| # taz.de -- Bremer Trickfilmerin Jule Körperich: Kackekringel aus Ton | |
| > Die Bremerin Jule Körperich macht altmodische Animationsfilme über | |
| > Polizeigewalt und Wohngemeinschaften – und ist eigentlich Anwältin. | |
| Bild: Beste Freunde? Mann und Hund im Kurzfilm „Ein Haufen Glück“ | |
| Bremen taz | Gilt Inspiration gern als Mysterium, sind die Quellen | |
| künstlerischen Schaffens im Fall von [1][Jule Körperich] geradezu | |
| offensichtlich: So wurde die Bremer Videokünstlerin vor zwei Jahren Mutter | |
| – und nun spielen Ausscheidungen eine zentrale Rolle in ihrem Leben. | |
| Babykacke, Pisse, Pupser und Kotze haben ihren Horizont sogar erweitert: | |
| Als Körperichs Partner und Vater der kleinen Luzie, [2][der Musiker Gregor | |
| Hennig], an einem Album mit „Kackliedern“ zu arbeiten begann, Pardon: roch | |
| sie ein Thema für ihren nächsten Film. „Ein Haufen Glück“ nun basiert auf | |
| einem von Hennigs Liedern und handelt von einem Hund, der gern ein neues | |
| Herrchen hätte. Einen älteren Herrn versucht er aber ausgerechnet dadurch | |
| für sich zu gewinnen, dass er täglich einen Haufen vor dessen Wohnungstür | |
| hinterlässt. | |
| Eine wuschelige Promenadenmischung, ein traurig blickender alter Mann und | |
| viele Hundehaufen sind die Hauptdarsteller in dem Kurzfilm – und wer nett | |
| ist zu Jule Körperich, der bekommt einen der vielen winzigen Kackkringel, | |
| die sie aus Ton geformt und bemalt hat, in Plastik verpackt geschenkt. „Ein | |
| Tütchen Shit“, sagt sie dazu. | |
| Körperich macht Animationsfilme, und zwar schön altmodisch mit kleinen | |
| Puppen, winzigen Kulissen und im Stop-Motion-Verfahren. Das bedeutet viel | |
| Arbeit, allein, zu Hause – Corona war also hierbei nicht hinderlich, eher | |
| im Gegenteil. Ohne die Pandemie hätte Körperich wohl kaum in einem halben | |
| Jahr diesen zehn Minuten langen Film animieren können. Nun ist er fertig, | |
| muss nur noch vertont werden und wird dann ab Mai bei Festivals eingereicht | |
| – da wird es dann allerdings wegen Corona wieder schwieriger. | |
| ## Als Anwältin „nicht glücklich, nur reich“ | |
| Von Videokunst kann man nicht leben, Körperichs interessanter Lebensentwurf | |
| sichert ihr sowohl künstlerische Freiheit wie auch ein ausreichendes | |
| Einkommen: Sie ist Juristin, war bis vor Kurzem in einer angesehenen Bremer | |
| Anwaltssozietät auf Teilzeitbasis angestellt; inzwischen hat sie sich als | |
| Anwältin selbstständig gemacht. In Bremen steht sie damit in einer guten | |
| Tradition: Auch der renommierte linke Anwalt [3][Heinrich Hannover] wurde | |
| als Autor von Kinderbüchern berühmt. | |
| Jule Körperich wurde nach dem Jurastudium Anwältin, merkte aber bald, dass | |
| sie so „nicht glücklich, sondern nur reich“ werden könnte. Als über | |
| 30-Jährige kündigte sie also einen gut bezahlten Job und begann an der | |
| [4][Bremer Hochschule für Künste] zu studieren. Dort bastelte sie eine | |
| Reihe von wilden Videoarbeiten zusammen. [5][Ihr erster Film] hatte 2010 | |
| den immer noch – oder wieder – provokanten Titel „ACAB“. Darin wird ein | |
| VW-Bully nach einer wilden Verfolgungsjagd von den damals als „Wannen“ | |
| bekannten Polizeibussen im Knast, einem Vogelkäfig, unter Drogen gesetzt | |
| und vergewaltigt. Es folgte [6][„Plan B für Block A“]: Die Polizei muss bei | |
| einer Anti-Atomkraft-Demo ihre Wasserwerfer statt auf die | |
