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# taz.de -- Heinrich Mann als politischer Autor: Zur Verteidigung der Gesellsch…
> Es gibt eine Zeit der Poesie und eine Zeit der harten Worte. Eine Rede
> auf Heinrich Mann, dessen Kampf gegen den Faschismus beispielhaft bleiben
> muss.
Bild: Mit 60 ins Exil: Grabstelle von Heinrich Mann in Berlin
Zuletzt verbrachte ich einige Sonntage an Heinrich Manns Grab in Berlin auf
dem [1][Dorotheenstädtischen Friedhof] und legte ihm ein Töpfchen roten
Klatschmohn auf die wunderschöne, von dem Bildhauer Clemens Seitz
gestaltete Büste. Ich drehte die Pflanze so, dass die Mohnblüten Heinrichs
Gesicht streichelten.
Ich denke jetzt oft an ihn.
Es muss schwer sein, mit über 60 Jahren das erste Mal ins Exil, [2][nach
Frankreich] vertrieben zu werden und ein zweites Mal mit 70 Jahren in die
USA. Denn man vergisst es schnell, ins Exil gehen bedeutet nie, sich
geordnet und organisiert zu bewegen, sondern gedemütigt, enteignet, mit
ungewisser Aussicht, ob nicht nur der Körper Ruhe und Sicherheit finden
werden, sondern auch die Sprache.
Ein Schriftsteller wird nie nur aus dem Land vertrieben, sondern auch aus
den Worten. Heinrich Mann schrieb in seinen Jahren im französischen Exil
viel über die politischen Umstände seines Heimatlandes. Sein politisches
Einschreiten konnte aber nur deshalb geschehen, weil er erstens über gute
Französischkenntnisse verfügte und genügend Kontakte, die seine Schriften
auch publizierten. Dann musste er vor den Nazis weiter über Spanien und
Portugal in die USA fliehen. Er konnte kein Englisch sprechen, und also
verstummte und vereinsamte er.
Heinrich Manns gesamtes Werk ist eine einzige Auseinandersetzung mit seiner
Gesellschaft. Vor allem seine späte Biografie und die seiner ganzen Familie
ist nicht die Geschichte von weltmännischen Kosmopoliten, wie sie
gelegentlich gerne erzählt wurde. Neulich las ich irgendwo die Notiz,
„Heinrich Mann lebte nach 1933 in seinem geliebten Frankreich“, als
handelte es sich um eine freiwillige Entscheidung.
## Aus Deutschland fliehen
Die Geschichte der schreibenden Manns ist die Geschichte von deutschen
Künstlern, die sich im fortwährenden, aktiven schriftstellerischen
Widerstand gegen die Nationalsozialisten befanden und deshalb gezwungen
waren, aus Deutschland zu fliehen.
Heinrich Manns erste Frau Maria Karnová war Jüdin und wurde mit der
gemeinsamen Tochter Leonie und der Oma in Tschechien von der Gestapo
festgenommen. Manns erste Schwiegermutter starb im KZ Theresienstadt. Maria
wurde nach dem Krieg von ihrem Neffen Klaus Mann, der als Soldat für die
Amerikaner kämpfte, aus Theresienstadt befreit.
Was für ein Bild! Klaus Mann trägt seine abgemagerte und schwerkranke
jüdische Tante aus dem Todeslager. Sie überlebte ihre Verletzungen leider
nicht. Die Geschichte der Manns kann nicht in Literatur hier und Politik da
getrennt werden. Und also kann auch ich heute nicht apolitisch sprechen.
Von Thomas Mann weiß ich, dass er sich mit der Frage, inwieweit der
Künstler sein Feld verlassen sollte, um auf die Seite des, wie er es
nannte, „sozialen Aktivismus“ zu wechseln, sehr umtrieb. Ich verstehe gut,
dass er seine Identität als Künstler und sein prosaisches Werk vor der
Vereinnahmung seiner politischen Anliegen zunächst in Schutz nehmen wollte.
Diesen Streit mit sich selbst kennen wir alle, die wir mit unserem
Schreiben oder Sprechen in der Öffentlichkeit stehen. Es gilt, die Kunst
nicht mit der eigenen politischen Meinung zu kontaminieren und das
ästhetisch Mehrdeutige durch moralisch Eindeutiges zu minimieren.
## Politische Verhältnisse
Aber: Diese Entscheidung kann nur treffen, der nicht existentiell bedroht
wird. Thomas Mann wollte nicht politisch sprechen, aber irgendwann
entscheidet nicht mehr das Individuum, sondern das Weltgeschehen. Die
politischen Verhältnisse schreiben an jedem Werk mit, [3][ob wir wollen
oder nicht.] Weil, wie Thomas Mann einmal schrieb, es Stunden und
Augenblicke gäbe, wo der Künstler „von innen her nicht weiterkann, weil
unmittelbare Notgedanken des Lebens den Kunstgedanken zurückdrängen“ und
„krisenhafte Bedrängnis der Allgemeinheit auch ihn auf eine Weise
erschüttert, dass die spielend leidenschaftliche Vertiefung ins
Ewig-Menschliche, die man Kunst nennt, zur seelischen Unmöglichkeit wird“.
