| # taz.de -- Outsider-Art Messe in New York: Die Ausnahme als Normalzustand | |
| > Outsider Art ist in den USA beliebt. Sie verbindet auf spezifisch | |
| > amerikanische Weise Kunst, Leben, Konsum. Eine Messe abseits von Politik | |
| > und Markt. | |
| Bild: Wie ein lustiger Fiebertraum: Montrel Beverly's „Last Supper“ aus bun… | |
| Der amerikanische Traum ist „alive and well“, wie man so sagt, gesund und | |
| munter. Zumindest konnte diesen Eindruck erhalten, wer Anfang März die | |
| Outsider Art Fair in New York besuchte. Es ist die älteste Kunstmesse, die | |
| sich ganz der sogenannten Außenseiterkunst widmet. Seit 1993 trifft man | |
| sich alljährlich in Manhattan, um Künstlerinnen und Künstler zu | |
| präsentieren und entdecken, die jenseits der Kunstakademie ihren Weg | |
| beschreiten. | |
| Und in diesem Jahr vermeldete sie rekordhafte Besuchs- und Verkaufszahlen: | |
| Während die großen Messen für kleinere und gar mittlere Galerien zunehmend | |
| weniger rentabel werden, nur noch die Blockbuster-Galerien mit weltweiten | |
| Standorten wirklich profitieren, scheint hier ein Gegenmodell zu laufen. | |
| Ältere Sammlerinnen und Sammler, das örtliche geneigte Kulturpublikum, aber | |
| auch junge Kreative, viele vermutlich selbst von den umliegenden | |
| Kunstschulen und akademien: Wer hierherkommt, der interessiert sich für | |
| Kunst. Der Markt gehört dazu, und er wächst. Aber von Hype und Investment | |
| ist man hier weit entfernt. Statt im Zollfreilager hängen diese Bilder mit | |
| einiger Wahrscheinlichkeit eher bald in einem US-amerikanischen Wohnzimmer. | |
| Kunst und Alltag waren sich in den USA womöglich immer schon näher als in | |
| der Alten Welt, davon profitiert sicherlich auch die Outsider Art. Hinzu | |
| kommt ein US-amerikanisches Grundverständnis, sich eben zu kaufen, was | |
| gefällt, ohne umständliche Rechtfertigung – und womöglich auch eine Art | |
| Mäzenatentum, das ganz und gar nicht staatlich gedacht wird. | |
| ## Die Arbeiten sind durchtränkt von US-Popkultur | |
| Läuft man über die Messe im Metropolitan Pavilion in der 18th Street, so | |
| fällt auf, wie viele Werke durchtränkt sind von der US-amerikanischen | |
| Popkultur. Zu der zählen ja bekanntlich auch die schönen und | |
| verführerischen Waren, die sich hier auf den Bildern und in einigen | |
| Skulpturen anhäufen. | |
| Coca Cola und Michael Jackson, Filmstills, Pancakes, Wolkenkratzern, | |
| Comics. Aber auch dem amerikanischen Exceptionalism, der Verfassung gar, | |
| begegnet man auf Leinwänden, Keramika, Blechplatten, Papier, Collagen und | |
| auf Sperrholz. Doch zum amerikanischen Traum gehört ja fast schon qua | |
| Definition, dass er ebenso schnell wieder vorbei sein oder ins Fiebrige | |
| kippen kann. Während die einen Arbeiten vor US-Optimismus strotzen, ist | |
| anderen die Brüchigkeit des feinen Zivilisationsfirnis offenbar schon | |
| eingeschrieben. | |
| Solcherlei Abgründe in vertrauten Americana tut zum Beispiel Harry | |
| Underwood auf, dessen somnambule Szenerien, mit Latex in präzisen Konturen | |
| auf Sperrholz gemalt, gleich ins Auge fallen: Da rennt eine Frau im Bikini | |
| auf dem Asphalt einer subtropischen Stadt vor einem unbekannten Verfolger, | |
| dort trägt ein filmischer Heldenmann eine offenbar bewusstlose Frau vor | |
| einem jener prächtigen Kinopaläste, wie sie im Amerika der 1920er Jahre | |
| groß wurden. Düstere Ahnungen hat der Künstler in Handschrift mit Bleistift | |
| auf dem Bild notiert: „Ist er ihr Held oder Schurke? Finde(t) ihre Eltern. | |
| Geh(t) dieser Geschichte auf den Grund!“ | |
| Man kann ob seiner retrospektiven Sujets kaum ausmachen, ob Underwood ein | |
| zeitgenössischer Künstler oder einer aus den 1950er Jahren ist oder wie alt | |
| er sein mag, falls er heute noch arbeitet. Auch sein Galerist Duff Lindsay | |
| von Lindsay Gallery in Columbus, Ohio, kennt das genaue Alter nicht, weiß | |
| aber mehr: Harry Underwood war Handwerker und Anstreicher, heute arbeitet | |
| er nurmehr künstlerisch. Ein Einzelgänger, in jeglicher Hinsicht. | |
| Und damit ist man schnell beim Elefanten im Raum angelangt, der im Jahr | |
| 2025 derart heißt: Sollte man eine Messe überhaupt noch so nennen, | |
| „Outsider Art Fair“? Viele betrachten den Namen heute kritisch, | |
| insbesondere in Europa. Aber manchmal trifft es der Begriff eben doch. Ihr | |
| Programm fasst die Lindsay Gallery als self-taught, Outsider und Folk Art | |
| zusammen – was das Spektrum auf dieser Messe ebenso gut umreißt. Seltener | |
