# taz.de -- Kolumne Blind mit Kind: Intelligente Knete ohne Reue | |
> Was klebt, was malt das Kind? Sticker sind noch tastbar, Schmierereien | |
> sind eine größere Herausforderung! Die blinden Eltern bleiben gelassen. | |
Bild: Mit Knete kann man viel machen: Die Berliner Künstlerin Linda Jakobsen f… | |
Soll die Meerjungfrau da auf dem Tisch sein?“ fragt unser Besuch. Ich fasse | |
hin und stelle erleichtert fest, dass es sich wieder mal nur um einen | |
Sticker handelt. „Kommt darauf an, wen im Haus du fragst“, sage ich und | |
reiße ihn ab. | |
Meine Tochter mag Aufkleber und schöne bunte Farben – auch an Wänden und | |
Möbelstücken. Sie ist eine Künstlerin genau wie ihre Altersgenoss*innen. | |
Nur hat sie das Glück, dass ihre Kunst länger Bestand hat, weil wir sie | |
oftmals nicht sofort entdecken. Sticker sind immerhin tastbar, | |
vorausgesetzt man fasst zufällig an die richtige Stelle – | |
Buntstiftschmierereien auf dem Küchenboden sind eine größere | |
Herausforderung! | |
Sehender Besuch reagiert oft mit betretenem Schweigen: Soll man den armen | |
blinden Eltern sagen, dass sie da was übersehen haben? Irgendwie | |
unangenehm, auf jemandes Unvermögen aufmerksam zu machen … Und wir selbst? | |
Ja, wir empfinden einen gewissen Kontrollverlust angesichts der heimlichen | |
Verschönerung der Wohnräume – und ein gutes Gefühl ist Kontrollverlust | |
bekanntlich nie. | |
Was kann man da also machen? Gegen die Kunst wenig. Das ist mit Blick auf | |
die kindgerechte Entwicklung auch gut so. Gegen das Gefühl des | |
Kontrollverlusts hilft nur, sich zu vergegenwärtigen, was passiert, wenn | |
man so ein Glitzerpony auf den Möbeln kleben hat: Nichts! | |
## Glubbern und hüpfen | |
Anders ist das allerdings mit [1][Knete] – die tritt sich nicht nur | |
wunderbar im Teppich fest, sondern ziert auch jedes Hosenbein. Mein | |
schlimmster Feind ist „intelligente Knete“, die ganz besondere Fähigkeiten | |
besitzt: Sie kann zum Beispiel hüpfen wie ein Flummi, verwandelt sich in | |
eine Endlosspaghetti, wenn man an ihr zieht – und heftet sich zuverlässig | |
an alle Textilien mit rauer Oberfläche. Legt man sie als wohlgeformte Kugel | |
auf dem Regal ab, glubbert sie im nächsten Moment als neonrote Qualle über | |
danebenliegende Schriftstücke, um von da die Herrschaft über die Wohnung an | |
sich zu reißen. | |
Ist mein Hab und Gut derart gefährdet, hört mein Kunstverständnis auf und | |
die Kindererziehung fängt an. Knete darf nur noch unter Aufsicht am Tisch | |
benutzt und muss selbst ordentlich aufgeräumt werden – denn wenn die blinde | |
Mama das macht, landen all die bunten Klümpchen einfach in einem Topf. | |
Langfristig entsteht so ein unansehnliches Grau, wie das arme Kind | |
schmerzlich erfahren musste. | |
Mittlerweile ist meine Tochter sowieso alt genug, um mit uns über das | |
Kunstproblem zu diskutieren, die aufgestellten Regeln – mehr oder minder | |
strikt – zu befolgen und uns eigenständig darüber zu informieren, wenn sie | |
sich oder andere(s) angemalt hat. Wenn wir Glück haben, schafft sich dieses | |
Problem also bald automatisch ab und die Kunstausübung wird sich | |
altersentsprechend in einem zivilisierten Rahmen abspielen. Und wenn nicht? | |
Dann werden wir noch ein bisschen weiter Glitzersticker auf dem Tisch und | |
Knete unter der Socke haben. Ein bisschen Kontrollverlust gehört wohl zum | |
Leben dazu – wie die Kunst auch! | |
23 Dec 2018 | |
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## AUTOREN | |
Hannah Reuter | |
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