| # taz.de -- Kabarettist Gerhard Polt: Schaffen eines angewandten Komikers | |
| > Das Literaturhaus München feiert den 70. Geburtstag des Kabarettisten | |
| > Gerhard Polt – mit einem Universum aus Satire, Sprachspielerei und | |
| > Sinnieren. | |
| Bild: Wer ihn einmal live gesehen hat, vergisst dieses Erlebnis nicht: Gerhard … | |
| 30, 60 oder gar 180 Minuten Lebenszeit – wie viel wollen Sie für Gerhard | |
| Polt investieren? Die Lebenszeit, die der Besucher dessen Münchner | |
| Ausstellung „Braucht’s des?!“ widmen will, möge er anhand einer Stechuhr… | |
| Eingang dokumentieren. Der Meister habe es erdacht, so die höfliche | |
| Aufforderung. Ein Polt’scher Empfang, wahrhaftig. | |
| Und nur eine der Kuriositäten, mit denen der Beinahejubilar das Prinzip | |
| Retrospektive angesichts seines „gelegentlichen Schaffens als angewandter | |
| Komiker“, wie er in seinem handschriftlichen Lebenslauf darlegt, ad | |
| absurdum führt. Da steht ein Pappkarton, in dem er seine Auszeichnungen | |
| verstaut zu haben scheint, untertitelt mit „Jeder Preis sucht unerbittlich | |
| seinen Träger“. | |
| Über einer Stuhllehne hängt die charakteristische Strickjoppe, ein | |
| handgeschriebenes Schild auf dem Tisch neben einem Mikrofon verspricht: | |
| „Komme gleich wieder“. Dazu zeigt die Schau Filmausschnitte aus | |
| Theaterinszenierungen wie „München leuchtet“, Fernsehserien wie „Fast wia | |
| im richtigen Leben“ oder Filme wie „Kehraus“ und „Man spricht deutsh“. | |
| Und schon ist man mittendrin im Universum dieses Virtuosen der Satire, der | |
| Sprachspielerei und des Sinnierens: Was passiert, wenn sich ein Mensch der | |
| wirtschaftlichen Verwertbarkeit des eigenen Tuns entzieht und sein | |
| Nichtstun kultiviert, wie Polt in der Rolle des Bootsverleihers, dem | |
| Herzstück der Schau? Er wird glücklich, scheint’s. | |
| ## „Der Sinn des Lebens, oder irgend so ein Blödsinn“ | |
| So monologisiert der Bootsverleiher eines Wintertags am einsamen | |
| Schliersee: „Ich habe viele Gedanken, die ich angefangen, aber noch nicht | |
| zu Ende gedacht habe. Ständig kommt wieder ein Gedanke und fällt einem | |
| wieder ein.“ Sogar in einer Talkshow sei er schon befragt worden. Zu | |
| welchem Thema? „Der Sinn des Lebens. Oder irgend so ein Blödsinn.“ Lacht, | |
| lehnt sich zurück und schweigt. | |
| Schweigen, auch eines der essenziellen Themen des Privatiers Polt, der in | |
| Videokommentaren zu Wort kommt. Er bezeichnet „das Nichtvorhandensein eines | |
| Satzes als grandios“. „Schweigen überzeugt viele Menschen mehr als Reden�… | |
| sagt einer, dessen Leben einem Schelmenroman gleicht. | |
| Als Kind findet er, besessen von einem ungeheuren Spieltrieb, in Altötting | |
| und in München mit seinen „Kindkollegen“ in Lausbubenstreichen ein Ventil, | |
| um dem Druck der Welt der Erwachsenen zu begegnen. Die katholische | |
| Sozialisation wird als erstes Entertainmenterlebnis rezipiert: 55 Jahre | |
| nach seiner Kommunion fegt Polt als Benedikt XVI. mit einem Laubbläser den | |
| Boden, im Stück „Offener Vollzug“ mit den Biermösl Blosn. | |
| ## Mit scharfem Blick sezieren | |
| Erzählt wird von prägenden Erlebnissen im vielfältigen Milieu im Schwabing | |
| der 1960er Jahre, Wohn- und Feldforschungsort des Künstlers. Schon damals | |
| offenbart sich sein Talent, Menschen um sich zu scharen und diese mit | |
| scharfem Blick zu beobachten, zu sezieren und gelegentlich aufzuspießen. | |
| Ein Schmuckstück der Schau ist das erste Hörspiel „Als wenn man ein Dachs | |
| wär’ in seinem Bau“ von 1976. Darin verfasst er einen Nachruf auf das | |
| Wohnquartier seiner Jugend in der Münchner Amalienstraße und auf dessen | |
| durch den Abriss verdrängte Bewohner. Im Inventar der etwa 50 Stimmen, die | |
| er ihnen verleiht und die er alle selbst spricht, tauchen erstmals Figuren | |
| auf, die auf seine späteren Stücke vorausweisen. | |
| Da ist der Herr Tschabobo („Der ist ausgesprochen sauber. Wenn er net | |
| schwarz wär’, er könnt a Deutscher sein.“), der Alteingesessene („40 Ja… | |
| wohne ich jetzt hier. Warten ’S halt, bis wir herausgestorben sind.“) und | |
| der Städteplaner („Wir schaffen Naherholungsenvironments und | |
| Begrünungseinheiten.“). Polt kritisiert und analysiert den Ausländerfeind | |
| und den Miethai nicht, sondern schlüpft in ihre Haut und entlarvt damit die | |
| Perfidität im deutschen Alltag. | |
| Wer Polt einmal live gesehen hat, vergisst dieses Erlebnis nicht. Und sei | |
| es in Jörg Hubes „Herzkasperl“ in München vor 30 Jahren: Obwohl er nur | |
| seitlich auf der Bühne sitzend einen Schweinsbraten verzehrte, war er von | |
| beeindruckender Präsenz. Auf die Frage, ob ihm etwas fehle, verkündete er | |
| lapidar: „Der Pfeffer!“ | |
| "Braucht's des?!", Literaturhaus München, bis 10. 6. | |
| 14 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Annette Walter | |
| ## TAGS | |
| Satire | |
| Wochenendkrimi | |
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