# taz.de -- Kunstinstallation in Hamburg: Die Flagge brennt | |
> Auf Hamburgs Rathausmarkt brennt eine Rauchflagge auf LED-Leindwand. | |
> Künstler John Gerrard will auf den Kohlendioxidausstoß aufmerksam machen. | |
Bild: Kunst oder Realität? Irgendwie beides | |
Hamburg taz | Wer zu früh kommt, ist selber schuld: Warum hat er auch | |
versäumt auszurechnen, dass es in Texas sieben Stunden später hell wird als | |
bei uns. Und dass, folglich, die „Texas“-LED-Wand am Hamburger Rathausmarkt | |
noch schwarz sein wird, erscheint man morgens um 9.30 Uhr. | |
Ein riesiger, bedrohlich schwarzer Kubus blickt einem da entgegen, die | |
Passanten wundern sich und lachen ein bisschen, bis der zuständige | |
Security-Mann freundlich erklärt, dies sei eine Nachtaufnahme; wann es hell | |
werde, wisse er nicht genau. | |
Noch bis zum 15. September soll der vom irischen [1][Künstler John Gerrard] | |
bespielte Kubus in Hamburgs Innenstadt stehen. „Western Flag“ hat er ihn | |
genannt, und als man gegen 15 Uhr wiederkommt, ist es Tag auf dem Video, | |
und man sieht: einen Flaggenmast mit schwarzem Rauch im Wind, drumrum eine | |
öde Landschaft. Die Kamera umrundet den Mast – und der Betrachter mit. | |
Gezeigt wird der Ort Spindletop in Texas, wo 1901 der erste große | |
internationale Ölboom begann und die Natur dort nachhaltig verwüstete. | |
Viele Male hat der Künstler die Landschaft bei Tag und Nacht fotografiert, | |
um die Bilder zu einer Videosimulation zu montieren, die das (ewige) Leben | |
dieser fiktiven Flagge porträtiert. Der Rauch stehe, sagt Gerrard, für das | |
pausenlos ausgestoßene Kohlendioxid. | |
## Zwischen Realität und Illusion | |
Man kann aber auch brennende (US-)Fahnen etwa in Nahost, im Iran, in | |
Afghanistan assoziieren, oder brennende Ölfelder im Irak. Auch die 1954 | |
gemalte US-Flagge des Pop-Art-Künstlers Jasper Johns kommt einem in den | |
Sinn mit ihrer süffisanten Frage, ob sie eine Flagge oder ein Gemälde sei; | |
auch dies ein – wenn auch offeneres – Spiel mit der Illusion. | |
Genau von diesem Schillern zwischen Realität und Illusion, wobei das | |
Bewusstsein ja nicht zwischen 2-D-Bild und 3-D-Realität oder gar Animation | |
unterscheidet, lebt die „Western Flag“. Denn die echt wirkende Landschaft | |
ist computergeschaffen, die Tageszeit durch einen Computer-Algorithmus | |
programmiert; ist die jetzt echt? | |
Andererseits: Ist Öl nicht ein aussterbender Rohstoff, und sind aktuell | |
nicht eher AKW, Kohlekraftwerke und Fracking problematisch? Auch könnte man | |
fragen, welchen ökologischen Fußabdruck dieses Kunstwerk hinterlässt, | |
initiiert vom aktuellen Hamburger Stadtkurator im Zuge des | |
Zweijahres-[2][Projekts „Hamburg Maschine“.] | |
Löblich ist indes, dass die oft als elitär verschriene Kunst hier zu den | |
Menschen kommt, und für Computerfreaks vergnüglich ist sie außerdem. Am | |
stärksten wirkt die „Western Flag“ allerdings, wenn man nicht um die | |
Simulation weiß und das Ganze wörtlich nimmt. Dann wird einem schon sehr | |
mulmig, wenn man sieht: Da ist ein Ort, der brennt und brennt, und wir | |
gucken einfach zu. | |
John Gerrard: Western Flag /(Spindletop, Texas), 2017: bis 15.9., Hamburger | |
Rathausmarkt | |
12 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://www.johngerrard.net/ | |
[2] https://stadtkuratorin-hamburg.de/de/kunst/john-gerrard/ | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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