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# taz.de -- Ausstellung auf Hamburger Freifläche: Die Brache zum Tanzen bringen
> Zehn Tage lang Kunst auf einem Stück des Hamburger Heiligengeistfelds:
> kein schlechter Ort, um Verwertungsdruck und Zweckfreiheit zu
> reflektieren.
Bild: „Hier und da bunte Pfützen“: Schirin Kretschmanns „Intervention“…
Hamburg taz | Bauzäune und Sandhaufen, dazwischen, was Teile von illegal
entsorgten Kühlschränken sein könnten: Wer dieser Tage in Hamburg von der
U-Bahn-Station St. Pauli aus aufs [1][Heiligengeistfeld] kommt, dem*der
muss nicht unbedingt auffallen, dass er*sie mitten in Kunst steht: Sieht es
hier nicht immer so aus, wenn nicht gerade Dom-Rummel ist? Dann nämlich
wird das Areal – nein, nicht im Herzen von St. Pauli gelegen, deutlich mehr
am Rand – nach Kampfmitteln durchsucht beziehungsweise davon befreit.
Es bedarf schon eines besonderen Blicks, um vielleicht zu erkennen: Was
jetzt dort angehäuft ist, seit Donnerstagabend zu besichtigen, das ist
andere Erde, anderer Sand. Eigens ausleihen mussten sie den also nur
vermeintlichen Aushub, erzählte am Donnerstagabend Franziska Nast vom
[2][Kunstverein St. Pauli].
## Künstlerische Intervention
Diese erklärt „interdisziplinäre Gruppe aus den Bereichen Kunst, Design,
Gartenlandschaftsbau, Soziologie und Architektur“ hat ein Eckchen der
Fläche kuratieren dürfen und zeigt noch bis zum Sonntag, 20. September,
„Welt in Teilen“: Elf Künstler*innen sind mit plastisch aufgestellten,
performativ aufgeführten oder auch erst noch wachsend-wuchernd-werdenden,
teils der Land-Art verwandten Arbeiten vertreten.
Dazu gibt es Begleitprogramm, mal mehr, mal weniger unmittelbar zu diesem
Ort passend: Am heutigen Samstag ab 16 Uhr etwa tauschen sich die Berliner
Gruppe „Stadt im Regal“ und die Künstlerin Karen Winzer über freie
Stadtflächen aus, moderiert wird das von der Kulturwissenschaftlerin
Annalena Wenzel. Kommenden Mittwoch, 19 Uhr, ist dann Thomas Geiger mit
einer Lecture Performance zu einem anderen naheliegenden Thema zu Gast:
„Peeing in Public“.
Es soll hier nämlich nicht einfach irgendetwas ausgestellt werden, unter
freiem Himmel, was im späten Hamburger Sommer nicht ganz ohne Risiko ist.
Nein, es geht um „künstlerische Perspektiven auf die Potenziale einer ziel-
und funktionslosen städtischen Entwicklung“, teilen die Macher*innen mit.
Aber auch „die Erprobung experimenteller Ausstellungsformen, die auch Leute
erreichen, die vielleicht sonst nicht in Ausstellungsräume gehen, der Kunst
dann aber zufällig draußen begegnen“, so Nast [3][zur Szene Hamburg].
## Grell und laut, dann wieder verlassen
Zur Erörterung von Fragen von Zweckfreiheit und Verwertung eignet sich das
heute so leere Feld ja tatsächlich bestens: Einen Teil des Jahres findet
hier [4][Norddeutschlands angeblich größtes Volksfest] statt, der
„Hamburger Dom“: maximal grelles, lautes Amüsement, das diverse, ohnehin
den Stadtteil prägende Probleme dreimal im Jahr noch mal potenziert:
Wildpinkeln, Vermüllung, Verkehrsaufkommen.
Dass ausgerechnet dieser „schnelllebige Klimbim“, so Nast, einen
„beschützenden“ Charakter für die so zentrale Freifläche haben könnte:
Diesen Gedanken äußerte zur Eröffnung Kultursenator Carsten Brosda. Das ist
plausibel: Würde der Dom nicht jeweils einen Teil des Jahres lang seine
Ansprüche hier geltend machen, wäre auf dem Heiligengeistfeld doch längst
nachverdichtet worden. Brosda zufolge ist also das Potenzial dieses
(Un-)Ortes gerade, dass er nicht durchweg genutzt wird.
Das zwischenzeitlich einen anderen Teil der Fläche einnehmende
[5][Autokino] ist ja jetzt auch wieder weg; wie ein verblassendes Echo
steht nun aber auch in der Ausstellung eine provisorischere (und kleinere)
Leinwand: Mit Einbruch der Dunkelheit läuft darauf [6][Signe Pierce]’
experimenteller Film „American Reflexxx“.
Darin geht die Künstlerin – blond, mit blauem Minikleid und verspiegelter
Maske bekleidet stereotype Ideale von Schönheit, Sex-Appeal und
vermeintlicher Verfügbarkeit spekulativ übersteigernd – eine
US-amerikanische Vergnügungspromenade entlang. Und bekommt dabei nicht nur
erwartbare Anmachsprüche zu hören, sondern wird auch Opfer körperlicher
Gewalt – interessanterweise von Frauen.
Erzählt „American Reflexxx“, dem nahen Kiez angemessen, von Sex und
Vergnügen und Gewalt, setzen sich andere nun dort aufgestellte Arbeiten
erst auf den zweiten Blick – oder über die Bande – mit der Umgebung
auseinander. Schiri Kretschmann lässt bunt besprühte Eisblöcke schmelzen,
was an den Klimawandel denken lässt, aber vielleicht ja auch bloß an
Eiswürfel in wieder geöffneten Bars?
## Algen wachsen
Geht es da um ein Wenigerwerden, lässt Philipp Modersohn gegenüber in einem
flachen Metallbecken Algen wachsen – bei der Eröffnung war noch nichts,
oder wenigstens nicht viel, zu sehen.
Subtil sind die Effekte, die der Aufenthalt in Michael Beutlers Jurte aus
knallgelb beklebtem Baustahl hat: Wer lange genug drin gewesen ist – die
ebenfalls zur Eröffnung sprechende Nora Sdun (Textem-Verlag) empfahl
mindestens eine Minute –, kommt mit einer temporär verschobenen
Farbwahrnehmung wieder heraus. Da passt dann die von Nast vorausgeschickte
– je nachdem – Warnung oder Erwartungssteigerung umso besser: Auf dem
Gelände herrsche Stolpergefahr.
12 Sep 2020
## LINKS
[1] /Auf-kurzen-Fruehling-folgt-der-Kommerz/!5690779
[2] http://www.kunstvereinstpauli.de/
[3] https://szene-hamburg.com/kunstprojekt-welt-in-teilen-auf-dem-heiligengeist…
[4] https://www.hamburg.de/dom/
[5] /Kinorummel-auf-St-Pauli/!5688508
[6] https://www.deutschlandfunk.de/instagram-kuenstlerin-signe-pierce-technofem…
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Kunst im öffentlichen Raum
Hamburg
Stadtentwicklung
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St. Pauli
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Politische Kunst
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