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# taz.de -- Kunst und Begegnung in München: Hier wohnt der Humor
> In München wollen Enthusiasten eine universelle Begegnungsstätte für
> Mensch und Humor bauen. Und es ist ihnen sehr ernst damit.
Bild: Über Humor lässt sich ja auch streiten
München taz | Kommt man von der U-Bahn-Station Poccistraße, sind es nur ein
paar Schritte bis zu der Stelle, wo der Humor ein Dach überm Kopf bekommen
soll. Und das ist natürlich ein sehr passender Zufall, denn Pocci, das ist
kein anderer als Franz Graf von Pocci, der Erfinder des Kasperls Larifari,
der im 19. Jahrhundert dem Kasperl- und dem Marionettentheater einen
bedeutsamen Auftrieb bescherte. Sonst hier: wenig Feingeist, stattdessen
Wurstgroßhandel, Metzgereibedarf. Die Zenettistraße runter, dann geht es
links in den Schlachthof. Hin und wieder lässt hinter den Mauern eine Kuh
ein „Muh“ vernehmen, eines ihrer letzten.
Dreht man sich jetzt nach rechts, steht man vor der ehemaligen Viehbank.
Die Fenster im Hochparterre sind vergittert, die Backsteine mit Graffiti
besprüht, über dem Portal wacht Hermes, der Schutzgott der Kaufleute.
Genau das richtige Gebäude für das Forum Humor, findet Reinhard Wittmann.
Er ist im Hemd gekommen, die Ärmel hat er hochgekrempelt. Es ist einer der
ersten heißen Sommertage in München. Hier haben früher die Viehhändler ihr
Geld hingetragen, als hier noch der Viehhof war und die Tiere mit der
Eisenbahn gebracht wurden. Wittmann zeigt die Rampe, wo früher das
Schlachtvieh runtergetrieben wurde.
Jetzt werden dort die entladenen Lkws gewaschen. Damals wurde hier noch
echter Kuhhandel betrieben, Zwischenhändler kauften das Vieh und trieben es
dann teils über unterirdische Gänge rüber in den Schlachthof. Heute kommen
die Tiere im Lkw direkt in den Schlachthof, der Viehhof hat ausgedient.
## Ein Viertel im Wandel
„An keinem anderen Flecken Münchens“, schreibt die Süddeutsche Zeitung,
„herrscht eine ähnlich lässige Atmosphäre und kreative Stimmung, die sowohl
von den Anwohnern als auch von Jugendlichen und Junggebliebenen aus der
ganzen Stadt geliebt wird.“ Da, wo früher die Rinderhalle stand, ist heute
eine Großbaustelle: das künftige Volkstheater. Daneben wirkt das Gebäude
der Viehbank recht schmächtig. 1997 ist die Bank hier ausgezogen.
Betreten darf man das Bankhaus derzeit nicht. Wittmann beschreibt die alten
Schalterhallen im Inneren, die sich zu Ausstellungsräumen umfunktionieren
ließen, spricht von Synergien, die man mit den künftigen Nachbarn, dem
Wirtshaus im Schlachthof, einer angesagten Anlaufstelle für Kleinkunst, und
dem Volkstheater nutzen könnte – zum Beispiel bei größeren
Bühnenveranstaltungen.
Die Idee für das Forum Humor und Komische Kunst, so der momentane
Arbeitstitel, ist bereits ein paar Jahre alt. 2010 gründete sich der
gemeinnützige Förderverein, damals noch unter dem Titel Komische
Pinakothek. Ausgehend von der Karikaturensammlung des Galeristenpaars Meisi
und Helmut Grill verfolgte man den Gedanken einer klassischen
Bildersammlung. Die Grills holten Wittmann mit ins Boot. Der warnte: Vier
Wände mit humoristischer Flachware daran – das ist zu wenig.
Wittmann, Niederbayer, 69 Jahre alt, ist inzwischen Vorstandsvorsitzender
des Fördervereins. In den Achtzigern hat er über das literarische Leben in
Berlin promoviert, danach die Literaturhäuser in Hamburg und München
aufgebaut, Letzteres hat er bis zu seinem Ruhestand vor drei Jahren
geleitet. Zuletzt wurde er dort für seine Ausstellungen zum Werk von
Loriot, Helmut Dietl und Gerhard Polt gefeiert.
## Slapstick, Theaterkomödien und Cartoons
Polt stieß gemeinsam mit seiner Frau Tini zu dem Team, und er war es dann
auch, der den entscheidenden Impuls gab – weg von der Pinakothek hin zum
umfassenden Humoransatz. „Dem Humor“, so Polt, „muss man eine Heimstatt
geben, in der die riesige Palette der komischen Künste und ihre Interpreten
besucht werden können.“ So soll das Forum den Humor in all seinen
Aggregatzuständen sammeln, erforschen, präsentieren.
