Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kabarettist Gerhard Polt wird 80: Der Grand-Sinnierer
> Gerhard Polt, seines Zeichens Kabarettist, Satiriker, Beobachter und
> verhinderter Bootsverleiher, wird 80. Anlass genug für einen Gedanken.
Bild: Gerhard Polts zweiter Kinofilm „Man spricht deutsch“ kam 1988 in die …
Da sitzt man nun und macht sich einen Gedanken. Versucht es zumindest. So
wie dieses arme Würschtel von Angestelltem, dem der Doktor Bödele zur
Verabschiedung eines Kollegen aufgetragen hat: „Und Sie, bitte machen Sie
sich einen Gedanken, und den können Sie dann da hervorbringen.“ Der Monolog
des auf die Ankunft des Gedankens wartenden Mannes stammt aus dem
Gesamtwerk von Gerhard Polt. Und nun soll man sich selbst also einen
Gedanken über eben diesen Gerhard Polt machen. Weil er an diesem Samstag 80
wird. Da wäre ein Gedanke, man muss es ja zugeben, schon das Mindeste.
Nicht, dass sich da nicht schon genug Leute Gedanken gemacht hätten. Kluge
Leute. Mitunter. Magister- und [1][Doktorarbeiten] sind über den
bayerischen Kabarettisten, Philosophen und Menschenbeobachter schon
geschrieben worden, bestimmt nicht völlig gedankenlos. Und nicht, dass man
sich selbst nicht auch hin und wieder was denkt.
Erst gestern wieder beispielsweise, auf dem Weg rüber nach Neuhaus, als man
beim Schnapperwirt vorbeigefahren ist. Natürlich denkt man da sofort, wie
schnell es gehen kann. Weil klar – die Assoziation hat man quasi seit
Kindheitstagen intus – beim Schnapperwirt, „da hat’s oan dabatzt“. Der
Unfallhergang ist schnell erzählt: Mit überhöhter Geschwindigkeit wird ein
Auto aus der Kurve getragen und stürzt vier Meter in den Abgrund. Die
Insassen, eine vierköpfige Familie, sind sofort tot. Am hiesigen Stammtisch
resümiert man die Geschehnisse des tragischen Unfalls freilich anders: „Da
hat’s oan dabatzt.“
## Der Blick fürs Wesentliche
So heißt es denn auch in dem Polt-Klassiker, dem man anmerkt, dass der
Mindestabstand zur Realität ein sehr geringer ist. Und das Gegenüber
antwortet folgerichtig: „Geh, wos, dabazt hat's oan?“ Nun muss man
vielleicht wissen, dass der Schnapperwirt eine typisch bayerische, am
Schliersee gelegene Wirtschaft ist, nur ein paar hundert Meter von Polts
Wohnhaus entfernt, und dass …
Aber nein, eigentlich muss man das nicht wissen. Allenfalls vielleicht das,
was jener Berichterstatter des Unfalls am Ende noch zu erzählen weiß:
„Interessant ist ja: Das Abblendlicht bei dem Wagen, das hat noch
vollkommen funktioniert. Die Blinker sind noch gegangen. Das Wesentliche an
dem Wagen war noch in Ordnung.“ Ja, der Blick für das Wesentliche, das ist
es!
Nein, nein, ein Gedanke, der den Namen verdient, ist auch das nicht.
[2][„Das Abblendlicht“] ist übrigens einer der Dialoge aus Polts Frühwerk
Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger. Wer zu dieser Zeit seine Jugend
in Bayern absolvieren durfte, kam gar nicht umhin, in einer von
Polt-Zitaten geschwängerten Atmosphäre heranzuwachsen.
## Gelächter herzhaft, aber nicht befreiend
Zitate, die fest in den Sprachgebrauch einer Generation eingingen:
[3][„Selbstverständlich hätte ich Milbertshofen auch nehmen können.
Technisch ist das doch gar kein Problem“], [4][„Da müassat man si glatt
verabschieden“] oder „Da hat dieser Herr einen Witz erzählt“ sind Aussag…
die für sich genommen und ohne die notwendige Polt’sche Vortragsweise im
Ohr, recht wenigsagend sein können, die aber bestens dazu dienten, im
Handumdrehen eine gemeinsame kulturelle Basis auszuloten.
Wenn das Gegenüber etwa auf die unvermittelte Behauptung [5][„Da steckt
sicherlich wieder diese Dicke dahinter“], antwortete: „Ja, aber die ist
doch gar nicht dick“, wusste man sogleich, in welcher geistigen Haushaltung
man sich befand, und konnte sich im weiteren Gespräch getrost auf einen
soliden humoristischen Grundkonsens verlassen – ganz gleich, ob man den
Dialog noch mit dem finalen „Das ist mir ganz egal, aber sie steckt
dahinter“ abrundete oder nicht.
