bezeichnen, in dem
der Schauspieler James Franco Allen Ginsberg spielt, wie er am 7. Oktober
1955 in der Six Galerie in San Francisco zum ersten Mal sein Gedicht vor
einem Publikum vorträgt. Etwas mehr kreative Freiheiten nehmen sich Epstein
und Friedman auf der dritten Ebene ihres Films. Hier gibt Ginsberg (Franco)
ein Interview, das im Jahre 1957 stattgefunden haben soll, aber von den
Filmemachern aus Aussagen des Dichters aus verschiedenen Gesprächen
zusammengefügt wurde.
Den semidokumentarischen Rahmen verlässt "Howl" nur im vierten
Erzählstrang, in dem Illustrator Eric Drooker von Franco gelesene Passagen
aus dem Gedicht als Animationsfilm zum Leben erweckt. Diese
Visualisierungen sind die weiche Flanke des Films - und die Kritik hat
bereits eifrig auf sie eingestochen. Es sei eine Fehleinschätzung der
Filmemacher, "dass die beeindruckende Bildsprache des Gedichts Bilder und
nicht Wörter brauche, um es greifbar zu machen", schreibt etwa US-Kritiker
Roger Ebert stellvertretend für viele.
Rhythmus der Bilder
Das klingt zunächst einleuchtend, ist aber ein Totschlagargument, das
letztlich auf alle Literaturverfilmungen angewendet werden kann. Ein
abstrakterer Text würde sich schließlich auch nicht besser für eine
Bebilderung eignen. Natürlich sind es gerade jene starken Bilder von
"Howl", die zur filmischen Belebung herausfordern. In einer Abwandlung des
Arguments wird Drooker, der in den frühen 90er Jahren mit Ginsberg am
Gedichtband "Illuminated Poems" zusammenarbeitete, dafür kritisiert, dass
er sich zu sklavisch am Text entlanggehangelt habe.
Doch ein Vergleich seiner "Howl"-Version mit den Bebilderungsversuchen von
Laien auf Youtube zeigt sehr schön, dass er in weiten Teilen der Gefahr
einer einfach verdoppelnden Illustration entgeht. Er versucht, einen
eigenen Rhythmus der Bilder zu finden, der zwar nie allzu weit von
Ginsbergs Stakkato-Poesie wegführt, aber Lücken lässt, synkopiert
(Bebilderungen werden vor- oder nachgezogen) und eigene Metaphern und
Metonymien einsetzt.
Ein Beispiel: "[Hipster,] die durch Universitäten gingen mit verklärten
wissenden Augen und Halluzinationen hatten von Arkansas und düsteren
Blake-Tragödien zwischen den Scholaren des Krieges", schreibt Ginsberg. Bei
Drooker werden daraus zwei Szenen, in denen der Betrachter zunächst über
eine Welt aus hochhäusergroßen Buchstapeln fliegt und dann über Berge von
Totenköpfen hin zu einem erleuchteten Fenster.
In der ersten Szene taucht Ginsberg kurz als lesende Figur auf, in der
zweiten sieht man ihn zu Beginn reglos am Boden liegen, während eine
schwarze Figur im Kapuzenumhang, offenbar der Tod, ihn am Bein fasst.
Bücherstapel und Totenkopfberge, die Pars pro Toto für Universitäten und
Krieg stehen, mögen wenig originell sein, eine wörtliche Umsetzung von
Ginsbergs Zeile liefern sie dennoch nicht.
Das Problem von Drookers Animationen ist vielmehr ihr wenig stimmiger
Eklektizismus: Er zitiert sich durch die visuelle Kulturgeschichte der
Nachtbilder van Goghs und expressionistische Holzschnitte über
"Fantasia"-artigen Disneyzauber bis hin zu 50er-Jahre-Werbegrafik. So
richtig will diese barocke Fülle nicht zum frugalen Realismus des Restfilms
passen, der besonders beim Reenactment des Gerichtsverfahrens auffällt.
Prominente Schauspieler wie David Strathairn, Jeff Daniels und Jon Hamm und
der grandiose Kameramann Ed Lachmann ("Dem Himmel so fern") werden hier bei
etwas hüftsteifen Inszenierungen von Schuss-Gegenschuss-Einstellungen
unterfordert. Die aus den originalen Gerichtsakten entnommenen Sätze, die
die Starschauspieler aufsagen müssen, zeigen - wenig überraschend -, dass
in echten Gerichtssälen selten so rhetorisch brillant argumentiert wird wie
in den courtroom dramas Hollywoods. Die Argumentationen des Staatsanwalts
finden hier keinen Punkt, der Anwalt bohrt nicht richtig nach, der Experte
verliert den Faden.
Überdeutlich wird so, dass der Prozess für Epstein und Friedman nur Mittel
zum Zweck ist. Es geht ihnen nicht um das wichtige Gerichtsurteil zum
Schutz der Kunstfreiheit in den USA, sondern um die Interpretationen und
Wertungen von "Howl" durch die vor Gericht geladenen Literaturexperten. Sie
liefern eine alternative, zeitgenössische Auslegung des Gedichts zu
Drookers Animationen.
Der Dichter als Seher
In den aus heutiger Sicht völlig rückständigen Einschätzungen der vor den
Richter geladenen konservativen Literaturwissenschaftler wird vor Augen
geführt, wie provokant Ginsbergs Werk in den 50er Jahren war. Nicht
zuletzt, weil es sein öffentliches Coming-out bedeutete, in einer Zeit, in
der Homosexualität noch kriminalisiert wurde.
Im Interview bezeichnet Ginsberg sein Schwulsein als wichtigen Katalysator
für seine Kunst. Zum einen zwang ihn seine Differenz nach seinen Aussagen
zu einer stärkeren Selbstbetrachtung, zum anderen ermöglichte sie ihm einen
sensibleren Blick auf die Gesellschaft. In der Tradition seines
literarischen Vorbilds Arthur Rimbaud sieht er den Dichter als eine Art
Seher.
Ginsbergs Selbstanalyse ist ein weiterer Weg, über den "Howl" versucht, dem
Gedicht auf den Grund zu gehen. Die Addition der interpretierenden
Erzählstränge führt allerdings dazu, dass "Howl" bisweilen mehr wie
Unterrichtsmaterial für einen Oberstufen-Englischkurs wirkt als wie ein
Kinofilm. Aber letztlich übersteht Ginsbergs Gedicht die hermeneutische
Attacke von allen Seiten recht gut - ein Beleg für seine literarische
Qualität. Auch nach 90-minütiger didaktischer Zurichtung sind weder alle
Geheimnisse gelöst noch hat es seinen unwiderstehlichen Drive eingebüßt.
"Howl". Regie: Rob Epstein, Jeffrey Friedman. Mit James Franco, David
Strathairn u. a., USA 2010, 84 Min.
4 Jan 2011
## AUTOREN
Sven von Reden
## TAGS
Literatur
Fotografie
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