| # taz.de -- Bayerischer Satiriker Polt über Trachten: „Das ist nicht konserv… | |
| > Das Tragen von Tracht soll man ernst nehmen, sagt der Autor, Kabarettist | |
| > und Bayern-Erklärer Gerhard Polt. Aber nicht zu ernst. So wie alles | |
| > andere. | |
| Bild: „Etwas erhalten zu wollen, ist ja per se nicht schlecht“: Gerhard Pol… | |
| taz: Herr Polt, nehmen wir die Tracht zu wenig ernst? Oder zu ernst? | |
| Gerhard Polt: Wer ist wir? | |
| taz: Die Gesellschaft. | |
| Polt: Ich kann für die Gesellschaft nicht reden. Ich kann nur sagen, dass | |
| ich Leute kenne, die die Tracht mögen, und eigentlich keine Leute kenne, | |
| die sie nicht mögen. Wenn Leute die Tracht nicht tragen, heißt das ja | |
| nicht, dass sie die Tracht nicht mögen. Ich wohne im Oberland, am | |
| Schliersee, und hier ist natürlich die Tracht der Ausdruck einer gewissen | |
| Zusammengehörigkeit. Jedes Jahr im November, am Leonhardstag, gibt es bei | |
| uns einen Pferdeumzug mit Reitern und Wagen und da hocken dann die Frauen | |
| drin im Schalk, der Festtagstracht. Und wenn man so einen Schalk einmal | |
| gesehen hat von den Frauen, dann muss ich sagen: Das ist eine tolle Sache. | |
| Also mit Sicherheit für jemand, der schneidert oder so, ist der Schalk eine | |
| Herausforderung. Und soweit ich weiß, ist so etwas nicht billig. Das hat | |
| eine gewisse Qualität. Und die Männer haben natürlich die berühmte kurze | |
| Hose bei uns oder die lange Bundhose. | |
| taz: Wir haben Sie schon oft im Trachtenjanker gesehen, aber noch nie in | |
| einer Lederhose. Haben Sie überhaupt eine? | |
| Polt: Eine Lederhose hab ich nur als kleiner Bub gehabt, danach nicht mehr. | |
| Aber ich trag’ die Joppe (Trachtenjacke – Anm. d. Red.) und ich hab eine | |
| Joppe, die hab ich gekriegt von einem, der ist gestorben. Er hat sie mir | |
| kurz vorher gegeben, weil er sie auch schon gehabt hat von einem, der | |
| gestorben ist. Ich habe jetzt also eine Miesbacher Joppe, wo zwei Leute | |
| sozusagen rausgestorben sind. | |
| taz: Das gehört auch zur Tracht, oder? Dass man die teuren, guten Stücke | |
| weitervererbt? | |
| Polt: Ja, eine gewisse Kleidung, eine Joppe, eine Lederhose, kann man | |
| weitervererben, das kann man machen. | |
| taz: Macht das einen Unterschied für Sie auf der Bühne, ob das Publikum in | |
| Tracht vor Ihnen sitzt oder im Jogginganzug? | |
| Polt: Nein, eigentlich nicht. Wobei ich sagen muss, wir haben gerade eine | |
| Vorstellung in Neufahrn bei Wolfratshausen gehabt, im Bierzelt. Da waren | |
| viele im Publikum direkt aus der Umgebung und kannten sich, zum Beispiel | |
| von der Freiwilligen Feuerwehr, die waren sich ziemlich nah. Das macht dann | |
| einen Unterschied. Wenn man jetzt in einer Großstadt auftritt, kommen die | |
| Leute oft von überall her und kennen sich nicht. | |
| taz: Die Tracht ist ja vor allem sichtbar bei Umzügen wie dem | |
| Leonhardiritt, bei Heimatabenden und Festen. Gäbe es ohne den Touristen | |
| überhaupt einen Trachtler? Wird der Trachtler erst Trachtler im Auge des | |
| Touristen? | |
| Polt: Ich glaube, dass es Touristen gibt, die die Tracht sehen wollen als | |
| [1][etwas Farbiges] und sich drüber freuen. Die schauen sich Festzüge an, | |
| aber die Einheimischen genauso. Es ist einfach ein Spektakel, weil die | |
| Trachten zum Teil einfach sehr schön und augenfällig sind. Manche Leute, | |
| die das nicht so kennen, sind erstaunt, was es da alles gibt. Manchen ist | |
| wurscht, warum es die Tracht gibt, die vertiefen nicht, woher sie kommt. | |
| Aber es gibt auch Leute, die können genau an den verschiedenen Knöpfen oder | |
| Stoffen erkennen, woher die Tracht kommt. Das sind Nuancen in der Tracht, | |
| genau wie im Sprachlichen. Wir wissen ja: In verschiedenen Tälern und | |
| verschiedenen Gegenden haben die Leute einen ähnlichen Dialekt, aber doch | |
| unterscheiden sie sich zum Teil immer noch in bestimmten Ausdrücken oder | |
| mit bestimmten Formulierungen. | |
| taz: Womit wir wieder bei der Zugehörigkeit wären. | |
