# taz.de -- Filmporträt über Martina Werner: Von der Kunst des Eigensinns | |
> Annäherung an eine Ausnahmekünstlerin: „Mama isst den Tod – Porträt | |
> Martina Werner“ von der Bremer Filmemacherin Monika B. Beyer. | |
Bild: Setzte sich durch in einer von Männern dominierten Szene: Martina Werner | |
BREMEN taz | Das „Tok Tik – Tik Tok Tik“ hatte Martina Werner am eigenen | |
Küchentisch programmiert, auf einem Spielzeug-Keyboard. Aber es war | |
natürlich abgekupfert von [1][„Da Da Da“, dem Hit der Band Trio]. Doch die | |
Künstlerin machte sich einen eigenen Reim darauf, trug ein eigenes Gedicht | |
vor, das mit der Zeile „Wir können allein von Lyrik nicht leben“ anfängt; | |
und das in einem unbeholfen wirkenden Sprechgesang, so wie 1981 bei Trio | |
Stephan Remmler. | |
Mit diesem kurzen, bisher unveröffentlichten Tondokument beginnt Monika B. | |
Beyers [2][„Mama isst den Tod“]. Und sie bringt damit viele Aspekte des | |
Lebens und des Werks der da Porträtierten auf den Punkt: Martina Werner | |
(1929–2018) begann als Poetin und wurde immerhin bei Suhrkamp verlegt; dann | |
erst wechselte sie zur bildenden Kunst. | |
Vor allem aber konnte die Kölnerin aus allem, was ihr in die Finger kam, | |
eigene Kunst machen: So schildert ein Kollege, wie sie Reste seiner | |
Arbeiten in eigene integrierte. Auch vermischte sie gern die Gattungen, war | |
gleichzeitig Schriftstellerin, Malerin, Objektkünstlerin und Performance | |
Artist. | |
1929 geboren und 2018 gestorben, war sie ein Kriegskind, erlebte 14-jährig | |
die Bombardierungen ihrer Heimatstadt Köln. Diese traumatischen Erfahrungen | |
prägten sie und ihr Werk. So erklärt sich der Titel „Mama isst den Tod“: | |
ein Auszug aus dem Text „Monogramme“, den im Film nun Martina Werners | |
Tochter Andrea rezitiert; zusammen traten beide in den 1980er-Jahren auch | |
in Performances auf. | |
## Eine „Fiktive Ethnologie“ erschaffen | |
Hinterlassen hat Werner ein Werk, so vielschichtig und komplex, dass es in | |
einem 87 Minuten langen Film kaum zu erfassen ist. Vieles fällt dann auch | |
bei Beyer unter den Tisch. 150 Stunden Bildmaterial hatte Beyer bei ihren | |
Recherchen angesammelt, aus denen sie viele, gänzlich andere Filme hätte | |
montieren können, sagt die [3][Bremer Filmemacherin] selbst. | |
Viele Jahre lang arbeitete Martina Werner an dem [4][Gesamtkunstwerk „Señor | |
Mendoza und der C-Stamm“]. Dabei war sie ihrer Zeit voraus: Hier behandelte | |
sie Themen wie kulturelle Aneignung, den postkolonialen Blick und die | |
ideologische Basis jeglicher „Völkerkunde“, die erst heute im | |
gesellschaftlichen Diskurs angekommen sind. Eine „fiktive Ethnologie“ schuf | |
Werner da: Señor Mendoza erforscht den – ebenfalls frei erfundenen – | |
C-Stamm. | |
Als Forschungsobjekte präsentierte Werner eigene Entwürfe für Grabmäler und | |
Kultstätten, schuf also gleich noch eine Art selbst imaginierter | |
Mythologie, in der sie fantasievoll Wissenschaft, Literatur und bildende | |
Kunst vermischte. Die erste „Mendoza“-Ausstellung richtete sie 1981 in | |
Stade aus, 2000 gründete sie dann in Worpswede die „Mendoza Gesellschaft e. | |
V.“, und im Jahr darauf eröffnete sie das Mendoza-Museum in Otterndorf. | |
Warum diese Kunstfigur in Werners Werk solch eine zentrale Stelle einnahm? | |
Das kann Beyers Porträt nun nicht recht verdeutlichen: Das Projekt handelt | |
