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# taz.de -- Picasso-Ausstellung in Bremen: Die Schönheit und das Biest
> Die Kunsthalle Bremen zeigt ihre Pablo Picassos. Die Ausstellung soll
> aber die Geschichte des örtlichen Kunsthändlers Michael Hertz erzählen.
Bild: Die Arbeit „Sylvette“ hat die Kunsthalle Bremen vor 65 Jahren für 45…
BREMEN taz | Die „Picasso-Connection“ heißt die Ausstellung in der
Kunsthalle Bremen, auf deren Eröffnung seit November sehnsüchtig zu warten
war. Kommenden Freitag hätte ursprünglich schon Finissage sein sollen.
Jetzt ist sie wegen des großen Lockdown-Misserfolgs um vier Monate bis 18.
Juli verlängert. Nach Anmeldung darf sie besichtigt werden. Und klar willst
du das sehen, auch wenn alle wissen: Heute wäre Picasso undenkbar.
Dass er eine Zeit lang Stalin toll fand, damit lässt sich ja im
historischen Kontext umgehen: Von Frankreich aus konnte Joseph
Dschugaschwili als Friedensfürst erscheinen, den Irrtum teilt er mit fast
allen antifaschistischen Künstler*innen Kontinentaleuropas. Aber die
Misogynie, ehrlich: dieser Mann! Der hat amerikanischen Bewunderinnen,
[1][die ihn besuchen kamen, die Pässe weggenommen, damit sie ihm, so lange
er wollte, zu Gefallen wären.] Er hat Frauen, die ihn nicht mehr
inspirierten, wie verbrauchte Pinsel ausrangiert.
Er hat sie vergöttert, was eine verbreitete Taktik der Ermächtigung ist:
Vom Gott zum Objekt ist es seit jeher weniger als ein Schritt. Und wenn
sein Enkel Bernard Ruiz-Picasso anlässlich einer Ausstellungseröffnung in
Málaga 2019 behaupten muss, sein Opa sei [2][ein großer Feminist gewesen],
denn er habe Frauen so oft zu Bildgegenständen gemacht, dann klingt das
doch allzu sehr nach einer zumal in Deutschland vertrauten
Argumentationsstruktur, die sicherstellt: Großväter sind niemals Täter.
[3][Und doch: Es führt kein Weg vorbei an Picasso]. Niemand hat die Kunst
des 20. Jahrhunderts mehr geprägt als Pablo Ruíz Picasso, das Arschloch.
Der Begriff der Schönheit ist seit ihm ein anderer. Was wir wahrnehmen hat
er geformt. Wir wissen gar nicht, wie die Wirklichkeit um uns aussähe,
hätte nicht dieser Maler aus ihr eine solche umwerfende darstellerische
Kraft gesogen und in seine Bilder übertragen.
## Picasso bestimmt unsere Wirklichkeit
Als skandalös erschienen ist seinen Zeitgenoss*innen diese Neuerfindung
der Welt aus Lust und Freude, während sein gewalttätiger Sexismus in seiner
Epoche fast schon zum guten Ton gehörten. Nein, das ist jetzt falsch: Er
gehörte zur Selbstinszenierung als potentes Genie. Sie lässt den
Bilderproduzenten als Monster auftreten: Minotaurus heißt die Bestie der
griechischen Sage, halb Mensch, halb Stier, die im Labyrinth sitzt, und der
Mädchen und Jungen geopfert werden, bis Ariadne … Als Minotaurus hat
Picasso sich selbst oft dargestellt.
Aber wie heute damit umgehen? Die Kunsthalle Bremen wählt einen Ausweg für
Helden: Erzählt werden soll statt der Geschichte vom Künstler und seinem
Modell die vom Galeristen Michael Hertz und seinem Künstler. Der Fokus
liegt aus mehreren Gründen nahe: Einmal, weil die Perspektive, wie Picasso
im deutschen Sprachraum vermarktet wurde, noch nicht erzählt war.
Und dann, weil der Kernbestand der Bremer Picasso-Sammlung, die Direktor
Christoph Grunenberg, für ihn untypisch unbescheiden, als „eine der besten
Europas und der Welt“ vorstellt, auf den engen Kontakt des Museums zum
damaligen Alleinvertreter für Picasso-Grafik in Deutschland Michael Hertz
zurückgeht.
Die Nähe zu ihm rührt daher, dass Hertz selbst Bremer war: Hier ist er
geboren, macht eine Ausbildung zum Kunsthändler in einer noch heute
existierenden Buchhandlung. Der politischen Verfolgung – Hertz ist
KPD-Mitglied – entzieht er sich durch Umzug ins Rheinland, erst spät wird
er eingezogen und an die Front geschickt.
Schon 1946 erlaubt ihm die amerikanische Militärverwaltung, sich in Bremen
als Kunsthändler und Verleger zu betätigen. Schon ein Jahr später gelingt
es ihm, ein erstes Blatt an die Kunsthalle zu verticken: Die Zeichnung
„Alte Frau von vorne im Garten sitzend“ stammt von Paula Modersohn-Becker.
