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# taz.de -- Kolumne Blind mit Kind: Glitzer als Kompromiss
> Morgens ist das Gequengel groß, denn die Tochter hat klare Vorstellungen
> von ihrem Outfit: viel rosa – nicht gerade der Geschmack der Mutter.
Bild: Auch ein Kind kann schon eine Diva sein
Das Drama nahm seinen Lauf, als meine Tochter zwei wurde: „Lieber ein
Kleid!“, „lieber rosa!“, „lieber mit Minnie Maus!“ Seither stehe ich …
einer ganz normalen Stoffjeans oder einem unifarbenen Pulli in der Hand –
allmorgendlich schön blöd da.
Woher hat sie das bloß? Ich mag es eher sportlich-schlicht, vielleicht ein
bisschen elegant. Klare Farben, dezente Muster … Typische Mädchenfarben und
riesige Applikationen kann ich nicht leiden – mehrminütige Quengeltiraden
aber auch nicht. Und dann ist da auch noch mein Gewissen, das mir vorgibt,
nicht meinen eigenen Kleidungsstil auf meine Tochter zu projizieren.
Wenn sie eine klosettfarbene Prinzessin sein möchte wie ihre
Kita-Freundinnen, darf ich sie doch nicht ausschließen! Die Modeindustrie
gibt es ja vor: Egal welchen Laden man betritt – hier rosa-lila
Glitzerfeen, da blaugraue Bagger oder Superhelden … [1][hallo
Geschlechterrollen!] Aber das ist nicht das Thema.
Das Thema ist, dass ich diese Outfits zusammenstellen muss, ohne dass ich
mir ein Bild davon machen kann. Dafür habe ich ein Farberkennungsgerät.
Das tickt nach seinem eigenen Farbspektrum. Rosa und Pink sind auf
Knopfdruck „rot-violett“. So weiß ich wenigstens, dass ich auf der
richtigen Spur bin. „Farben sind verschieden“, verkündet es bei Betätigung
des zweiten Knöpfchens, wenn ich verzweifelt versuche, aus dem Wust
fröhlich bunter Einzelstücke in der Sockenkiste ein passendes Paar
zusammenzustellen.
## Ich leide an Kontrollverlust
Bei Mustern steigt das hilfsbereite Gerät aber sowohl farb- als auch
formtechnisch aus, und eine detaillierte Personenbeschreibung von Disneys
Eiskönigin Elsa kann es mir auch nicht liefern. Das kriegen oft nicht mal
die Verkäuferinnen hin, die ich eingehend über Lagerung und Ausmaß der
Applikationen auf den Kleidungsstücken befrage. [2][Das ein oder andere
Einhorn] ist mir so bestimmt schon durch die Lappen gegangen.
Warum das Ganze schlimm ist? Wenn sie das so möchte, lass sie doch ihren
„Style“ selbst auswählen, egal wie krude die Zusammenstellung wird – die…
Theorie ist gut. In der Praxis leide ich an Kontrollverlust: Ich kann sie
nicht einschätzen, diese Minnie-Mäuse und Kitty-Katzen! Sind sie gut
gezeichnet? Zu groß? Zu bunt? Passen sie zur Grundfarbe des
Kleidungsstücks?
Vielleicht wäre auch das egal, aber da ist noch die Sache mit der
Außenwirkung. Wenn das Kind einer blinden Mutter völlig unpassende Muster
und schreiende Farben miteinander kombiniert, heißt es sofort: „Die arme
Mama kann das ja nicht sehen!“ Das stimmt, aber diese Unterstellung
beleidigt meinen Sinn für Ästhetik ganz ungemein.
Unser Kompromiss besteht in ganz viel Glitzer. Denn auch ein einfarbig
grüner Pulli wird tolerabel, wenn der Unterfaden ordentlich schimmert. Muss
es am nächsten Tag doch mal wieder eine Minnie Maus sein – Augen zu und
durch. Immerhin muss ich ja meine Augen nicht mal schließen, um mich dem
Anblick zu entziehen!
10 Nov 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Hannah Reuter
## TAGS
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