| Polt: Ja, freilich. Für Leute, die das wissen und sich dafür interessieren. | |
| Der größte Trachtenzug, glaube ich, ist ja der Oktoberfestzug, wo die | |
| Trachtler aufmarschieren am Anfang. Und das ist wirklich malerisch, das hat | |
| ja etwas, wenn die Leute von Weiß-der-Teufel-woher nach München kommen und | |
| ihre Trachten zeigen. Man ist immer wieder erstaunt, welche verschiedenen | |
| Formen es da gibt. | |
| taz: Bis in die Neunzigerjahre hat außer auf dem Festzug niemand [2][auf | |
| dem Oktoberfest] Lederhosen oder Dirndl getragen. Warum gibt es dort jetzt | |
| diesen Trachtenhype? | |
| Polt: Ich weiß es selber nicht genau. Es ist halt eine Modesache, dass die | |
| Menschen vielleicht glauben, dass es gut wäre, sich so zu verkleiden, wenn | |
| sie da hingehen. Ein Muss ist es nicht, niemand wird gezwungen. Es gibt | |
| aber jetzt sogar einen Kostümverleih, hab ich gehört. Du kannst dir ein | |
| Dirndl oder so was leihen und dann da auftreten im Bierzelt. Es ist eine | |
| Sache, wo ich mich wundere, warum das so ist. Es ist schwierig: Warum ist | |
| eine Mode eine Mode? | |
| taz: Das Oktoberfest ist ein Exportschlager. In Brasilien gibt es eins, in | |
| New York, Hongkong und sogar in Ramallah gab es jahrelang ein | |
| [3][bayerisches] Bierfest. Woher kommt diese Faszination? | |
| Polt: Ich war einmal in Carrara, in Italien, wo der Marmor herkommt. Da | |
| haben die ein Oktoberfest gehabt, das war verrückt! Ich schätze, diese | |
| Feste haben etwas Kommunikatives. Man geht davon aus, dass bei diesen | |
| Festen Leute schnell miteinander in Kontakt kommen. Ohne Förmlichkeiten, | |
| ohne irgendwelche sozialen Hürden. Das stimmt und stimmt gleichzeitig | |
| nicht. Weil wir wissen ja, dass es am Oktoberfest zum Beispiel durchaus | |
| Zelte für die Großkopferten gibt oder auch innerhalb eines Zeltes Plätze | |
| für die Großkopferten. Im Freien ist da aber immer noch die Möglichkeit, | |
| dass sich der Professor und der Taxifahrer gegenübersitzen und es ist | |
| wurscht, was einer ist. | |
| taz: Auch die Sorb:innen in der Lausitz haben eine Tracht, es gibt die | |
| Schaumburger Tracht in Niedersachsen und in Dortmund und Hannover sieht man | |
| zuweilen die kurdische Tracht. Im Ausland aber steht die bayerische Tracht | |
| oft für Deutschland als Ganzes. Warum? | |
| Polt: Ich glaube, da vermischen sich Sachen. In Amerika zum Beispiel wissen | |
| die Leute nicht den Unterschied zwischen Bayern und Tirol, für die ist das | |
| eins. Richtig ist, dass der sogenannte deutsche Michel nicht mehr mit | |
| dieser Zipfelmütze in Erscheinung tritt, sondern [4][in bayerischer | |
| Tracht.] Weil einfach diese Tracht offensichtlich noch markanter ist als | |
| viele andere Trachten. Dieses Markante bleibt optisch mehr haften. Und da | |
| nehme ich an, dass man das gerne verwendet. Zack: Das ist der Deutsche, der | |
| Knödel frisst und [5][Bier sauft]. Der Italiener sitzt vorm Teller | |
| Spaghetti, die Franzosen fressen die Austern. Diese Versuche, Kulturen in | |
| den Griff zu bekommen, sind meistens eher unglücklich. | |
| taz: Wird der Mensch eigentlich konservativ, wenn er die Tracht anzieht? | |
| Oder zieht er die Tracht an, weil er konservativ ist? | |
| Polt: Es kommt darauf an, was man mit konservativ meint. Wenn man sagt, | |
| jemand beharrt auf etwas, was er immer schon gemacht hat, und will, dass | |
| die eigenen Kinder das vielleicht auch machen. Dann kann man das | |
| „konservieren“ nennen. Konservieren heißt ja: etwas erhalten, von dem man | |
| glaubt, dass es erhaltenswert ist. Im Gegensatz zur Mode. Die Leihkostüme | |
| am Oktoberfest können ja auch wieder verfliegen. Aber Menschen in einem | |
| überschaubaren Ort, die schon immer die Tracht tragen, also locker 150 | |
| Jahre, das ist keine Mode in dem Sinn. Sondern es ist ein | |
| Sich-Wiedererkennen-Wollen. Eine Sprache ist auch keine Mode, ein Dialekt | |
| ist auch keine Mode. Man hat ihn und gibt ihn weiter. Das ist nicht | |
| konservativ für mich, da finde ich das Wort etwas fehl am Platz. Etwas | |
