# taz.de -- Konzert von Ian Svenonius: Rom brennt nur kurz, dafür heftig | |
> Der US-Punk-Prediger Ian Svenonius kämpft in München mit dem Sound. | |
> Krasser wird’s mit einer Backingband mit Musikern von the Notwist. | |
Bild: Beim Gospel-Yeh-Yeh: der Schamane Ian Svenonius | |
Mit einem heiseren „Guten Abend“ grüßt Ian Svenonius und erklärt, worum … | |
bei „Escape-ism“ geht. Ein Workshop in Sachen Rock ’n’ Roll. Um | |
Bewusstseinskontrolle. Dazu braucht es endlose Wiederholung. Ian Svenonius | |
schaltet seine Drum Machine ein. Der Beat ist runtergestrippt bis auf die | |
Knochen und pluckert monoton dahin. Zweitens bedarf es eines gehörigen | |
Maßes an Erschöpfung. Und der One-Man-Drama-Band-Potentat hat einen | |
Montagabend, an dem sein Publikum in München erschöpft vom Wochenende ist. | |
Einfachheit ist entscheidend für das Funktionieren: Svenonius stellt sein | |
Fuzz-Effektgerät an und spielt einen ultraprimitiven Lick auf der Gitarre. | |
Dann beschwört der charismatische Performer im schwarzen Glitzeranzug die | |
ultimative Kraft von Rock ’n’ Roll als letzte Bastion gegen Roboter und | |
digitale Mächte. Emotionen gegen Algorithmen. Aber es folgt kein | |
exstatischer Ausbruch, wie von seinen Fans erwartet. Ian Svenonius wispert | |
erst mal und sinniert, „Lonely at the top“. | |
Zerbrechlich und müde wirkt der 49-jährige Entertainer aus Washington, D. | |
C., zunächst. Oft wurde der kleine Mann mit dem schwarzen Wuschelkopf als | |
der aufregendste Performer und Rock-’n’-Roll-Berserker des US-Undergrounds | |
gefeiert. | |
Erst allmählich verwandelt er sich in eine Kreuzung aus James Brown, Alan | |
Vega und Prince, bleckt seine Zähne und schreit sein markerschütterndes, | |
elektrisierendes Gospel-Yeh-Yeh in die Menge. Und die antwortet mit einem | |
kollektiven Yeh-Yeh, jauchzt und beginnt zu tanzen. | |
## Leichenfledderer des Rock'n'Roll | |
In diesem Moment zündet der Funke, das Call & Response funktioniert beim | |
Song „Rome Wasn’t Burnt in a Day“ vom neuen Album. Alle Imperien beginnen | |
einmal zu bröckeln, selbst das der Supermacht USA. Svenonius schaltet um, | |
nun gibt er den Apeman, steigt wie ein Leichenfledderer hinab in die | |
Rock-’n’-Roll-Gräber, um als Exorzist wieder aufzutauchen, vergeblich. | |
Seine Anhänger, darunter viele weibliche, können nicht immer folgen. Es | |
liegt am spartanischen Sound. Was auf seinem Soloalbum „Introduction to | |
Escape-ism“ exquisit funktioniert, weil sein Garagen-Soul pumpt und die | |
düster-kargen New- und No-Wave-Beats peitschen, verpufft live: Zu wenig | |
Bass, Druck und Lautstärke. | |
Aber ein Ian Svenonius gibt nie auf, kämpft sich zurück ins Konzert, steigt | |
von der Bühne, geht auf Tuchfühlung, windet sich durch die ersten Reihen | |
und fixiert dabei einzelne Fans mit hypnotischem Blick. Dann schickt er das | |
traurige, trostlose „They Took the Waves“ hinterher, nach 40 Minuten ist | |
vorerst Schluss. Ian Svenonius bedankt sich artig, kehrt nach kurzer Pause | |
mit der Notwist-Alien-Disco-Gutfeeling-Brass-Punk-Gang zurück. Die hat | |
neben der Bühne ihre Instrumente aufgebaut. | |
Bei den ersten tiefen Tönen aus Micha Achers Sousafon, einer Riesen-Tuba, | |
geht ein Ruck durchs Publikum. Ein Teil entert die verlassene Bühne und | |
feuert die Musiker nun von oben an, der Rest tanzt und johlt gegen diese | |
spontane Formation, die sich erst beim Soundcheck von „Escape-ism“ | |
getroffen hat. „Wir haben heute Nachmittag eine Band gemacht“, krächzt Ian | |
Svenonius ins Mikro und wirkt wie ausgewechselt. | |
Angetrieben von Schlagzeug, Tuba, Posaune und Gitarre explodiert das | |
Gospel-Punk-Rumpelstilzchen, klettert über Fans, schreit mit bedrohlicher | |
Echobilly-Stimme, tanzt sich wie ein Schamane in Trance. Auf diesen | |
Augenblick scheinen seine Fans nur gewartet zu haben und gehen enthemmt | |
mit. Alle musikalischen Erfahrungen aus der 30-jährigen Karriere des Ian | |
Svenonius scheinen hier komprimiert abzulaufen. Es gipfelt in dem | |
gigantischen „Nation of Ulysses“-Hardcore-Punk-Song „Spectra Sonic Sound�… | |
aus dem Jahr 1991. Die Menge fordert stürmisch Zugabe. Vergeblich. | |
Möglicherweise ist dies aber die Geburtsstunde des nächsten Projekts von | |
Ian Svenonius. | |
28 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Noe Noack | |
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