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# taz.de -- Kunst über Coding und Feminismus: Holzschuhe ins Getriebe werfen
> Coding, Weben und Feminismus – das bringt der Kunstverein München mit der
> Ausstellung „Key Operators“ in poetische Zusammenhänge.
Bild: „Sabotage or Trophy?“ von Bea Schlingelhoff, 2024, Exponat aus: „Ke…
Computertechnologien bestimmen unser Leben. Und manchmal vergessen wir,
dass die Geräte unseres Alltags eigentlich von mathematischen Codes
bestimmt sind. Und noch mehr rückt in den Hintergrund, ob Coding nicht auch
jenseits seiner rein technologischen Bedeutung künstlerisch und
kulturhistorisch interessant sein könnte. Eine Ausstellung im
[1][Kunstverein München] liefert dazu derzeit eine Fülle subversiver Ideen.
Das erwartet man zunächst gar nicht bei ihrem sachlichen Titel: „Key
Operators – Weben und Coding als Mittel feministischer
Geschichtsschreibung“.
Dabei handelt es sich um eine hochgradig poetische Schau, bei der selbst
das Licht, die Schlagschatten der Fensterkreuze an den Wänden und auf dem
Boden, eine Rolle spielen. Die Schattenlinien erscheinen als Pendants zu
den Rechenlinien des neuzeitlichen Rechenmeisters Adam Ries, die Künstlerin
Katrin Mayer (geboren 1974) an anderer Stelle auf die Wand gezeichnet hat.
Auch die Netzstrukturen der großformatigen Luminogramme der Kanadierin
Lotus L. Kang (geboren 1985) werden Teil der natürlichen Intervention. Auch
sie sind Lichtzeichnungen, die durch die Belichtung von Gegenständen auf
Fotopapier zustande kommen.
Dennoch ist der Geist der Technik permanent anwesend. Ein penetrantes
Rattern durchbricht die Stille der hohen Räume. Es stammt von dem
Nadeldrucker, der im Foyer permanent Vierzeiler wie diesen ausspuckt:
„House of plastic, in southern France, using candles, inhabited by various
birds and fish.“
Die 1967 entstandene Gedichtpartitur „The House of Dust“ von [2][Alison
Knowles] (geboren 1933) basiert auf vier Kategorien, zu denen die
Künstlerin vorab alternative Satzfragmente formulierte. Die Magie dieser
Gedichte basiert auf einer Regel. Aneinandergereiht werden: eine Art von
Haus oder von Baumaterialvorgabe, ein Ort oder eine Situation, eine
Lichtquelle und eine Kategorie von Bewohnern.
## Die Pionierin des Codes, Ada Lovelace
„Obwohl das Gedicht im Algorithmus angelegt ist, ist die Sprache mehr als
ungewiss; obwohl ihr Träger ein Sinnbild für den Verwaltungsapparat ist,
wird sie wie eine Notation einer Musikpartitur gelesen, offen für
Interpretationen und daher unberechenbar“, kommentierte Knowles ihre
Arbeit. [3][Die Pionierin des Codes, Ada Lovelace] (1815–1852), hätte sich
gefreut. Sie hielt es im Gegensatz zu dem offiziellen Vater der Informatik,
Charles Babbage (1791–1871), für denkbar, dass eine Maschine, die
Berechnungen durchführen kann, auch Musikstücke und Gedichte schreiben
könnte.
Für die Britin Lovelace musste Mathematik noch Privatsache bleiben; sogar
der Zugang zu Bibliotheken war ihr verwehrt. Ihre Geschichte setzte sich
dann hundert Jahre später in anderer Weise fort. Angestellt als
Rechnerinnen, sogenannte Computer, führten Frauen als Dienstleistung
Berechnungen durch, die Voraussetzung für technische Innovationen waren.
„Es ist genau dieser Widerspruch, dieses Nichtanerkennen von essenzieller
weiblicher Arbeit, die aber die Strukturen herstellt, in der technologische
Entwicklungen erst passieren“, sagt Gloria Hasnay, Leiterin des
Kunstvereins München. Es sei ein großes Anliegen der Ausstellung, an diese
vermeintlichen Ränder zu schauen, die die Infrastruktur schaffen für das,
was dann als offizielle Geschichtsschreibung gelte.
Für die US-amerikanische Videokünstlerin Beryl Korot (geboren 1945) sind
die Technologien der Informationskodierung eng mit der alten Kulturtechnik
des Webens verbunden. In „Babel 2“, einer Malerei auf handgewebtem Leinen,
entwickelte sie eine Codesprache, die auf der Gitterstruktur des gewebten
Stoffs basierte. Marilou Schultz (geboren 1954) hingegen webte einen
Teppich, der einen integrierten Schaltkreis zeigt und daran erinnert, dass
zwischen 1965 und 1975 Navajo-Weberinnen auf Grund ihrer Fingerfertigkeit
in einem Montagewerk des US-Chip-Herstellers Fairchild Industries
beschäftigt waren.
## Weberei war lange Männerarbeit
Technik und Textilien scheinen auf ersten Blick nicht viel miteinander zu
tun zu haben. Für das eine sind die Frauen zuständig, für das andere die
Männer. Dabei war die Weberei lange harte Männerarbeit. Als um 1800 die
Jacquard-Webstühle aufkamen, deren Metall-Lochkarten-Ketten nichts anderes
waren als gestanzte Programme, wurden viele Weber und Weberinnen
arbeitslos. Aus Protest warfen sie ihre Holzschuhe, ihre Sabots in die
Mechanik ihrer fehlerfrei arbeitenden Konkurrenten und brachten sie damit
zum Stillstand. An dieses Moment der Selbstermächtigung erinnert die
Intervention „Sabotage or Trophy“ von Bea Schlingelhoff (geboren 1971). Sie
platzierte Holzschuhe auf den Wänden des Kunstvereins, so dass der Eindruck
entsteht, als sei auch im Kunstverein ein Akt der Sabotage im Gange.
Webkunst war nie mehr als eine Randnotiz der Kunstgeschichte. Wenn in der
Münchner Schau mehrere Bildwirkereien von [4][Johanna Schütz-Wolff]
(1896–1965) zu sehen sind, ist dies als Hommage an all die vergessenen
Textilkünstlerinnen zu verstehen. Schütz-Wolff war 1967 posthum eine
Retrospektive im Kunstverein München zuteilgeworden. Auch daran wird
erinnert. Und es mag zu denken geben, dass in denselben Räumen 1970 die
Schau „Impulse Computerkunst. Graphik, Plastik, Musik, Film“ stattfand –
und zwar ohne Beteiligung einer einzigen Künstlerin. Auch an den
Zusammenhang von Webtechnik und Coding dachte noch niemand.
9 Oct 2024
## LINKS
[1] /Kuratoren-ueber-200-Jahre-Kunstverein/!5952027
[2] /Fluxuskuenstlerin-Alison-Knowles/!6037945
[3] /Ada-Lovelace-Day/!5145433
[4] /Ueberblick-zur-Berlin-Art-Week/!5956989
## AUTOREN
Carmela Thiele
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