| liest man das in Europa üblichere, inzwischen ebenso umstrittene „Art | |
| Brut“, das historisch vor allem mit der [1][Kunst mentaler oder geistiger | |
| beeinträchtigter Menschen] zusammengebracht wird. | |
| ## Folk Art ist in Amerika beliebt und erfolgreich | |
| Tatsächlich scheint die besondere Sensibilität für Kunst außerhalb der | |
| akademischen Normbiografie in den Vereinigten Staaten eng mit der | |
| Anerkennung sogenannter Volkskunst, einer nichtakademischen Malerei, | |
| verbunden. Seit 1961 sammelt das American Folk Art Museum in New York | |
| entsprechende Künstlerinnen und Künstler, schon seit 1953 das Museum of | |
| International Folk Art in New Mexiko. | |
| Gleichzeitig gibt es hier so viele gemeinnützige oder private | |
| Atelierangebote wie in wohl kaum einem anderen Land – das Creative Growth | |
| Center aus Oakland, Kalifornien, feiert gerade 50. Jubiläum und zeigt zur | |
| Messe unter anderem William Scott, der mit seinen poppig plakativen, | |
| freundlich gemalten Gruppenporträts jene durch Drogen oder Waffengewalt | |
| verstorbene Menschen wiederauferstehen lassen möchte, die er hier abbildet. | |
| Arbeiten von ihm finden sich heute auch in der Sammlung des MoMa. | |
| Kunst von KünstlerInnen mit Behinderung oder Einschränkung, neuerdings auch | |
| Neurodiversität tauchen als Begriff auf, mitunter werden biografische | |
| Details aber auch bewusst vermieden. [2][Selbstbeigebracht, also | |
| „Self-taught“ ist das Label, das viele hier bevorzugen.] Das liegt | |
| verdächtig nah an der Hobbykunst. | |
| Aber Hobbykünstler sind die hier ausgestellten allesamt nicht. Das Publikum | |
| kommt nicht nur zum Anschauen, man kann sich vieles noch leisten. Kleine | |
| Skulpturen oder Zeichnungen findet man schon für wenige hundert Dollar. | |
| Arbeiten von Harry Underwood werden für 1.850 Dollar angeboten. Nicht | |
| umsonst schrieb Jerry Saltz, New Yorker Kritiker und kein Freund | |
| bombastischer Kunstspektakel, die Outsider Art Fair sei „für meinen | |
| Geldbeutel die beste Kunstmesse der Welt“. | |
| Begehrte Kunst hat natürlich auch hier ihren Preis. Aus Japan stammt | |
| Yuichiro Ukai. Seine hier rund 70 x 80 Zentimeter großen Wimmelbilder aus | |
| japanischer Kultur- und Konsumgeschichte, von Sauriern und Samurai bis An | |
| Pan Man, entfalten einen starken Sog. Eine mittlere Zeichnung kostet 17.000 | |
| Dollar und verkauft sich gut auf der Messe, wo Yukiko Koide zu den wenigen | |
| nichtamerikanischen Galerien gehört. | |
| In diesem dichten Nebeneinander wird das (vermeintliche oder tatsächliche) | |
| Außenseitertum ein Normalzustand. Man entdeckt hier Unterschiede, | |
| wiederkehrende Sujets und immer wieder Herausstechendes. Wie den schwarzen | |
| Vincent van Gogh, mit grobem, großen Strich von Arstanda Billy White auf | |
| Leinwand gebracht. | |
| Oder die Künstlerin June Gutman, die in ihren mal derben, mal feinsinnig | |
| ironischen Zeichnungen aus Bunt- und Bleistift psychische Ausnahmezustände | |
| und existenzielle Angst vor der Klinik mit biblischen Szenen, Aliens, | |
| Bigfoot, popkulturellen Figuren und dem eigenen Alltag als Frau und Jüdin | |
| verknüpft: eine nie erreichte Bat Mizwa, [3][überschwängliche Milch, die | |
| aus Brüsten schießt, dazu Überlegungen und trockener Humor in Textform.] | |
| „YOU ARE NOT IMMUNE TO PROPAGANDA, BUT I AM“. | |
| ## Pfeifenreiniger-Künstler des Jahres | |
| Derart eigenständige Positionen und bildnerische Herangehensweisen an eine | |
| äußere wie innere Welt findet man selten auf kleinem Raum versammelt. Am | |
| Schluss geht es noch an zwei Reliefs von Montrel Beverly vorbei, der bei | |
| Sage Studios im texanischen Austin arbeitet und sich mittels | |
| Pfeifenreinigern Motive aus der Kunstgeschichte vorknöpft. | |
| Er wolle Pfeifenreiniger-Künstler des Jahres auf dem Time Magazine werden, | |
| wird Beverly auf der Seite seiner Ateliergemeinschaft zitiert, und legt in | |
| New York beispielhaft vor: Botticellis Geburt der Venus und da Vincis | |
| letztes Abendmahl in sattem Pfeifenreiniger-Rot, -Blau, -Grün, -Orange, | |
| -Braun und -Silber. Auch dies dann wieder eine Art Fiebertraum, allerdings | |
| einer von der guten Sorte. | |
| 20 Mar 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Sammlung-Prinzhorn-in-Heidelberg/!6027061 | |
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| [3] /Gruppenausstellung-zur-Mutterrolle/!5972629 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina J. Cichosch | |
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