Jugenderinnerungen! Man muss wohl dabei gewesen sein. Aber Polt zu erklären
ist ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist wie mit dem Humor selbst.
Muss man ihn erst einmal erklären, ist der Witz schon dahin. Gut,
Vergleiche könnte man ziehen, Karl Valentin bemühen, auch den Preußen
Loriot. Man könnte über den Abgrund der menschlichen Seele sinnieren, in
den uns Polt blicken lässt. Ein Abgrund, der tiefer ist als vier Meter und
uns doch oft herzhaftes Gelächter entlockt, wenn auch kein befreiendes. Man
könnte Polts Charaktere untersuchen, die in ihrer Unbedarftheit meist doch
noch einen Restfunken Liebenswürdigkeit behalten.
## Herzkasperls Schweinsbraten
Aber mehr als allenfalls Gedankenfetzen sind das auch nicht. Wo bleibt der
Gedanke? Polts im Auftrag des Doktor Bödele Wartender erkennt die
Problematik seines Unterfangens, also des Wartens: „Die Gedanken kommen,
kommen nicht, die machen was sie wollen.“ Er konkludiert: „Ein ambulantes,
unzuverlässiges Gschwerl.“ Und Recht hat er.
Gerhard Polt also. 80 Jahre wird er alt. Als er in München geboren wurde,
fielen dort noch die Bomben. Seine Kindheit verbrachte der protestantische
Bub deshalb größtenteils im Wallfahrtsort Altötting. Später dann wieder
München, Maxvorstadt. Polt studierte Skandinavistik, zum Teil in Göteborg,
und übersetzte anschließend schwedische Gebrauchsanleitungen. Eigentlicher
Berufswunsch, so kokettiert er gern, wäre Bootsverleiher gewesen. An diesem
Werdegang schrammte er knapp vorbei, ob seines komischen Talents stand er
stattdessen irgendwann in München auf einer Kleinkunstbühne.
Den Durchbruch der Polt’schen Karriere markierte, glaubt man der immer
wieder von Weggefährten erzählten Anekdote, ein Schweinsbraten. Der
Schauspieler und Kabarettist Jörg Hube soll Polt Mitte der Siebziger
gebeten haben, als Gast in seinem Herzkasperl-Soloprogramm aufzutreten.
Alles, was Polt tat, war, an einem Tisch auf der Bühne zu sitzen und einen
Schweinsbraten zu verspeisen. Die Gastrolle soll bald wieder gestrichen
worden sein, weil das Publikum fasziniert nur noch Polt beim Essen
zugeschaut hat und Hube daneben regelrecht verhungert ist.
## Zwei kongeniale Verbindungen
Etwa zur selben Zeit kam es zur Zusammenarbeit mit dem Autor und Regisseur
Hanns Christian Müller und der Schauspielerin Gisela Schneeberger – zwei
kongeniale und folgenreiche Verbindungen. Ein paar der Folgen: Stücke wie
„München leuchtet“, „Diridari“ und „Tschurangrati“, Filme wie
[6][„Kehraus“], die bitterböse, aber urkomische Satire über einen
Faschingsdienstag in einem Münchner Versicherungskonzern, Schallplatten wie
„Der Erwin“ oder „D’Anni hat g’sagt“ und natürlich die Serie [7][�…
im richtigen Leben“].
Immer wieder gern mit von der Partie: Dieter Hildebrandt, in dessen
„Scheibenwischer“ Polt ebenfalls auftrat. Als sie 1982 eine Sendung zum
Rhein-Main-Donau-Kanal machten, klinkte sich der Bayerische Rundfunk bei
der Ausstrahlung aus. Man muss es als Auszeichnung verstehen.
Dem Hinrenner Rudi sei auch mal ein Gedanke entwischt, berichtet unser
Leidensgenosse. Und der Rudi habe noch nicht einmal gewusst, dass er einen
gehabt hat. Ein Trost ist das nur bedingt. Dabei gibt es sie ja, die
Gedanken, die sesshaft werden, einen nicht mehr loslassen. In
[8][„Nikolausi“], einer von Polts bekanntesten Nummern, quintessenziert es
der von kindlicher Unbelehrbarkeit in Rage versetzte Erwachsene so: „Wenn
einer mal sich in einen Gedanken förmlich hineinverrennt, dann ist er ja
wie vernagelt.“
Kurz vor seinem Geburtstag, so werfen Polt nun einige vor, habe er selbst
sich verrannt, weil er den Bundeskanzler [9][in einem offenen Brief] als
einer von 28 Erstunterzeichnern bat, keine schweren Waffen an die Ukraine
zu liefern, um nicht die Gefahr eines Atomkriegs zu erhöhen. Die Runde war
illuster – sie umfasste Alice Schwarzer [10][ebenso wie Harald Welzer] und
Martin Walser, Alexander Kluge ebenso wie Juli Zeh –, [11][der Inhalt des
Briefs streitbar]. In der Folge erntete auch Polt in sogenannten sozialen
Medien einen Shitstorm – von Menschen, die für gewöhnlich in intellektuell
weit seichteren Gewässern unterwegs sind.