Eine Galerie hat Hertz damals noch nicht. Erst Mitte der 1950er eröffnet er
einen repräsentativen Show-Room in der Schwachhauser Heerstraße. Das
Geschäft läuft bestens. Von der Hauptverkehrsader in eine der stilleren
Straßen dieses Nobelstadtteils verlegt er seine Galerie nur wenige Jahre
später. Ab 1970 gehen die Preise für Picasso so sehr durch die Decke, dass
Hertz nicht mehr mithalten kann. Stattdessen spezialisiert er sich auf
DDR-Maler wie Werner Tübke, Willi Sitte und Bernhard Heisig.
Die Forschungen hierzu sind bestimmt von großem Wert und die gewonnenen
Erkenntnisse haben die Kuratorinnen Manuela Husemann und Barbara
Nierhoff-Wielk in einem vorbildlich gestalteten Katalog niedergelegt. Aber
lässt sich dieses sonderwirtschaftshistorische Kapitel auch zeigen? Ehrlich
gesagt: Vielleicht. Aber die Ausstellung tut es nicht.
Wahrscheinlich hätte sie dafür mehr Dokumente als Kunstwerke präsentieren
müssen, in den Diskurs gehen, und sich vor allem nicht auf das Genie, das
die Sonne überstrahlt, beschränken dürfen. Fast will es sogar scheinen, als
wäre die Galeristen-Perspektive nur dafür aufgerufen worden, um mal wieder
so viel wie möglich aus dem in der Tat spektakulären Sammlungsbestand
zeigen – und alles, was unbequem ist, an den Rand schieben zu können.
Das fällt leicht, auch weil es nicht viel zu erzählen gibt: Hinweise
darauf, dass Hertzens Bilderhandel auf Picassos Kunst Einfluss ausgeübt
hätte, fehlen. Die Beziehung beider bleibt sporadisch. Ab und zu fährt der
Bremer ins Atelier nach Vauvenargues oder wohin auch sonst und schaut sich
die neuen Sachen ganz frisch an. Die Verkäufe werden dann mit Daniel Henry
Kahnweiler abgewickelt.
Konflikte? Als Nöte sind vor allem die Finanzierungsprobleme benannt, die
Hertz hie und da hatte. Ja, für ihn ist es einfach eine tolle Sache
gewesen, wenn er, obwohl er es sich nicht leisten kann, in der Galerie
Louise Leiris einen Schweizer Millionär aussticht, weil die Besitzerin dem
Geschäftsführer Kahnweiler entsprechende Anweisung gibt.
## Bloß das Monster nicht wecken
Jippie!, Hertz kann das schwarz-graue Sylvie-Gemälde ergattern und ratzfatz
auch an die Bremer Kunsthalle weiterverkaufen, und zwar zu einem Preis, der
in Deutschland bis dato nur mit Edvard Munch erzielt worden war: 45.000
D-Mark! Das entspräche inflationsbereinigt und währungsumgerechnet knapp
100.000 Euro. Dass die Summe 65 Jahre später so lächerlich gering wirkt,
sagt etwas aus über die Entwicklung des Kunstmarkts. Aber eigentlich nichts
Neues.
Durch die Fokussierung auf die Handelsbeziehungen und die eigene Sammlung
rückt das grafische Werk Picassos ins Zentrum. Dass Grafik aber
notgedrungen durch ihren illustrativen Charakter viel enger und direkter an
Auseinandersetzungen der Entstehungszeit anknüpft, als immer schon für die
Wand gemalte Ölschinken, scheint den Kuratorinnen keinen Gedanken wert
gewesen zu sein.
Warum illustriert er die Naturgeschichte Buffons und die Lyrik von Aimé
Césaire, dem Dichter und [4][Vordenker der Dekolonialisierung]? „Der
private Picasso“ heißt ein Raum voller Bilder seiner Partnerinnen. Wie kann
jemand, der [5][auch mal mit Simone de Beauvoir hobbymäßig Theater spielt
und gut Freund mit ihr im Café] sitzt, so sehr Macho bleiben?
Und dann ist da noch die weltpolitische Dimension: In ein geradezu
inquisitorisches Verhör sieht sich Hertz bei der ersten Begegnung
involviert, als Picasso von dessen Zugehörigkeit zur KP erfährt. Dazu
hängen in der Kunsthalle ein paar Täubchen und daneben die „Traum und Lüge
Francos“-Blätter: Für Picasso sei das Engagement für den Frieden sehr, sehr
wichtig gewesen, heißt es erläuternd in der Führung.
Das muss reichen. Bloß keine Schwierigkeiten. Bloß das Monster nicht
wecken: Augenlust ohne jede Kontroverse. Das ist zwar legitim. Aber auch
langweilig.
16 Mar 2021
## LINKS
[1] https://www.lefigaro.fr/culture/picasso-abusait-des-femmes-comme-harvey-wei…
[2] https://elpais.com/cultura/2019/02/22/actualidad/1550863915_563726.html
[3] https://www.franceculture.fr/oeuvre/picasso-le-regard-du-minotaure-1881-1937
[4] https://translanth.hypotheses.org/ueber/cesaire
[5] https://www.nzz.ch/feuilleton/als-picasso-mit-der-pariser-intellektuellensz…
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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