| erhalten zu wollen, ist ja per se nicht schlecht. Es kommt darauf an, | |
| warum. Wenn man etwas prüft und feststellt, es ist nicht erhaltenswert, | |
| werden die Leute es ja vielleicht ablegen. Aber ich zum Beispiel finde das | |
| ganz toll, dass die Leute in meinem Ort das nach wie vor haben, weil sie | |
| sich wohl damit fühlen. Ich selbst trage die Joppe auch nicht bloß um zu | |
| zeigen, dass ich dazugehöre, sondern die Joppe ist gefällig und angenehm. | |
| taz: Wenn ein Mensch evangelisch ist und aus Franken, wie [6][der | |
| bayerische Ministerpräsident], kann die Tracht da auch bei der Integration | |
| helfen? | |
| Polt: Ich kenne einen, das ist ein Musiker, der ist ein Perser. Der läuft | |
| in der kurzen Hosen rum und spielt bayerische Volksmusik und spielt | |
| internationale Musik auf der [7][Ziach (Steirische Harmonika – Anm. d. | |
| Red.)]. Und es ist nicht zu unterscheiden, dass der eigentlich aus Persien | |
| ist. | |
| taz: Im Landkreis Traunstein gibt es [8][die „A-f-D“, die | |
| Antifaschistischen Dirndl], die in der Tracht bayerische Musik machen gegen | |
| rechts und für die Rechte von Frauen und queeren Menschen. Braucht’ s des? | |
| Polt: Für mich nicht. Wenn einer sich politisch äußert, dann soll er das | |
| machen. Aber wenn er glaubt, dass er das über ein Dirndl oder über die | |
| Tracht macht, weiß ich nicht, ob das der richtige Weg ist. Also ich ziehe | |
| meine Joppe nicht an, weil ich gegen Nazis bin, das hat damit nichts zu | |
| tun. | |
| taz: Die Antifaschistischen Dirndl sagen, dass sie die Tracht und die | |
| Traditionen nicht den Rechten überlassen wollen. | |
| Polt: Die Rechtsradikalen laufen nicht unbedingt in einer Trachtenjoppe | |
| rum. Dass man denkt, die wären an der Kleidung erkennbar, das finde ich | |
| eine merkwürdige Einstellung. | |
| taz: Wie steht’s denn um die democracy? In Bavaria, in Germany? | |
| Polt: Demokratie braucht [9][Humor]. Ohne Humor ist Demokratie schwierig. | |
| Und wenn den Leuten der Humor wegfällt, weil sie nur noch ernst tun, dann | |
| gibt es immer mehr Grabenkämpfe. Wenn keiner mehr über sich selbst und den | |
| anderen lachen kann, dann wird’s ernst. Und das kann der Demokratie nicht | |
| guttun. Ernsthaftigkeit mag ihren Platz haben, aber grundsätzlich müssen | |
| die Leute auch eine Gaudi haben und zu sich selbst und zum anderen ein | |
| gewisses lockeres Verhältnis haben. Und da wären wir wieder beim Biertisch | |
| und beim Volksfest, wo Leute nicht unbedingt politisch diskutieren müssen, | |
| aber sich unterhalten und sich auslassen mit ihren Sorgen. So werden sie | |
| vielleicht wieder lockerer. | |
| taz: Antrinken hilft gegen die Polarisierung, meinen Sie? | |
| Polt: Einer meiner Lieblingsschriftsteller war immer der Oskar Maria Graf. | |
| Der hat einfach wunderbar gezeigt, dass auch in den schwierigen Zeiten der | |
| Weimarer Republik und des Hungers, ein bestimmtes Zusammensein sozusagen | |
| einen Trost gab. Inseln, wo Menschen hingehören und abschalten können, | |
| wären auch heute wichtig. Ob die Menschen das dann wirklich machen, ist | |
| wieder eine andere Sache. | |
| taz: Sie haben früher schon einmal gesagt: „Gemütlichkeit, das ist die | |
| Relation aus Zeit, Geld und Bier.“ | |
| Polt: Die radikalen Leute, religiös radikal oder politisch radikal, die | |
| haben keine Freude. Du siehst es in ihren Gesichtern irgendwie, sie sind | |
| unzufrieden. Ich kann mich gut an die Aufnahmen von den Pegida-Aufmärschen | |
| erinnern. Diese starren, bösen Gesichter. Ich hab nur gedacht: Mensch, lach | |
| doch einmal, du Arschloch. Nach dem Aufmarsch trinkt er wieder ein Bier und | |
| isst einen Schweinsbraten, was will er mehr. Es gibt so viele Leute, denen | |
| es so viel schlechter geht als dir und du schaust streng und unerbittlich | |
| und hast keine Gaudi. Wenn ein Mensch eine Gaudi hat, dann bedeutet das für | |
| mich, dass er nachsichtig ist mit den Fehlern anderer und mit den eigenen | |
| vielleicht auch einmal. | |
| 18 Aug 2025 | |
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