# taz.de -- Ausstellung in Lüttich: Kunst im Kontext | |
> Das Museum La Boverie im belgischen Lüttich zeigt mit „21 rue la Boétie“ | |
> Kunst-, Sozial- und Politikgeschichte. Warum das spannend und wichtig | |
> ist. | |
Bild: Georges Graque: Nu couché (1935) in Öl auf Leinwand | |
Im dieses Jahr wiedereröffneten Museum La Boverie in Lüttich sind bis Ende | |
Januar unter dem Titel „21 rue la Boétie“ noch rund sechzig hochkarätige | |
Gemälde der Moderne zu sehen, darunter bedeutende Arbeiten von Picasso, | |
Georges Braque, Fernand Léger, Henri Matisse und Marie Laurencin, um nur | |
einige zu nennen. Doch „21 rue la Boétie“ ist nicht einfach nur eine | |
sehenswerte Kunstausstellung. Der Ehrgeiz der Ausstellungsmacher (es | |
handelt sich um die private Agentur Tempora, die auf die Entwicklung und | |
Organisation von Kunst- und Kulturausstellungen spezialisiert ist) ging | |
darüber hinaus. | |
Grund dafür ist der Gegenstand der Schau. Die im Titel genannte Adresse | |
gehörte einmal einem der wichtigsten Vermittler der künstlerischen Moderne, | |
dem Pariser Kunsthändler Paul Rosenberg, der dort seine Galerie betrieb. | |
Unweigerlich kommt somit die politische Geschichte der ersten Hälfte des | |
20. Jahrhunderts ins Spiel; besonders der Aufstieg des Nationalsozialismus, | |
mit dessen Kultur- und Kriegspolitik Paul Rosenberg gleich zweimal | |
existenziell in Schwierigkeiten kam; einmal als prominenter Vertreter der | |
verfemten künstlerischen Moderne und dann als Jude. | |
Die Ausstellung beleuchtet also nicht nur Paul Rosenbergs | |
Vermittlungsleistungen als Kunsthändler der Avantgarde, sein Schicksal und | |
das seiner Bilder, angefangen im Jahr 1910, als er an der genannten Pariser | |
Adresse seine erste Galerie eröffnete, bis zu seinem Todesjahr 1959 – sie | |
berührt ebenso sehr die Sozial-, Politik- und Ideengeschichte des 20. | |
Jahrhunderts. Es geht um die Kunst- und Kulturpolitik der Besatzungsmacht, | |
besonders um das Kapitel „entartete Kunst“, wobei in diesem Zusammenhang | |
selbstreflexiv ein Stück Geschichte des ausstellenden Museums in Lüttich | |
aufgearbeitet wird. | |
Denn gemeinsam mit einer Gruppe von Geldgebern ersteigerte die Stadt | |
Lüttich am 30. Juni 1939 beim Auktionshaus Theodor Fischer in Luzern neun | |
Gemälde für ihr Museum für Schöne Künste. Theodor Fischer, dessen Haus in | |
dieser Zeit ein wichtiger Umschlagplatz für gestohlene Kulturgüter war, | |
arbeitete mit den Kunsthändlern der Nazis, unter anderen Hildebrand | |
Gurlitt, zusammen und hatte an diesem Tag rund 125 Gemälde und Plastiken, | |
die als „entartet“ aus deutschen Museen entfernt worden waren, zur Auktion | |
gebracht. | |
## Das Netzwerk der Sammler | |
Doch zunächst ist die Stimmung in der Ausstellung, der das Buch der | |
bekannten französischen Journalistin und heutigen Herausgeberin der | |
französischen Huffington Post, Anne Sinclair, über ihren Großvater Paul | |
Rosenberg, zugrunde liegt, hell und heiter, denn die Avantgarde tanzt. 1920 | |
entwirft Pablo Picasso den Vorhang und die Kostüme für das Ballett „Le | |
Tricorne“ der Diaghilev-Truppe, das Léonide Massine zur Musik von Manuel de | |
Falla choreografiert hat. | |
Paul Rosenberg druckt ein limitiertes Portfolio mit den Picasso-Zeichnungen | |
der Kostüme, die nun zusammen mit einer Bolerojacke und Gemälden von | |
Picasso und Braque die Ausstellung eröffnen. Danach trifft man auf Bilder | |
von Alfred Sisley, Camille Pissarro, Degas und Cézanne, deren Handel es | |
Paul Rosenberg erlaubten, seine wesentlich kostengünstiger gehandelten | |
jungen Künstler gut zu betreuen und zu präsentieren. | |
