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# taz.de -- Hajo Schumacher über Geschlechterrollen: „Wir sind keine Gegente…
> Schlüpfrige Sprüche gehören für den Journalisten Hajo Schumacher der
> Vergangenheit an. Denn eine Beziehungskrise machte ihn zum Feministen.
Bild: „Für toxisch halte ich die Polarisierung der Geschlechter: stark, schw…
taz: Herr Schumacher, bisher kennen wir Sie als politischen Journalisten
und [1][Kolumnen schreibenden] Marathonläufer. In Ihrem Buch „Männerspagat�…
wollen Sie nun Frieden zwischen den Geschlechtern stiften und
„Feministinnen lieben lernen“. Sind Sie plötzlich Feminist geworden?
Hajo Schumacher: Nach Erscheinen des Buches sagte ein nicht ganz
unbekannter Fernsehmoderator: „Mann, Schumacher, jetzt hast du auch
kapituliert vor den Weibern.“ Als befänden wir uns im Krieg. Ich würde so
sagen: Mein Verständnis für einen gemäßigten liberalen Feminismus ist sehr
viel größer geworden, auch wenn’s etwas gedauert hat. Wer heute noch
witzelt, weil jemand „Studierende“ sagt, ist eher peinlich.
Was war der Auslöser für Ihre Bekehrung?
Eine veritable Beziehungskrise. Meine Frau und ich stellten fest, dass wir
unbewusst die klassischen Rollen unserer Eltern nachspielten, nachdem die
Kinder da waren. Ich kam abends erschöpft nach Hause, und Mutti lag auf dem
Sofa. Ich fühlte mich über-, sie sich unterfordert, bei beiden wuchs Unmut.
Eine Situation, die vielen bekannt sein dürfte.
Wir haben uns gefragt: Warum machen wir das so, und wie können wir es
ändern? Das führte dazu, dass meine Frau mit Mitte 40 noch mal zu studieren
begonnen hat. Und ich habe beruflich radikal reduziert. Sie hat erfahren,
dass die „Selbstverwirklichung“ da draußen auch nicht die reine Freude ist;
ich verzweifelte an Mittelohrentzündungen und vergessenen Turnbeuteln. Ein
paar Minuten Rollentausch und Perspektivwechsel schaffen mehr Verständnis
als jahrelange Streitereien.
Viele Männer wollen beruflich nicht kürzertreten, sie wollen aufsteigen.
Wollte ich auch mal. Mit Mitte 30 wurde ich ja Co-Chefredakteur der Max:
Mission Millionenauflage, 80-Stunden-Woche, alles total wichtig. Nach zwei
Jahren war ich gescheitert und stand beim Arbeitsamt auf der Matte. Der
Bekanntenkreis reduzierte sich erheblich, und ich hatte Zeit, über meine
wahren Antriebe zu sinnieren. Erste Erkenntnis: Dieses Chefdings war nicht
meins. Meine Frau sagte: Komm bloß nicht mit dem nächsten Führungsjob an.
Wenn man den eigenen Helden- und Karrierefimmel infrage stellt, wankt
plötzlich auch das Rollenbild, weil nicht mehr viel übrig bleibt vom
klassischen männlichen Selbst.
Weil man nicht mehr der Größte und Stärkste sein muss?
Und weil ich kapiert habe, dass das „Gedöns“, wie Gerhard Schröder mal
sagte, für mich extrem wichtig ist. Work-Life-Fun-Gender-Balance bedeutet
für mich nicht Luxus, sondern gelingendes Leben.
In dem Wort Gedöns steckt ja die gesamte gesellschaftliche Abwertung der
Weiblichkeit. Das sind die Schwachen, wir sind die Starken.
Das hat meine Babyboomergeneration so in den Knochen. Abwerten bedeutete
für mich zugleich das unerwachsene Aufwerten einer unsicheren Männerseele.
Zu Chefzeiten habe ich manchmal schlüpfrige Sprüche gemacht. Bis mir eine
ältere Kollegin nett, aber klar sagte, wie so etwas, vor allem in einer
Hierarchie, auf jüngere Kolleginnen und auch Kollegen wirkt. Inzwischen
weiß ich: Solche Witze sind Teil alltäglicher Erfahrungen mit
Übergriffigkeiten, die viel mit Machtdemonstration zu tun haben.
Sie haben die Selbstaufwertung des Mannes durch Leistung im Buch
„Heldenfimmel“ genannt. Ihren eigenen Heldenfimmel haben Sie dann aufs
Laufen verlagert?
Ja, der Heldenfimmel für Arme. Man braucht nur den Willen, sich drei
Stunden allein im Wald zu quälen, und schon ist man ein ganzer Kerl. Wer
das nicht schafft, kann immer noch Experte werden und sich in Gin-Tastings
oder Fußball fliehen: „Der hat Ahnung“, lautet das größte Männerkomplim…
Die Übersetzung: Der treibt einer immensen Aufwand, um sich nicht mit
seinen seelischen Schmerzen zu befassen.
Sie haben es mit dem Laufexpertentum ziemlich weit getrieben. Als „Achim
Achilles“ haben Sie Bestseller geschrieben, eine große Social-Media-Figur
geschaffen …
… und steckte gleich wieder in der Leistungsfalle. Deswegen hechele ich
heute nicht mehr hinter Bestzeiten her. Ich laufe noch, aber die Pulsuhr
habe ich vor drei Jahren weggeworfen. Die Pulsuhr ist das, was das Laufen
vermännlicht: Leistung messen und aus Zahlen Selbstwert ableiten.