Es gibt also offenbar eine Zeit der Schönheit und Poesie und eine Zeit der
klaren, harten Worte. Die Frage, ob man sich positionieren möchte oder
nicht, war damals wie heute, Thema in vielen künstlerischen Zirkeln.
Heinrich Mann war in Paris auf dem internationalen Schriftstellerkongress
Juni 1933 und war angesichts der über 250 Intellektuellen aus 35 Ländern
und mehreren Erdteilen schier begeistert, denn sie alle standen „an
derselben Front, alle zur 'Verteidigung der Kultur entschlossen“.
Die Eröffnungsveranstaltung war trotz hoher Eintrittspreise voll besetzt,
3.000 Zuschauer, darunter zahlreiche Flüchtlinge aus Deutschland und
Österreich, waren gekommen, um zuzuhören. Die Reden wurden über
Lautsprecher nach draußen übertragen, weil nicht alle Platz im Saal fanden.
Es ging um „die Rolle des Schriftstellers in der Gesellschaft“, und es
sprachen viele prominente deutschsprachige Exilanten, darunter Anna
Seghers, Heinrich und Klaus Mann, Robert Musil, Bertolt Brecht und Lion
Feuchtwanger.
Einige planten den Aufbau einer Schriftstellervolksfront gegen den
Faschismus, daraus wurde aber nichts. Auch politisch hatte der Kongress
keine Auswirkungen, weil die Positionen der Schriftsteller zu weit
auseinander lagen. Trotzdem galt der Kongress als Erfolg. „Man hatte seinen
Protest demonstriert, sich gegenseitig Mut gemacht, Netzwerke geknüpft. In
den drei folgenden Jahren wurden weitere Kongresse in London, Valencia und
1938 wieder in Paris abgehalten.“
## Europäische Konferenzen
An diese Schriftstellerkonferenzen anknüpfend organisierte ich 2014 und
2016 gemeinsam mit meinen Kollegen Antje Rávic Strubel, Tillman Spengler
und Nicol Ljubić zwei europäische Schriftstellerkonferenzen in Berlin.
Beide Male nahmen unter großem Publikumsandrang 30 Teilnehmer aus 25
Ländern teil. Der Heinrich-Mann-Preisträger György Dalos, ein Exilant aus
Ungarn, sprach in seiner Eröffnungsrede von der Bedrohung des Kontinents:
Wenn das europäische Projekt für Menschen seiner Generation, Dalos ist
Jahrgang 1943, die Öffnung der Grenzen, den Abbruch der Mauern, die
Ausweitung der Welt, also Freiheit bedeute, so könne der drohende
Nationalismus nichts anderes bedeuten als die freiwillige Rückkehr in die
Unfreiheit.
Der Schotte John Burnside lebte damals noch und brachte uns viel zum
Lachen. Wenn wieder ein Schriftsteller die großen Worte Freiheit und
Menschenrechte in den Mund nahm, meldete er sich und zeigte auf den Himmel.
Vergesst nicht die Amseln, mahnte er, Europa sei für ihn an allererster
Stelle der Gesang der Amseln. Dann erst skizzierte er die Idee Europas als
einen kulturellen und staatsbürgerschaftlichen Zufluchtsort, so wie es für
Naturfreunde die Wälder und Seen seien.
Wenn wir aber, so mahnte er damals einige unter uns ab, uns nicht einmal
vorstellen können, dass eine große Idee über die Einzelansprüche eines
Staates und über die ihn steuernden Macht- und Finanzinteressen
hinausreichen könnte, dann seien wir dazu verurteilt, fortan unwürdig zu
leben.
So leidenschaftlich und kämpferisch ging es weiter, und alle sahen und
besprachen wir, womit wir es heute, über ein Jahrzehnt später, zu tun
haben, egal ob wir aus Island, Israel, Ukraine, Russland, Schweiz,
Österreich oder dem türkischen Teil Kurdistans angereist waren.
## Was suspekt bleibt
Auch unsere Konferenzen haben nichts bewirkt. Am Ende sind wir nicht
Schreibende geworden, weil wir zum Kollektiv neigen und uns als
Korrespondenten unserer Länder verstehen. Die Quelle unseres lodernden
Feuers entsprang zu keinem Zeitpunkt unserem Wunsch nach politischer
Intervention, sondern weil wir so glücklich waren, dass wir uns endlich
einmal sehen und sprechen konnten, denn wir kannten uns meistens nur von
zwischen den Buchdeckeln. Da war so eine Kraft, so ein Licht und das Gefühl
mit dem Hadern und allen Fragen nicht allein zu sein.