Dabei, das ist den Initiatoren besonders wichtig, wollen sie das Thema in
seiner größtmöglichen Breite angehen. „Humor wird ja immer in die Kategorie
U abgeschoben, dabei hebt sich E und U beim Thema Humor auf“, sagt
Wittmann. Ein besonderes Augenmerk gilt auch dem medizinischen Aspekt.
Partner des Unterfangens ist deshalb der Arzt und Komiker Eckart von
Hirschhausen mit seiner Stiftung Humor hilft Heilen. Der Verein
KlinikClowns soll hier ein Büro beziehen.
Ansonsten geht es um Slapstick und Theaterkomödien genauso wie um Clowns
und Cartoons, Karikatur und Kabarett, Karneval und Alltagshumor –
dargereicht in Ausstellungen und Veranstaltungen. In einer Art Akademie der
komischen Künste sollen sich im Obergeschoss Praktiker aus der
Humorbranche um deren Nachwuchs bemühen, früher war hier die
Metzgerschule.
In dieser Breite werde das Haus des Humors oder wie auch immer es dann
heißen mag, weltweit einzigartig sein, wirbt Wittmann. Auch geografische
Grenzen will sich das Forum nicht setzen, obwohl Wittmann zugibt: „Die
Basis ist schon der bayerische Humor.“ München sei ja schließlich die
Hauptstadt des Humors, das gehe von Karl Valentin über den Simplicissimus
und den Nockherberg bis zur hiesigen Wirtshauskultur mit ihren Brettln und
sogar den Blockbustern von Michael „Bully“ Herbig. Aber natürlich will
Wittmann über den humoristischen Weißwurst-Tellerrand hinausblicken. „Lacht
der Japaner eigentlich über Chaplin“, fragt er sich beispielsweise. Und:
Worüber amüsiert man sich in Afrika?
## Was ist eigentlich Humor?
Gerade erarbeiten Nicola Lepp, Annemarie Hürlimann und Susanne Wernsing,
die auch die Grimmwelt in Kassel kuratiert haben, ein künstlerisches
Konzept für eine Dauerausstellung in dem Haus. „Das muss eine Erlebniswelt
des Humors werden, wo du nicht nur reingehst, um über den Humor etwas zu
erfahren, sondern wo du Humor erlebst“, sagt Wittmann. „Wenn du da schlecht
gelaunt reingehst, musst du wirklich gut gelaunt rauskommen, weil du so
richtig abgelacht hast.“ Und, klar, interaktiv muss es sein. Eigene
Gerätschaften, Erfindungen sollen deshalb her, etwa eine Humormessmaschine.
Humor messen zu wollen, das ist natürlich – ein Witz. Ist der Begriff
selbst doch schon schwer genug zu fassen. Was bitte ist Humor? In einem
Video auf der Website des Forums versucht sich der ein oder andere, der mit
Humor sein Geld verdient, an einer Definition. „Wenn Liebe und Weisheit ein
Gspusi eingehen“, behauptet etwa die Kabarettistin Luise Kinseher, „dann
kommt der Humor dabei heraus.“ Und Stofferl Well, einer der musizierenden
Brüder, die seit Jahrzehnten mit Polt auf der Bühne stehen, sagt: „Humor
ist Notwehr. Notwehr gegen die Sachen, wo man nix dagegen machen kann. Das
ist das Sterben, der Tod, die CSU, der FC Bayern, Trump und so weiter. Und
wenn man drüber lacht, ist es nimmer ganz so schlimm.“ Polt selbst bleibt
lieber im Ungefähren. „Für mich ist der Humor immer dann, wenn er
stattfindet.“
Ein bisschen optimistisch ist es ja schon von Wittmann und seinen
Mitstreitern, jetzt bereits eine Dauerausstellung konzipieren zu lassen:
Das Haus ihrer Begierde gehört schließlich der Stadt München, und in
trockenen Tüchern ist noch rein gar nichts. Immerhin müsste man in das
Gebäude rund 18 Millionen Euro stecken, um daraus ein Haus des Humors zu
machen. Das hat eine Machbarkeitsstudie ergeben, die die Initiatoren Ende
2018 vorgelegt haben. CSU, Grüne und FDP unterstützen das Projekt bereits
im Stadtrat, nur die SPD hat noch einen kleinen Vorbehalt: Der Freistaat
soll sich auch beteiligen.
Wittmann jedenfalls sieht nichts, was das Projekt noch aufhalten könnte.
„Ende 2022 müssten wir eröffnen können“, prognostiziert er. Da bedeutet …
ein junger Mann, doch bitte leiser zu sprechen.Direkt vor der Viehbank
finden gerade Dreharbeiten statt. Eine neue Folge der ARD-Endlosserie „Um
Himmels Willen“. Aufnahme läuft.
25 Jun 2019
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
München
Theater
Humor
Kunst
Satire
Helmut Dietl
Schwerpunkt Klimawandel
Rammstein
Fotografie
Politische Kunst
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