Sich davon zu verabschieden, stelle ich mir nicht ganz leicht vor.
Weil plötzlich die Ablenkung durch Nebensächlichkeiten fehlt und die
Sinnfrage auftaucht: Wofür der Quatsch? Ich fand heraus, dass es mir beim
Laufen gar nicht um Gesundheit ging, sondern um Anerkennung von anderen.
Ein klassisches Leben im Außen, um eigene oder andere Erwartungen zu
erfüllen.
Bleibt die Frage, wie man Anerkennung bekommt, ohne 42 Kilometer zu laufen.
Die Killerfrage stammt vom Philosophen Frithjof Bergmann: Was will ich
wirklich wirklich? Konsumkrempel jedenfalls nicht. Unsere Beziehung ist
wieder in Gang gekommen über die wunderbare alte Kulturtechnik des
Miteinander-Redens, um Bedürfnisse zu ermitteln. Es hat eine Weile
gedauert, bis ich sagen konnte: Wie gern würde ich in deinem Arm liegen und
deinem Herzschlag lauschen. Passt leider nicht zum einsamen Helden. Es hat
mich Überwindung gekostet, diese Bedürfnisse nicht totzudröhnen mit
Netflix, Rotwein oder Marathon, sondern sie zuzulassen, ohne mich sofort
weicheiig zu fühlen.
Unser Beruf fördert das Schwächezeigen ja auch nicht gerade, oder?
Ich habe viele Politikerporträts geschrieben, und die galten als gut, wenn
beißender Sarkasmus drin war. Irgendwann schaut man mit diesem ätzenden
Blick auch auf sich selbst. Ich brauchte ein regelrechtes Medien-Detox, um
diesen inneren Meckerer in Schach zu halten und Frieden zu finden auch mit
anderen Männern.
Wieso gerade mit Männern?
Ich bin mit dem Bild vom Pavianfelsen sozialisiert worden. Der Lauteste und
Gerissenste sitzt oben, zeigt allen seinen roten Arsch und verjagt jeden,
der auch nach oben will – Mannsein als permanenter Rangkampf. Man kommt in
einen Raum und checkt zuerst die anderen Kerle: Wen kann ich vergessen –
Fußvolk –, und wen hasse ich sofort, weil ich das Gefühl habe, er steht
über mir? Trump total. Sofort geht das Gepose los, meist im Expertenmodus:
Meine Zweikreislaufkaffeemaschine ist besser als deine. Erst wenn ich den
Felsen verlasse, kann ich andere Männer als – Achtung, Pathos – Brüder
wahrnehmen. Betrachte ich aber Männer nicht mehr als Rivalen, verlieren
Frauen automatisch diesen Beutestatus.
Wie war es denn vor diesem Frieden mit den Frauen?
Eher islamistisch: Heilige oder Hure. Was in Partnerschaften oft zu dieser
tiefen Hassliebe führt mit ihren Piksereien.
Es ging um „Fuckability“. Genau das, was Frauen Männern immer vorwerfen?
Ist Frauen total fremd, diese Kategorisierung, schon klar. Für toxisch
halte ich die Polarisierung der Geschlechter: stark, schwach, hart, weich.
Wir sind aber keine Gegenteile, sondern Variationen der Gattung Mensch.
Wenn wir die männlichen und weiblichen Anteile wie einen Schieberegler
betrachten, der nie dauerhaft einrastet, würden wir die Realität eher
treffen. Der Kampfmodus verschwände. Es tut mir leid, dass das jetzt klingt
wie Dr. Hirschhausens kleine Lebensberatung.
Auf jeden Fall ungewöhnliche Äußerungen für einen politischen Journalisten.
Aber womöglich hilfreich, um in der Berichterstattung diese binäre Logik
von gewinnen/verlieren zu überwinden, die nur den extremen Schreihälsen
nützt. Wir berichten ausdauernd, wer für oder gegen welches Gesetz ist,
aber viel zu selten, warum. Wenn aber die Zwischentöne wegfallen, wird das
zentrale Instrument der liberalen Demokratie, der Kompromiss, nachhaltig
diskreditiert.
Eine etwas unübersichtliche Situation: Der Politikjournalist Hajo
Schumacher wird zum Lebensberatungshippie – und auf der anderen Seite
wünscht sich die Hälfte der CDU noch immer den Macker Merz mit
Privatflugzeug.
Nee, ich glaube, der Gegensatz in der Union ist ein anderer. Auf der einen
Seite steht mit Merz ein eindimensionaler Steueroptimierer, der zwanzig
Jahre lang offenbar jegliches innere Wachstum verweigert hat. Auf der
anderen Seite gibt es zwei interessante Hybride, nämlich den
erzkonservativen Schwulen Spahn, der das Berghain nicht für einen
Alpengasthof hält, sowie eine knallharte Machtmutter aus der saarländischen
Provinz, die, hoffentlich, den Trumps, Seehofers und Orbáns charmant den
Stinkefinger zeigen wird. Wenn selbst führende Konservative vielfältiger
werden, ist die liberale Demokratie nicht verloren.
Die Zahl der liberalen Demokratien nimmt gerade deutlich ab.
Ja, wir erleben eine epische Schlacht zwischen toxischer Ego-Logik und
kollektiver Nachhaltigkeitsintelligenz. Da müssen wir durch, nicht Männer
gegen Frauen, sondern die Guten gemeinsam gegen den Rest.
4 Jan 2019
## LINKS
[1] https://www.morgenpost.de/kolumne/schumacher/
## AUTOREN
Heide Oestreich
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