der Film eher im Schweinsgalopp ab. So weckt er Neugierde – liefert aber zu | |
wenig, um sie auch zu befriedigen. | |
Das ist aber in gewisser Weise verständlich: Beyer will ja zeigen, wie | |
vielseitig und originell Werners Œuvre ist, und so geht sie eher in die | |
Breite als in die Tiefe. Etwa drei Viertel des Films besteht aus dem aus | |
vielen Quellen angesammelten Material. Der Rest sind Aussagen von | |
Zeitzeug*innen, darunter Martina Werners Schwester, ihre schon erwähnte | |
Tochter und allerlei Künstlerkolleg*innen; davon gehören etliche der | |
Bremer Gruppe Grün an, in der sie eine künstlerische Heimat gefunden hatte | |
– als erste und lange auch einzige Frau. | |
So erinnert sich Marikke Heinz-Hoek an eine „Alibifrau, die dann so gut | |
war, dass sie alle anderen in den Sack stecken konnte“. Werner damaliger | |
Kollege Bodo Kraft dagegen hält es eher für erwähnenswert, dass sie auch | |
eine „gute Köchin“ gewesen sei. | |
Den Film durchzieht ein feministischer Subtext. So berücksichtigt Beyer in | |
Interviewsequenzen mehr Frauen als Männer. Immer wieder thematisiert sie | |
auch, wie ungewöhnlich es war, dass Martina Werner sich als Frau in der von | |
Männern dominierten Kunstszene durchsetzen konnte. | |
Das begann schon mit ihrem Namen: geboren wurde sie als Marie Elfie | |
Martini. Als [5][Hans Magnus Enzensberger 1965 im „Kursbuch“] erstmals | |
einige ihrer Gedichte veröffentlichen wollte, verlangte er, dass sie sich | |
einen männlichen Künstlernamen suchte – dass aus Martin Martina wurde, | |
setzte sie dann aber doch durch. | |
Gemälde, Objekte und Installationen sind für das Kino nicht sehr attraktiv. | |
So erklärt sich, dass Beyers Film die vielen Ausstellungen jeweils mit nur | |
wenigen Bildern abhandelt. Umso mehr Zeit nimmt sie sich aber für Werners | |
eher unbekannte Performances: | |
Zusammen mit dem Schlagzeuger Claus van Bebbel trug sie ihre eigene Poesie | |
in rhythmischen, extrem stilisierten Gesängen vor, so kantig und provokant, | |
dass sie eine ganz eigene Faszination entfalten. Auch hier ist Martina | |
Werner ganz einmalig in ihrem Eigensinn – und der Film fängt dieses | |
Schimmern ein. | |
11 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /100-Jahre-Dada/!5271771 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=V76X4v8cklQ | |
[3] https://www.netzgeflecht.de/index.php/infos/news | |
[4] /!790283/ | |
[5] /Hans-Magnus-Enzensberger-wird-90/!5639882 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
## TAGS | |
Bremen | |
Künstlerin | |
Dokumentarfilm | |
Performance | |
Suhrkamp Verlag | |
Bremen | |
Netzkultur | |
Moderne Kunst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bremer Trickfilmerin Jule Körperich: Kackekringel aus Ton | |
Die Bremerin Jule Körperich macht altmodische Animationsfilme über | |
Polizeigewalt und Wohngemeinschaften – und ist eigentlich Anwältin. | |
Bremer Filmfest startet online: Lieber geschrumpft als verschoben | |
Das Bremer Filmfest zeigt ab Mittwoch 250 Filme im Netz, darunter 74 | |
Deutschlandpremieren. Filmeinführungen und Diskussionen werden gestreamt. | |
Feministische Ausstellung in Hannover: Die Kunst, sich schlecht zu benehmen | |
Die Guerrilla Girls kritisieren seit mehreren Jahrzehnten die | |
Marginalisierung von Frauen und „artists of color“ im Kunstbetrieb. |