Wir gingen auseinander, so wie die vor uns, 1935, 1938, 1988 oder 2010 in
Istanbul, wo ein Europäisches Schriftstellerparlament stattfand, und auf
eine Idee von José Saramago und Orhan Pamuk zurückging.
Ich sagte es oft, jene Kunst, die lediglich aus einem Willen zur
Veränderung der Verhältnisse entsteht, wird mir immer suspekt bleiben. Denn
was sonst tut sie, außer zu propagieren und zu predigen. Und wie ließe sich
als Rezipient darauf anders reagieren, als sie brav zur Kenntnis nehmend
abzunicken? Kunst ist die Suche nach Erkenntnis und Einordnung, der Versuch
von Deutung und manchmal auch nur der Wunsch, seine ureigene Angelegenheit
artifiziell auf die Reihe zu kriegen.
Kunst kommt von Künstlichkeit, vom Spiel, von der Lust sich an den
Ausdrucksformen zu probieren. Gut erzählte Geschichten bleiben
uneindeutig, nicht weil der Künstler das Leben nicht begriffen hätte,
sondern ganz im Gegenteil, weil er um die Tiefgründigkeit des Menschen
weiß. Alles, was wir an Liedern, Dramen oder Romanen lieben, erzählt immer
von einer Protagonistin, einem Protagonisten in ihrer und seiner
unvergleichlichen, außergewöhnlichen Situation. Keines dieser Werke
beansprucht Allgemeingültigkeit. Gerade deshalb sind sie es. Ohne die
Geschichten, die wir uns erzählen, zeigen oder singen, gäbe es keine
Freiheit, keine Menschenrechte, keine Aussicht auf Zukunft.
## Nicht fein genug?
Für unsere Kritiker ist es ein Leichtes, uns zu diskreditieren oder zu
denunzieren, denn wir legten etwas in die Mitte. Ohne uns wären sie alle
aufgeschmissen. Nur weil es unser Wirken gibt, können sie sich an uns satt
hassen. Sind wir manchmal nicht fein genug, nicht wohltemperiert genug? Das
liegt nicht an uns, sondern an den Verhältnissen.
Für den Künstler der Freiheit ist es ein Leichtes, geschmackssicher und
cool aufzutreten, unangreifbar und witzig zu sein, für den Künstler der
Unfreiheit droht stets die peinliche Gefahr des Pathos. Weil das Ziel von
Diktatur, Autokratie oder Faschismus, ist, dass wir nicht mehr empfinden
sollen, dass wir innerlich tot sind. Wir entschieden uns aber für das
Leben.
Wissen Sie, an was ich dachte, als ich an Heinrich Manns Grab stand?
Ich dachte nicht an den angriffslustigen Schriftsteller, der sich keine
Sekunde zu fein war, sich an die Seite der Entrechteten und Armen zu
stellen, der gegen den Ersten Weltkrieg war, als fast alle Künstler dafür
waren. Dachte nicht an ihn, als den vornehmen, einsamen Mann voller
Schönheitsdrang, wie er von seinem jüngeren Bruder Thomas beschrieben
worden war. Ich dachte auch nicht an ihn als einen, der gerne außerhalb
seines Standes liebte, weil ihm das Talent für Hierarchien fehlte.
Ich dachte auch nicht an den verstummten Schriftsteller, dem niemand mehr
zuhören wollte und der im fernen Amerika seinen letzten Roman „Der Atem“ so
enden ließ: „Es war still. Die Helligkeit des Gartens war gelöscht. Die
Welt schlief gelähmt wie in Nächten ihrer ausgebrochenen Katastrophen, wenn
auch wir müde sind und das Wort niederlegen.“
## Heinrich Mann als Vater
Ich stand am Grab von Heinrich und dachte an den zärtlichen Vater, der er
auch war, und an seine Briefe, die er seiner Tochter schickte: „Glück ist“,
schrieb er an seine Leonie einmal, „Glück ist erstens Selbstvertrauen,
zweitens Güte. Ich bin überzeugt, dass Du Güte hast und hoffe innig, dass
Du Dich im Leben auf dich selbst verlassen kannst. Möge es Dir gut gehen
mein liebes Kind!“
Ich dachte, Heinrich Mann, du warst ein Schriftsteller, einer der
Wohlmeinendsten, Angriffslustigsten, Edelsten, aber du warst auch ein
Vater, dein größtes Werk ist, dass du die Zärtlichkeit nie vergessen hast.
3 Apr 2025
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## AUTOREN
Mely Kiyak
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