Natürlich haben sich die Zeiten geändert. Die Kinder heißen bei Polt nicht
mehr Heinz-Rüdiger, sondern Maurice-Eugène; die 30 Jahre lang an seiner
Seite musizierende [12][Biermösl Blosn] wurde nach dem Abgang von Hans Well
zu den Well-Brüdern, was natürlich nicht dasselbe ist; manche von Polts
Sprüchen werden inzwischen [13][auf der eigenen Homepage] in T-Shirt-Form
dargereicht; und jüngst synchronisierte er für den umstrittenen
Red-Bull-Sender Servus TV eine japanische Soap.
Aber: Der [14][Nurejew] hupft schließlich auch nicht mehr so hoch wie
früher. Der hat das auch gar nicht mehr nötig. Das wäre jetzt vielleicht so
was wie ein Gedanke. Ist natürlich von Gerhard Polt.
6 May 2022
## LINKS
[1] https://claudiapichler.com/produkt/buch-polt/
[2] https://yewtu.be/watch?v=0S-uo9GdERs
[3] https://yewtu.be/watch?v=pCI4ZU0cCnI
[4] https://yewtu.be/watch?v=a1ctpu0pG_0
[5] https://yewtu.be/watch?v=su6xOpaa94E
[6] https://yewtu.be/watch?v=dJolngEBM7s
[7] https://www.br.de/mediathek/sendung/fast-wia-im-richtigen-leben-av:5e3d49e1…
[8] https://yewtu.be/watch?v=0Emot19UYoo
[9] https://www.emma.de/artikel/offener-brief-bundeskanzler-scholz-339463
[10] /Harald-Welzer-zum-Offenen-Emma-Brief/!5847657
[11] /Offener-Brief-gegen-Waffenlieferungen/!5847494
[12] https://yewtu.be/watch?v=pV3juzDBupg
[13] https://polt.de/#gs.zcm5ca
[14] https://yewtu.be/watch?v=T4OEkE2ERdc
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
Satire
Kabarett
Bayern
Humor
GNS
Landtagswahl Bayern
Die Toten Hosen
Karl Valentin
Kammerspiele München
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
München
## ARTIKEL ZUM THEMA
Edgar Liegl und das bayerische Kabarett: Der Philosoph des Brettls
Ab 1977 gab Edgar Liegl im Scharfrichterhaus bayerischen Kabarettisten eine
Bühne. Auch unser Autor trat dort auf und hat ihn jetzt wieder getroffen.
Tote Hosen, Wells und Polt auf Tour: Punk mit Harfe
Die Toten Hosen, Gerhard Polt und die Gebrüder Well sind gute Freunde – und
mal wieder auf Tournee. Die Geschichte einer angekündigten Zumutung.
75. Todestag von Komiker Karl Valentin: Absurdl aus der Au
Zwischen Anarchie und Avantgarde: Vor 75 Jahren starb Karl Valentin. Eine
nur wenig über den Verdacht der Hommage erhabene Erinnerung.
Gerhard Polt in den Kammerspielen: Die Erben singen tralala
Der Humorist Gerhard Polt bringt sein neues Stück auf die Bühne der
Münchner Kammerspiele – gewohnt bitter, gewohnt böse behandelt er dabei den
Tod.
Warnung vor weiterer Kriegseskalation: Offener Brief an Scholz polarisiert
In der „Emma“ warnen Prominente aus Kultur und Medien den Kanzler vor einem
Dritten Weltkrieg. Der Brief sorgt für eine Kontroverse.
Kunst und Begegnung in München: Hier wohnt der Humor
In München wollen Enthusiasten eine universelle Begegnungsstätte für Mensch
und Humor bauen. Und es ist ihnen sehr ernst damit.
Kabarettist Gerhard Polt: Schaffen eines angewandten Komikers
Das Literaturhaus München feiert den 70. Geburtstag des Kabarettisten
Gerhard Polt – mit einem Universum aus Satire, Sprachspielerei und
Sinnieren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.