| # taz.de -- Schau zu Ikebana-Kunst in München: Der Weißkohl im Anthropozän | |
| > Der Kunstverein München zeigt in einer Ausstellung die Ikebana-Kunst von | |
| > Kosen Ohtsubo und Christian Kōun Alborz Oldham. | |
| Bild: Christian Kōun Alborz Oldham: „Penny Waking Up from a Dream“, 2025, … | |
| Vermutlich passiert es nur ganz selten, dass man von einem welken Blatt | |
| Kohl tief berührt ist. Wie ihn der Künstler Kosen Ohtsubo da schlaff in der | |
| Ausstellung „Flower Planet“ im Kunstverein München auf einem Sockel aus | |
| schwarzen Fliesen liegen lässt. Seine dicken Adern ziehen mäandernde Muster | |
| auf das weiche Blattgrün, dessen Färbung durch den Wassermangel schon ins | |
| Gelbliche übergegangen ist. | |
| Wie die Knackigkeit – wenn man so will: das Leben – aus dem Weißkohlblatt | |
| verschwindet, sieht schön aus. Noch schöner wird es durch den Sockel, der | |
| ein bisschen wie das postmoderne Design der italienischen Gruppe Memphis | |
| daherkommt: total ästhetisch, total emotional. | |
| Der über 80-jährige Ohtsubo macht seit Jahrzehnten vergängliche, | |
| pflanzliche Bildhauerwerke und betreibt damit seine eigenwillige, | |
| anarchische Form des Ikebana, eine seit Jahrhunderten in Japan kultivierte | |
| Kunst des Blumenarrangierens. Die [1][Ästhetik des Ikebana] ist reduziert. | |
| Ganz anders als die europäische, üppige Floristik, wie sie etwa auf den | |
| Blumenstillleben des Barock ihre sehr weltliche Botschaft von der | |
| Vergänglichkeit des Lebens vermittelt. | |
| Ursprünglich in buddhistischen Zeremonien eingesetzt, haben klassische | |
| Ikebana-Arrangements eine kosmische Symbolik: Die Linien der Blumenstiele | |
| sollen den Himmel, die Erde oder die Menschheit darstellen. | |
| ## Schrein aus Geäst und getrockneten Blüten | |
| Natur und extreme Künstlichkeit kommen beim Ikebana zusammen. Und bei Kosen | |
| Ohtsubo, der in einer durch die Kupferindustrie verschmutzten Region | |
| Zentraljapans aufwuchs, schleicht sich noch unsere heutige menschengemachte | |
| Welt mit hinein, mit all ihrem zivilisatorischen Abfall. | |
| Im Kunstverein München hat er einen kugelförmigen Schrein aus Geäst und | |
| getrockneten Blüten zusammengeflochten, darin mengen sich Schrottreste und | |
| weggeworfene Haushaltsgegenstände. Metallwolle blitzt unter dem dünnen | |
| Geäst auf. Dass die Natur zum Abort der Menschen geworden ist, [2][dieser | |
| unheimliche Zustand der Welt,] wird hier zur fragilen, gleichsam mahnenden | |
| Schönheit. | |
| Gemeinsam mit dem fünfzig Jahre jüngeren Christian Kōun Alborz Oldham, | |
| einem Schüler von ihm, hat der Pflanzenkünstler für die Ausstellung eine | |
| Reihe Fotografien von vergangenen Arrangements ausgewählt: Man sieht ein | |
| Heer trockener Blumen, um eine rostige Metallplatte in einer Wasserlache | |
| gruppiert, oder ein welkes Palmenblatt, das sich wie ein dünner Tentakel | |
| über eine Glaskugel legt. Die Pflanzen haben hier immer auch etwas | |
| Kreatürliches. Ihr kurzweiliges Leben verewigen die beiden dann auf | |
| Fotografien, sie arbeiten dem Lauf der Zeit sozusagen durch die technischen | |
| Mittel der Abbildung entgegen. | |
| Dennoch ist es das vor den eigenen Augen vergehende Material, das die | |
| beiden in München so eindrücklich vorführen. Wandert man an ihren | |
| Pflanzenarrangements vorbei, passiert etwas, das die bildende Kunst | |
| besonders gut kann: Es entsteht ein ästhetischer Moment, der die Sinne | |
| schärft für die vielleicht banalsten Dinge, in denen aber größere | |
| Zusammenhänge sichtbar werden, und wenn sie sich nur auf einem Blatt | |
| Weißkohl abzeichnen. | |
| 19 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sophie Jung | |
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