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# taz.de -- Heinrich-Mann-Preis für György Dalos: Gegner der Systeme
> Im Schreiben György Dalos’ spiegelt sich der Wandel Ungarns vom
> Kommunismus zur illiberalen Demokratie. Nun bekam er den
> Heinrich-Mann-Preis.
Bild: Der Schriftsteller György Dalos 2017
„Für, gegen und ohne Kommunismus“: Der Titel, unter dem der [1][ungarische
Schriftsteller György Dalos] 2019 seine Erinnerungen veröffentlichte,
verweist auf ein ideologisch bewegtes Leben. Dem realen Wandel immer ein
Stück voraus, spiegelt sich in Dalos auch die jüngere Geschichte seines
Heimatlandes, über das er immer wieder in Romanen und Essays geschrieben
hat.
Nun wurde Dalos mit dem [2][Heinrich-Mann-Preis] ausgezeichnet, der ihm am
Dienstagabend in der Akademie der Künste (AdK) überreicht wurde; in Berlin,
wo der 79-Jährige seit vielen Jahren lebt.
Dalos, 1943 in Budapest geboren, wuchs in Armut auf, Hunger als ständiger
Begleiter. Satt gemacht habe ihn schließlich der Kommunismus, sagte er
einmal gegenüber dem Deutschlandfunk, als er in einem staatlichen
Lungensanatorium erstmals genug zu essen erhielt.
Dalos studierte Geschichte in Moskau, kehrte anschließend nach Ungarn
zurück, wo er 1968 wegen maoistischer Umtriebe verhaftet wurde. Mit
Berufsverbot belegt, gehörte der jüdische Schriftsteller zu den Gründern
der ungarischen Oppositionsbewegung.
## Kein Kokettieren
Im Gegensatz zu vielen westdeutschen Intellektuellen habe Dalos niemals mit
seinen „maoistischen Verwirrungen“ kokettiert, sagt der Schriftsteller
Marko Martin, der in der AdK die Laudatio auf Dalos hält. Auch von seiner
Gefängniszeit und dem Hungerstreik erzähle er präzise, ohne Übertreibungen,
immer mit „dem rettenden Seitenhieb auf das absurde Detail“.
Den Heinrich-Mann-Preis erhält Dalos für sein essayistisches Werk, doch
ohne die Literatur, so Martin, sei Ersteres nicht zu erklären: „Wie von
Dalos sprechen ohne Tamás Cohen?“
Cohen, der charmante Romanprotagonist aus „Die Seilschaften“ und „Der
Versteckspieler“, wächst wie Dalos praktisch ohne Eltern auf. Politisch
unterwiesen von seinem parteitreuen Onkel Dani, gerät er mit diesem
erstmals aneinander, als er sich für einen Schulfreund einsetzt.
Dessen Vater war nämlich Offizier unter dem autoritären Admiral Miklós
Horthy, der unter anderem den Erlass antijüdischer Gesetze in Ungarn und so
letztlich die Vertreibung der Jüd:innen aus dem Land zu verantworten
hatte. Wie Dalos gehört Cohen später der Opposition an und emigriert
schließlich nach Westberlin.
## Kaputte Gesellschaft
Tamás Cohen, so sagt Martin, sei „von einer kaputten Gesellschaft umgeben“.
Dalos benutzt heute ähnliche Worte. In seiner kurzen Dankesrede spricht er
von einer „aus den Fugen geratenen Welt“, in der er lebe, und meint damit
den „als Militäroperation verniedlichten Vernichtungskrieg“ Russlands gegen
die Ukraine.
In Ungarn hält man an der Beziehung zum Regierungschef des Nachfolgestaats
der Sowjetunion weiter fest. Gergely Gulyás, Regierungssprecher von
Ministerpräsident Viktor Orbán, sagte kürzlich, Ungarn würde den Haftbefehl
des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Wladimir Putin ignorieren,
beträte dieser ungarisches Staatsgebiet. Auch verzichtete die Europäische
Union darauf, den Patriarchen Kirill, Oberhaupt der russisch-orthodoxen
Kirche, auf die Sanktionsliste zu setzen, da Ungarn protestierte.
Über das „System Orbán“ hat Dalos, der die ungarische Regierung offen als
illiberal bezeichnet, im vergangenen Jahr ein Buch geschrieben. Andere
Texte des Schriftstellers und Historikers [3][widmen sich der Geschichte
Ungarns,] den Russlanddeutschen oder der Zarenfamilie Romanow.
So ist es schade, dass aus Dalos’ Texten an diesem Abend nicht gelesen
wird, sondern mit einem von [4][Katharina Thalbach] vorgetragenen Auszug
aus Heinrich Manns „Professor Unrat“ literarisch nur an den Namensgeber des
Preises erinnert wird. Dessen erzwungenen Austritt aus der Akademie der
Künste 1933 ruft die Schriftstellerin und Vizepräsidentin der AdK, Kathrin
Röggla, in einer Begrüßungsrede ins Gedächtnis.
## Professor Unrat
György Dalos hat zu Manns „Professor Unrat“ eine spezielle Beziehung.
Gerade begonnen, wurde ihm der Roman gleich wieder entwendet, als ihn sein
Geografielehrer beim Lesen im Unterricht erwischte, erzählt er.
Jahre später geriet er wieder mit dem Stoff in Kontakt, als er – aufgrund
seines Publikationsverbots eine „willkommene Abwechslung“ – an einer
Biografie über Marlene Dietrich arbeitete, die die Hauptrolle in der
UFA-Romanverfilmung „Der blaue Engel“ spielte. Veröffentlicht wurde das
Buch allerdings nie. Der Verlag, sagt Dalos, sei kurz davor pleitegegangen.
30 Mar 2023
## LINKS
[1] /Ungarischer-Autor-ueber-Kertesz/!5291392
[2] https://www.adk.de/de/akademie/preise-stiftungen/H_Mann_Preis.htm
[3] /Gyoergy-Dalos-ueber-Ungarns-Zivilgesellschaft/!5128260
[4] /Katharina-Thalbach-ueber-die-Blechtrommel/!5707698
## AUTOREN
Julia Hubernagel
## TAGS
Literatur
Auszeichnung
Diktatur
Schriftstellerin
Spielfilm
Ungarn
Imre Kertész
Europäische Union
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