Großfotos zeigen die Anlage seiner Galerie, und ein wunderbares Stereoskop | |
ermöglicht es, quasi räumlich durch deren riesige Säle mit monografischen | |
Ausstellungen von Léger oder Braque zu schlendern. Rosenberg druckte nicht | |
nur aufwändige Kataloge für seine Künstler, sondern arbeitete auch mit | |
Zeitungsanzeigen, dazu kamen Salons und Wohltätigkeitsveranstaltungen, um | |
das Netzwerk der Sammler und Museumsleute zu pflegen. Rosenberg war bekannt | |
dafür, dass er eher teuer verkaufte. „Es schadet niemandem und es ist gut | |
für alle Künstler“, lautete seine Begründung. | |
## Hitler kauft gern | |
Günstig waren die Bilder, die die Stadt Lüttich 1939 bei Fischer erwarb: | |
Der Raum, der den Angriff der Nazis auf die zeitgenössische Kunst | |
behandelt, unterbricht die Erzählung zu Paul Rosenberg, indem er sie | |
kontextualisiert. In den neuen Räumen, mit denen der Architekt Rudy | |
Ricciotti das 1905 zur Weltausstellung erbaute Haus des Lütticher | |
Kunstmuseums erweitert hat, stellen Tempora das ursprünglich aus der | |
Kunsthalle Mannheim stammende Bild „La maison bleue“ (1920) von Marc | |
Chagall kommentarlos dem „Alten Stadtturm aus Gmund in Kärnten“ (1938) von | |
Robert Streit gegenüber, einem der Bilder, die Adolf Hitler regelmäßig in | |
der Großen Deutschen Kunstausstellung erwarb. | |
Genauso verfahren sie mit Marie Laurencins „Portrait de jeune femme“ (1924) | |
aus dem Städtischen Museum Ulm, und Alfred Höhns „Junge Frau“ (1939), ein… | |
Hitler-Ankauf, oder Max Liebermanns „Reiter am Strand“ (1904) aus der | |
Bayerischen Staatsgemäldesammlung München, mit dem Paul Junghanns’ | |
„Sommerabend“ (1939) konkurriert. Der Anblick dieser Paarungen ist | |
niederschmetternd. Hier intelligente, lebendige Malerei, dort steife, | |
bemühte Illustration. | |
Nach dem Einmarsch der Deutschen floh Paul Rosenberg mit seiner Familie | |
1940 aus Paris in die Nähe von Bordeaux. Ein Gutteil seiner Bilder war | |
schon im Ausland, besonders die Picassos, aufgrund dessen großer | |
Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art 1939. Aber über 300 | |
Kunstwerke blieben in Paris und der Gegend von Bordeaux, 162 von ihnen | |
brachten die Nazis schließlich in ihren Besitz. Die Besatzung war ein | |
einziger riesiger Raubzug auf jüdisches Vermögen und Kunstbesitz. | |
In den besetzten Ländern sollen am Ende 22.000 Kunstwerke aus über 200 | |
Sammlungen in die Hände der Nazis gefallen sein. 21, rue la Boétie | |
beherbergte ab 1941 ausgerechnet das „Institut zur Erforschung der | |
Judenfrage“, das die antisemitische Propaganda in Frankreich organisierte. | |
Schon im September 1940 traf Paul Rosenberg mit seiner Familie in New York | |
ein. Die Stadt war ihm vertraut, mehrere seiner Sammler lebten hier, und | |
über die Jahre hatte er sich mit dem Direktor des MoMA, Alfred Barr, | |
befreundet. Sofort eröffnete er eine Galerie in der 16 East 57th Street. | |
## Das Gericht entscheidet | |
Fünf Leihgaben, ein Corot, ein Braque, zwei Degas und ein Pissarro aus der | |
Stiftung Sammlung E. G. Bührle leiten dann das Drama der | |
Nachkriegsgeschichte ein. Schon im Exil hatte Paul Rosenberg gemutmaßt, der | |
Großteil seiner ihm entwendeten Kunstwerke gehe in die Schweiz. Einer, | |
dessen Geschäfte in der Zeit des Zweiten Weltkriegs prächtig gediehen und | |
bei dem sich sechs dieser Gemälde fanden, war der Waffenfabrikant Emil | |
Georg Bührle. Paul Rosenberg suchte Bührle im September 1945 denn auch | |
persönlich auf und forderte seine Bilder zurück. | |
Bührle bestand auf einer gerichtlichen Klärung. 1948 befand das Schweizer | |
Bundesgericht, dass alle in der Schweiz befindlichen Kunstwerke Rosenbergs | |
