# taz.de -- Ausstellung von Ull Hohn: Landschaften voll Schönheit und voll Qual | |
> Die Referenzen ziehen sich quer durch die Kunstgeschichte. Das Haus am | |
> Waldsee zeigt eine Retrospektive des früh verstorbenen Malers Ull Hohn. | |
Bild: Keine Leinwand, sondern eine bemalte Holzbox: Ull Hohn, „Untitled“, 1… | |
Hinter satten Farbschichten verschwimmt die Landschaft. Links im Bild ragen | |
breite Douglasien in den Himmel, im Hintergrund türmt sich Gebirge oder | |
Vulkan, aus dem schlierigen Nebel schiebt sich ein Schiff. Unweigerlich | |
denkt man an wegsuppende Analogfotos in alten Familienalben, an William | |
Turners Seeschlachten voll surreal brennender Himmel, an Andres Serranos | |
„Piss Christ“, Sally Manns verschwommene Landschaftsaufnahmen der | |
amerikanischen Südstaaten, an die pittoresk-spießige Romantik der Hudson | |
River School und manche – und das ist wohl die langweiligste Referenz –, ja | |
manche denken auch an [1][Bob Ross, den lustigen Fernsehmaler], der | |
jahrzehntelang voller Ruhe die immer gleiche verkitschte Landschaft auf die | |
Leinwand spachtelte und dessen Stil der Künstler Ull Hohn teils ganz ohne | |
Verfremdung hingebungsvoll kopiert – und so gängige Hierarchisierungen des | |
Kunstbetriebs und der medialen Verbreitung hinterfragt. | |
Zu sehen sind die Arbeiten in der eher nüchtern betitelten schmalen | |
Retrospektive „Revisions“ des Malers im Zehlendorfer Haus am Waldsee, die | |
sich nahtlos in das poetisch-deviante Programm einfügt, [2][welches Anna | |
Gritz seit ihrem Antritt als Direktorin im Sommer 2022 dort etabliert]. | |
Der 1960 in Trier geborene Ull Hohn, von dem einige Arbeiten schon vor zwei | |
Jahren in der Ausstellung Bruno Pélassys im Haus am Waldsee hingen, | |
studiert Malerei in Berlin und in Düsseldorf bei Gerhard Richter, bevor er | |
1986 für eine Teilnahme am Whitney Independent Study Programm nach New York | |
zieht. | |
Es ist die Zeit, in der die Malerei am Ende scheint, in der Amerika von | |
Kulturkämpfen und der [3][Aids-Epidemie] zerrüttet wird. Hohn malt sich | |
durch die Genres und die Kunstgeschichte, von figürlich-konkret bis | |
abstrakt, dabei stets konzeptionell. | |
Früher Tod mit 35 Jahren | |
Steht man vor dem verschwommenen Säugling im oberen Stockwerk des | |
Ausstellungshauses ist es unmöglich nicht an „Onkel Rudi“ und „Tante | |
Marianne“ aus dem Pinsel seines Lehrers Richter zu denken. Die Tragik des | |
erbarmungslosen Schicksals, sie beginnt in Hohns Werk mit der Geburt. Wie | |
Bruno Pelassy und viele seiner Zeitgenossen stirbt auch Ull Hohn viel zu | |
früh im Jahr 1995 mit nur 35 Jahren an den Folgen seiner HIV-Infektion. | |
Dreißig Jahre später wird ein Teil seines schmalen Werkes nun in Berlin, | |
der Stadt in der Hohn starb, gezeigt. Der Ausstellungstitel „Revisions“ | |
bezieht sich dabei auf den Titel seiner finalen Werkserie, für welche er im | |
letzten Jahr seines Lebens Arbeiten aus seiner Jugend erneut malte. | |
Daneben hängen Arbeiten aus seiner gesamten Schaffenszeit: Leinwände voll | |
schmantiger, monochromer Farbe, druckgrafisch anmutende Körperbilder, | |
verschwommene Masturbationsszenen und immer, immer wieder amerikanische | |
Landschaften. | |
Gelb wie stinkendes Schwefel | |
Ull Hohn taucht viele dieser malerischen Symbole der Spießigkeit, | |
betulicher Wohnzimmer und des getrockneten Bluts des amerikanischen | |
Kolonialismus ins Gelb. In ein verwesendes, chemisches, dickes Gelb, in | |
Pisse, Auswurf und stinkenden Schwefel. Hochglänzend versiegelt sitzen | |
diese Werke auf gezimmerten Sperrholzboxen statt Leinwänden und schieben | |
sich so in den Raum: Auch die Kiste ist selbstverständlich eine zutiefst | |
amerikanische Referenz, sanft grüßt sie den Meister des Minimal, Donald | |
Judd. | |
Lässt man sich auf diese gelben Arbeiten Hohns ein, entwickeln sie einen | |
Sog, so stark, man möchte sie anfassen, seinen Körper an sie pressen, die | |
Farben anlecken. Es ist die überaus drückende Dringlichkeit, die man | |
glaubt, in diesen Bildern spüren zu können, das Elend des Lebens und das | |
Elend des Sterbens. Die Schönheit und Qual von Körper, Sex und Intellekt | |
lungert in jeder Schicht dieser verschwommenen Landschaften. | |
Verstärkt wird dies in einem der Räume noch durch die Gegenüberstellung der | |
Arbeiten mit gleichformatigen abstrakten Werken, in denen sich braune | |
Wülste wie überlaufende Exkremente zwischen Holzleisten winden, so üppig | |
wie die Zitate und Bezüge in Hohns gesamten Werkkörper, der immer wieder | |
den Kanon beobachtet, erforscht, imitiert und erweitert – schlussendlich | |
auch mit den Revisionen seines eigenen Werks, welches er so am Ende seines | |
Lebens in ebenjenem manifestiert. | |
In einer Besprechung der posthumen Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien | |
schreibt der ebenfalls schon verstorbene Kritiker Peter Herbstreuth 1996 in | |
der Zeitschrift Kunstforum international folgende Worte: „Ein Künstler, | |
wenn er als solcher überleben will, wird durch sein Werk immer die Frage zu | |
beantworten haben, ob er seinen Ideen bis zum Ende gefolgt ist und daraus | |
etwas gemacht hat, was einen Sinn in sich selbst trägt und deshalb | |
different sich zu anderen behauptet.“ Ull Hohn hat überlebt – und wie. | |
3 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Hilka Dirks | |
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