# taz.de -- Autorentreffen in Budapest: Urlaub von politischen Fragen | |
> Ist unnötig hysterisch, wer über den Rechtsruck in Ungarn besorgt ist? | |
> Ungarische Intellektuelle zeigten sich bei einem Autorentreffen wenig | |
> diskussionswillig. | |
Bild: Über Politik - das heißt über den Mann in der Mitte - wollten Ungarns … | |
BUDAPEST taz | Wollte man Entwicklungslinien der europäischen Literatur | |
seit 1989 aufzeigen, dann ist ihre Entpolitisierung sicherlich eine der | |
markantesten. Das gilt sowohl für die Texte selbst als auch für die Rolle | |
der Autoren; nach der Auflösung des Ost-West-Konflikts erheben sie | |
zunehmend weniger einen Anspruch auf intellektuelle Deutungshoheit | |
gesellschaftspolitischer Konstellationen. Aber in Momenten der Krise tastet | |
man Literatur dann eben doch wieder auf ihre politische Hellsichtigkeit, | |
Spuren und Kommentare ab. | |
Als eine unheilschwangere prophetische Korrelation konnte deshalb | |
verstehen, wer am späten Sonntagnachmittag unter den prunkvollen Lüstern im | |
Budapester Literaturmuseum den Lesungen von Moritz Rinke und György | |
Dragomán beiwohnte. Mit ihnen ging ein viertägiges Treffen deutscher und | |
ungarischer Autoren zu Ende. | |
Dragomán, neben Noémi Kiss eine der meistbeachteten Stimmen der jungen | |
ungarischen Literatur, las aus seinem Roman "Der weiße König"; aus | |
kindlicher Perspektive wird darin der Alltag der ungarischen Minderheit | |
unter dem Ceausescu-Regime erzählt. | |
Das Gegenstück aus der westlichen Despotie-Hemisphäre lieferte Rinke mit | |
seinem ersten Roman "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel". Nicht nur | |
sprichwörtlich gräbt Rinke darin die Leichen aus, die das 20. Jahrhundert, | |
nachgerade der Nationalsozialismus, im Moor der norddeutschen | |
Künstlerkolonie Worpswede hinterlassen hat. | |
Zur gleichen Zeit und nicht weit entfernt bejubelte die | |
nationalkonservative ungarische Fidesz-Partei unter dem Populisten und | |
künftigen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, dass auch im zweiten Wahlgang | |
zum ungarischen Parlament die sozialistische Partei nach acht | |
Regierungsjahren mit nachgerade grausamer Offensichtlichkeit abgestraft | |
wurde. | |
Nicht nur gewannen die Nationalkonservativen eine Zweitdrittelmehrheit. | |
Fast verheerender noch, dass mit Jobbik eine Partei, die ein unverhohlen | |
auf antisemitischen und romafeindlichen Parolen fußendes Programm hat, | |
annähernd ein Fünftel der Stimmen auf sich ziehen konnte. | |
Die möglichen symptomatischen Bezüge von Text, Autor und historischer | |
Gegenwart musste man indes während des Autorentreffens mehr heraushören, | |
als dass sie offen thematisiert wurden. Fast schon irritierend, wie mit | |
Péter Esterházy und Arnold Stadler am Freitagnachmittag zwei Granden der | |
ungarischen und deutschen Literatur sich darauf beschränkten, einigermaßen | |
kraus und anekdotisch zu plaudern. Wenig später sah man Esterházy mit | |
fliegendem weißen Haar zur Straßenbahn eilen. Über Politik möchte er dieser | |
Tage nicht sprechen, ließ er ausrichten. | |
Kaum weniger irritierend die Äußerungen von Noémi Kiss, die gemeinsam mit | |
Tilman Rammstedt aufs Podium geladen war. Dass auch sie die Konservativen | |
gewählt habe, bekundete sie, wie schon in einem Essay, im Tagesspiegel. | |
Diese, als Reflex vielleicht verständliche, in ihren Folgen aber womöglich | |
fatale Haltung zu diskutieren, schickte die 1974 geborene Kiss sich indes | |
nicht an. | |
Selbst der Moderator dieses Abends, György Dalos, der sich in den | |
vergangenen Wochen immer wieder besorgt über die jüngsten politischen | |
Entwicklungen in seinem Land geäußert hatte, zitierte an dieser Stelle Hans | |
Magnus Enzensbergers 1967 erschienenen "Versuch, von der politischen Frage | |
Urlaub zu nehmen" herbei. | |
Fraglos ist eine heikle Situation, in der sich ungarische Intellektuelle | |
befinden, während ein nachgerade klassisches Lehrstück über das Scheitern | |
des Demokratischen zur Aufführung zu kommen scheint. Ihr Land ist an den | |
Rand des Ruins gewirtschaftet, was man in Budapest immer noch weit weniger | |
wahrnimmt als in östlichen Provinzen des Landes. | |
Aber selbst in der Hauptstadt sind die Obdachlosen, die nachts in den | |
Hauseingängen Platz suchen, kaum zu übersehen; die Ausgehmeilen hingegen | |
sind auf Tourismus getrimmt, die meisten Ungarn können sich die Preise | |
nicht leisten. Die sozialistische Partei hat nicht nur diese heillose | |
Situation verschuldet, sie hat sich durch Lügen und Verschleierungstaktiken | |
auch ins moralische Abseits gestellt. Was folgt, hat die Wahl gezeigt: der | |
Schwenk nach rechts. | |
Dass man - aus historisch bedingter deutscher Empfindlichkeit - unnötig | |
hysterisiere und symptomatisiere, hörte man auf den Gesprächen, die sich | |
rund um das Autorentreffen entspannen, immer wieder. Aber selbst wenn man | |
sich diesen Schuh anzieht und zu gern auch jedem die Fortsetzung des | |
Urlaubs gönnt, der seit 1989 in die Literatur eingezogen ist: Nicht nur | |
weil es wenig mit Vergnügen zu tun hat, will die Rede vom Urlaub die | |
Situation von Autoren und Intellektuellen in Ungarn gerade nicht recht | |
treffen. | |
Vielmehr hat es - zumindest nach außen hin - den Anschein eines Versuchs | |
der Beschwichtigung, erwachsen aus der Angst, Ungarn in die Isolation | |
treiben zu sehen. Zu hoffen ist, dass es sich nicht bald als ein fataler | |
Rückzug derer erweist, die es besser wissen. | |
27 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Wiebke Porombka | |
## TAGS | |
Literatur | |
Schriftsteller | |
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