an ihn zurückzugeben seien. Bührle lies diesen daraufhin durch seinen | |
Rechtsanwalt wissen, dass er „La Liseuse“ von Camille Corot nicht verlieren | |
und deshalb noch einmal von ihm kaufen möchte. Rosenberg stimmte der | |
Transaktion zu. Letztlich kaufte Bührle fünf Bilder noch einmal zurück. | |
Heute vielleicht irritierend, sah Paul Rosenberg im unrühmlichen Beginn | |
ihres Kennenlernens kein Hindernis, in Folge Bührles wichtigster Partner | |
beim Aufbau seiner ehrgeizigen Kunstsammlung zu werden. | |
Natürlich sucht man im Ausstellungskapitel Restitution die „Sitzende Frau“ | |
von Henri Matisse, 2013 mit dem Fund der berühmt-berüchtigten Sammlung | |
Gurlitt in die Schlagzeilen gekommen. Und wirklich hängt sie da – nur | |
handelt es sich um ein anderes Gemälde im Besitz Paul Rosenbergs, das Henri | |
Matisse von seiner Muse Lydia Delectorskaya malte. | |
Exemplarisch wird der Weg von „Robe bleue dans un fauteuil ocre“ (1937) in | |
Lüttich untersucht, das geraubt zunächst in Hermann Görings Privatsammlung | |
wanderte, nach dem Krieg vom norwegischen Schiffsmagnaten Niels Onstad beim | |
Pariser Kunsthändler Henri Bénézit erworben und im Henie Onstad Kunstsenter | |
in Oslo jahrelang ausgestellt wurde, bevor das Bild 2012 zu einer | |
Ausstellung nach Paris reiste, wo es die Erben Paul Rosenbergs entdeckten. | |
2014 wurde es an die Familie restituiert. Auch die „Sitzende Frau“ wurde | |
restituiert, konnte aber aufgrund des ungeklärten Erbfalls Gurlitt nicht in | |
Lüttich gezeigt werden. | |
21 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
## TAGS | |
Beutekunst | |
Lüttich | |
Paul Rosenberg | |
Pablo Picasso | |
Adolf Hitler | |
Belgien | |
Kunstausstellung | |
Schwerpunkt Cornelius Gurlitt | |
Pablo Picasso | |
Museum | |
Reiseland Belgien | |
Jüdisches Museum Berlin | |
Ukraine | |
Schwerpunkt Cornelius Gurlitt | |
NS-Raubkunst | |
Raubkunst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Picasso-Rezeption in BRD und DDR: Der Trumpf-Trink-fix-Deal | |
Die Ausstellung „Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der | |
BRD und der DDR“ in Köln erzählt spannend von Bildern im Gebrauch. | |
Waffenfabrikant macht Kulturpolitik: Zürcher Standortmarketing | |
Die Debatte zum Erweiterungsbau des Kunsthauses in Zürich hält an. Grund | |
ist die Präsentation der Sammlung des Waffenfabrikanten Emil G. Bührle. | |
Stadt in Belgien erneuert sich: „Eine Stadt für den zweiten Blick“ | |
Die Geburtsstadt des großen Krimiautors Georges Simenon hat mit dem | |
spektakulären Bahnhof Liège-Guillemins eine Spirale der Modernisierung | |
ausgelöst. | |
Jüdisches Museum Berlin: Der Mittelpunkt der Welt | |
Das Jüdische Museum zeigt eine neue Dauerausstellung. „Welcome to | |
Jerusalem“ beschäftigt sich mit dem Zentrum dreier Weltreligionen. | |
Street Art in der Ukraine: Neues Habitat an der Wand | |
Ein Kunstprojekt verschönert Gebäude in Kiew mit Street Art. Obwohl | |
namhafte Künstler mitmachen, stößt die Aktion nicht bei allen auf | |
Zustimmung. | |
Kommentar Gurlitt-Schlussbericht: Zuviel Politik im Spiel | |
Nationale und internationale Medien sprechen bei der Gurlitt-Taskforce von | |
Misserfolg und Blamage. Doch es gibt auch einen Erfolg zu vermelden. | |
Raubkunst aus der Nazizeit: Sammleroase Schweiz | |
Das Kunsthaus Zürich will in einem neuen Anbau Werke aus der Stiftung | |
Bührle zeigen. Weil viele als Raubkunst gelten müssten, ist das umstritten. | |
Bild aus dem Gurlitt-Fund: Der Matisse der Rosenbergs | |
Für einen Matisse der Sammlung Gurlitt steht der rechtmäßige Vorbesitzer | |
fest: Ein Pariser Kunsthändler. Seine Nachfahren wollen das Bild zurück. |