| Demonstrant*innen auf den Atomreaktor richten – der nämlich gerade | |
| explodiert ist. | |
| Damals traf Jule Körperich auf den Kameramann und Filmeditor Markus | |
| Wustmann, mit dem sie auch heute noch zusammenarbeitet. In ihrem Atelier | |
| findet sich aber keine einzige Kamera, kein Schnittplatz und nicht mal ein | |
| Mikrofon – dafür umso mehr Puppen, Requisiten und Guckkastenbühnen. | |
| ## Talent für kleine Erzählkosmen | |
| Körperichs Talent ist das Entwerfen von – und Basteln an – kleinen | |
| Erzählkosmen. Das Schreiben eines Drehbuchs ist nicht ihre Stärke – und so | |
| hat „Ein Haufen Glück“ deutliche Längen. Bei ihrem bisher größten Proje… | |
| dem knapp vier Minuten langen „Cohabit“, hat sie aus dieser Schwäche das | |
| Konzept für [7][ein Filmexperiment] gemacht: Geplant hatte sie einen Film | |
| mit dem Titel „Madame Nimm“, in dem Körperich ihre traumatischen | |
| Erfahrungen in einer Bremer WG verarbeiten wollte, die durch eine | |
| Mitbewohnerin gesprengt wurde. Dafür baute sie eine winzige Version der | |
| Wohnung nach, die durch Körperichs liebevolle Detailtreue begeistert. So | |
| liegen auch wenige Zentimeter große taz-Ausgaben auf dem Wohnzimmertisch | |
| und auf dem Klo. | |
| Aber die Geschichte von der bösen Mitbewohnerin, der die ehemaligen | |
| WG-Genoss*innen die Stimme gaben, funktionierte nicht; aus Rache lässt sich | |
| vielleicht nur selten gute Kunst machen. So veröffentlichte Körperich | |
| „Cohabit“ dann online ohne Tonspur – und lud Künstler*innen dazu ein, | |
| sich den Film anzueignen durch eine eigene Vertonung. Das Ergebnis sind 17 | |
| verschiedene Versionen des Films, abgeliefert von Musiker*innen, | |
| Klangkünstler*innen, Pädagog*innen und Improvisator*innen, die 2015 im | |
| Bremer Kunstmuseum Weserburg [8][ausgestellt] und dann auf einer DVD | |
| veröffentlicht wurden. | |
| Kurios ist, dass sich dabei die beiden Professionen von Jule Körperich | |
| sozusagen in die Quere kamen: Eine reine Künstlerin wäre vielleicht nicht | |
| auf die Idee gekommen, dass die Rechteverwertungsgesellschaft Gema etwas | |
| mit solchen Vertonungen zu tun haben könnte. Doch als Anwältin wollte sie | |
| die Sache rechtlich wasserdicht machen, meldete ihr Projekt also bei der | |
| Gema an – und bekam prompt Schwierigkeiten, denn sie hatte einen | |
| Präzedenzfall geschaffen. | |
| Diese erst mal ärgerlichen Erfahrungen – neben vielen Stunden Arbeit musste | |
| sie am Ende auch noch 190 Euro aufbringen – zahlten sich auf lange Sicht | |
| aus, könnte man sagen: So hat Jule Körperich ihre Nische gefunden. | |
| Inzwischen arbeitet sie selbstständig als Anwältin für Copyright- und | |
| Medienrecht. Und hat etwa einen Fall bearbeitet, in dem es darum ging. Darf | |
| man Filmaufnahmen veröffentlichen, wenn darauf ein Mensch erkennbar ist, | |
| der während des ersten Lockdowns Klopapier hortete? So schließt sich der | |
| Kreis: schon wieder Körperfunktionen und ihre Folgen. | |
| 8 May 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Erinnerung-an-Brechmittel-Opfer/!5024684 | |
| [2] http://www.grgr.de/ | |
| [3] /Das-NS-Erbe-im-Strafrecht/!5068925 | |
| [4] https://www.hfk2020.de/ | |
| [5] https://vimeo.com/27972346 | |
| [6] https://vimeo.com/28883924 | |
| [7] https://vimeo.com/246004915 | |
| [8] https://weserburg.de/ausstellung/auf-anderen-gruenden/ | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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