# taz.de -- Rote Liste in Baden-Württemberg: Vorboten des Massensterbens | |
> Die neue Rote Liste für Wildbienen und Hummeln aus Baden-Württemberg | |
> zeigt: Vielen wird es zu warm. Forscher warnen vor unwiederbringlichen | |
> Verlusten. | |
Bild: Die Bestäubung durch Wildbienen wie diese Schwarze Holzbiene sind die Gr… | |
Berlin taz | Fast 500 Wildbienen- und Hummelarten gibt es in | |
Baden-Württemberg, „fast jede zweite Art ist in ihrem Bestand gefährdet“, | |
erklärt Ulrich Maurer, Präsident der dortigen Landesanstalt für Umwelt. Die | |
hat in dieser Woche ihre [1][neue „Rote Liste“ für Insekten veröffentlich… | |
und Alarm geschlagen. | |
„Der Anteil der vom Aussterben bedrohten Wildbienen-Arten hat sich fast | |
verdoppelt“, so Maurer – und zwar binnen der letzten 20 Jahre. | |
Schuld an dieser Entwicklung sind Menschen ganz direkt: Durch die | |
zunehmende Zersiedlung verlieren Wildbienen ihren Lebensraum. | |
Umweltchemikalien wie Pestizide vergiften sie oder Ackerpflanzen und | |
Kräuter, auf die sie sich spezialisiert haben. | |
Andererseits leiden Wildbienen und Hummeln indirekt unter dem Menschen: Der | |
Klimawandel macht ihr Überleben immer komplizierter. „Extreme Niederschläge | |
und Dürren führen dazu, dass die Nester bodenbrütender Arten überschwemmt | |
werden und benötigte Blüten verdorren“, erklärt Präsident Maurer. Für | |
manche Spezies wird es zudem schlichtweg zu warm. | |
## Viele Arten könnten für immer verschwinden | |
Ein kanadisch-britisches Forscherteam hatte in einer Langzeitstudie die | |
Entwicklung Dutzender Hummelarten in Europa und Nordamerika dokumentiert – | |
und festgestellt, [2][dass ihre Anzahl massiv und flächendeckend | |
zurückgegangen ist]. | |
Schuld seien längere und extremere Wärmeperioden, warnen die Biologen. | |
Hauptautor Peter Soroye von der Universität Ottawa: „Wenn der Rückgang in | |
diesem Tempo weitergeht, könnten viele dieser Arten innerhalb weniger | |
Jahrzehnte für immer verschwinden.“ | |
Hummeln sind als Bestäuber ähnlich wichtig wie Bienen. Weltweit werden fast | |
90 Prozent aller Blütenpflanzen von Insekten bestäubt, bei den Nutzpflanzen | |
immerhin 75 Prozent. Als „Ökosystemdienstleistung“ bezeichnet die | |
Wissenschaft diesen Aspekt des Insektenlebens, der ökonomische Nutzen der | |
Bestäubung wird weltweit auf 153 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. | |
In Deutschland sind noch etwa 40 Hummelarten heimisch, mittlerweile steht | |
fast die Hälfte auf der bundesdeutschen „Roten Liste“. Die Samthummel | |
beispielsweise wird in der neuen Liste Baden-Württembergs als | |
„ausgestorben“ registriert, Mooshummel, Sandhummel oder die Vierfarbige | |
Kuckuckshummel gelten nun als „vom Aussterben bedroht“. | |
Fehlen Hummeln und Bienen, ist das für Mensch wie Tierwelt ein | |
Riesenproblem. Ohne Bestäuber gibt es keine Samen, ohne die Früchte | |
undenkbar sind, von denen sich Singvögel oder Käfer ernähren, die wiederum | |
für andere Arten wichtige Beutetiere sind. | |
Ein Großteil der Obst- und Gemüsesorten weltweit hängt von Bestäubern ab, | |
gerade diese Früchte versorgen die Menschheit mit lebenswichtigen | |
Nährstoffen wie Vitaminen, Calcium und Folsäure. | |
## Der Vorbote Baden-Württemberg | |
Baden-Württemberg ist das Bundesland, in dem es das heißeste Klima in der | |
Bundesrepublik gibt, und in vielerlei Hinsicht Vorbote: Lebte hier in den | |
1980er Jahren eine kleine Population von Gottesanbeterinnen rund um den | |
Kaiserstuhl, so ist die ursprünglich aus Afrika stammende Fangschrecke | |
heute in Berlin-Schöneberg heimisch. | |
Erstmals fand man 2007 Eier der „Asiatischen Tigermücke“ auf dem Rastplatz | |
Rheinaue an der A 5, heute ist eine stabile Population rund um Jena | |
nachgewiesen. Konnten Zecken früher nur ganz im Süden Borreliose-Bakterien | |
oder FSME-Viren übertragen, so gilt wegen der gestiegenen Temperaturen seit | |
2019 auch das Emsland als Risikogebiet. | |
Einige wärmeliebende Arten können aus dem Süden zwar zu uns ziehen. Aber | |
nicht jede heimische Art kann nördlich wandern: Wildbienen sind | |
beispielsweise auf spezielle Pflanzen angewiesen, die es nördlicher nicht | |
gibt. | |
Wissenschaftler warnen, dass der Wildbienen- und Hummelschwund Vorbote | |
einer viel breiteren Aussterbewelle ist. Schon sehr bald [3][drohe ein | |
regelrechter Kollaps der biologischen Vielfalt], warnt ein Forscherteam um | |
Alex Pigot vom University College London. | |
## Viele Spezies kommen zeitgleich an ihr Limit | |
Für seine Studie hat es die Lebensbedingungen von mehr als 30.000 Meeres- | |
und Landarten sowie die Klimaverhältnisse von 1850 bis 2100 analysiert. | |
Ergebnis: In den vergangenen Jahrzehnten seien viele Spezies näher und | |
näher an ihre jeweilige Temperaturschwelle gerückt, hätten sich gerade noch | |
auf die neuen Verhältnisse einstellen können. | |
In Kürze aber sei bei vielen gleichzeitig das Limit erreicht. Bereits vor | |
2030 werde deshalb ein abruptes Massensterben in den tropischen Ozeanen | |
einsetzen – und bis 2050 auch auf die tropischen Regenwälder und gemäßigte | |
Breiten übergreifen. | |
In Deutschland leben schätzungsweise 71.900 Tier- und Pflanzenarten, | |
darunter allein 33.300 verschiedene Insekten. Bis zu 30 Prozent davon | |
könnten in den kommenden Jahrzehnten wegen des Klimawandels aussterben, | |
konstatierte bereits 2008 [4][ein Bericht der Bundesregierung]. In den | |
aktuellen Koalitionsverhandlungen spielen Klima und Artensterben eine | |
Nebenrolle. | |
4 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/10628 | |
[2] https://www.science.org/doi/10.1126/science.aax8591 | |
[3] https://www.nature.com/articles/s41586-020-2189-9 | |
[4] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/entwicklung-eines-indikatorens… | |
## AUTOREN | |
Nick Reimer | |
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